daß die "eigentlichen" Verwaltungsakte der Competenz der Gerichte ent- zogen sind und sein müssen, und daß im streitigen Falle der Competenz- gerichtshof zu entscheiden habe, wer competent sei, erhält sich nämlich im deutschen Rechtsleben der englische Grundsatz, daß der Einzelne sein Recht immer bei Gericht müsse verfolgen können, wenn überhaupt von einer rechtlichen Freiheit die Rede sein solle. Diesen Grundsatz erkennen nicht bloß einzelne Verfassungen ausdrücklich an (Württemb. Verfassungs- recht §. 95; Königreich Sachsen §. 99; Schwarzburg-Rudolstadt 1849, §. 175; Kurhessen §. 35; Oldenburg 1852, Art. 48: "Jedem, der sich durch einen Akt der Verwaltung in seinem Recht verletzt glaubt, steht der Rechtsweg offen"), sondern die deutsche Theorie sagt: "In andern Staaten wird dieß als nach gemeinem Recht selbstverständlich betrachtet." (Zöpfl §. 453.) Nur darf der Gang der Verwaltung nicht gestört werden; d. h. jeder ist zunächst zum Gehorsam verpflichtet. (Sachsen §. 49, Schwarzburg-Sonderhausen 1849, §. 176, u. a. m.; siehe oben vom verfassungsmäßigen Gehorsam.) Hier nun liegt der Widerspruch klar genug zu Tage. Der Rechtsweg ist unbedingt und principiell offen erklärt im Verhältniß des Einzelnen zu den "Akten der Verwaltung," während er dennoch für die "Akte der eigentlichen Ver- waltung" ebenso unbedingt und principiell ausgeschlossen ist. Es kann kein Zweifel sein, daß dieser Widerspruch, der sonst ganz unlösbar wäre, einen tiefern Grund hat, der beide Sätze zugleich als voll- kommen richtig und "selbstverständlich" erscheinen läßt. Und hier nun ist es, wo wir das Gebiet des wahren Competenzconflikts, der Grund- lage unseres deutschen Rechts begegnen, indem wir weder mit dem eng- lischen Recht die Frage durch Confundirung der Gerichts- und Verwal- tungsbehörden, noch mit dem französischen und französisch-deutschen Recht durch die äußerliche Scheidung von Justiz- und Administrativsachen lösen, sondern durch die Unterscheidung von Gesetz und Verordnung, und die Beziehung der gerichtlichen Competenz auf das erste, der amtlichen auf das zweite zum Grunde legen. Die zuletzt angeführten Sätze zeigen uns, daß dieser Begriff der gerichtlichen und administrativen Competenz im deutschen Recht vorhanden ist und nur nach seinem Ausdruck sucht. Wir wollen versuchen, denselben zu formuliren.
4) Der deutsche Begriff und Inhalt des sogen. Competenzconfliktes.
Indem wir nunmehr auf die Darstellung der beiden Grundbegriffe von Competenzstreit und Competenzconflikt verweisen, fassen wir dieselbe noch einmal kurz zusammen, um dann den Inhalt und die Form des Competenzconfliktes in seiner wahren Bedeutung anzuschließen, und wie
daß die „eigentlichen“ Verwaltungsakte der Competenz der Gerichte ent- zogen ſind und ſein müſſen, und daß im ſtreitigen Falle der Competenz- gerichtshof zu entſcheiden habe, wer competent ſei, erhält ſich nämlich im deutſchen Rechtsleben der engliſche Grundſatz, daß der Einzelne ſein Recht immer bei Gericht müſſe verfolgen können, wenn überhaupt von einer rechtlichen Freiheit die Rede ſein ſolle. Dieſen Grundſatz erkennen nicht bloß einzelne Verfaſſungen ausdrücklich an (Württemb. Verfaſſungs- recht §. 95; Königreich Sachſen §. 99; Schwarzburg-Rudolſtadt 1849, §. 175; Kurheſſen §. 35; Oldenburg 1852, Art. 48: „Jedem, der ſich durch einen Akt der Verwaltung in ſeinem Recht verletzt glaubt, ſteht der Rechtsweg offen“), ſondern die deutſche Theorie ſagt: „In andern Staaten wird dieß als nach gemeinem Recht ſelbſtverſtändlich betrachtet.“ (Zöpfl §. 453.) Nur darf der Gang der Verwaltung nicht geſtört werden; d. h. jeder iſt zunächſt zum Gehorſam verpflichtet. (Sachſen §. 49, Schwarzburg-Sonderhauſen 1849, §. 176, u. a. m.; ſiehe oben vom verfaſſungsmäßigen Gehorſam.) Hier nun liegt der Widerſpruch klar genug zu Tage. Der Rechtsweg iſt unbedingt und principiell offen erklärt im Verhältniß des Einzelnen zu den „Akten der Verwaltung,“ während er dennoch für die „Akte der eigentlichen Ver- waltung“ ebenſo unbedingt und principiell ausgeſchloſſen iſt. Es kann kein Zweifel ſein, daß dieſer Widerſpruch, der ſonſt ganz unlösbar wäre, einen tiefern Grund hat, der beide Sätze zugleich als voll- kommen richtig und „ſelbſtverſtändlich“ erſcheinen läßt. Und hier nun iſt es, wo wir das Gebiet des wahren Competenzconflikts, der Grund- lage unſeres deutſchen Rechts begegnen, indem wir weder mit dem eng- liſchen Recht die Frage durch Confundirung der Gerichts- und Verwal- tungsbehörden, noch mit dem franzöſiſchen und franzöſiſch-deutſchen Recht durch die äußerliche Scheidung von Juſtiz- und Adminiſtrativſachen löſen, ſondern durch die Unterſcheidung von Geſetz und Verordnung, und die Beziehung der gerichtlichen Competenz auf das erſte, der amtlichen auf das zweite zum Grunde legen. Die zuletzt angeführten Sätze zeigen uns, daß dieſer Begriff der gerichtlichen und adminiſtrativen Competenz im deutſchen Recht vorhanden iſt und nur nach ſeinem Ausdruck ſucht. Wir wollen verſuchen, denſelben zu formuliren.
4) Der deutſche Begriff und Inhalt des ſogen. Competenzconfliktes.
Indem wir nunmehr auf die Darſtellung der beiden Grundbegriffe von Competenzſtreit und Competenzconflikt verweiſen, faſſen wir dieſelbe noch einmal kurz zuſammen, um dann den Inhalt und die Form des Competenzconfliktes in ſeiner wahren Bedeutung anzuſchließen, und wie
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[184/0208]
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deutſchen Rechtsleben der engliſche Grundſatz, daß der Einzelne ſein Recht
immer bei Gericht müſſe verfolgen können, wenn überhaupt von einer
rechtlichen Freiheit die Rede ſein ſolle. Dieſen Grundſatz erkennen nicht
bloß einzelne Verfaſſungen ausdrücklich an (Württemb. Verfaſſungs-
recht §. 95; Königreich Sachſen §. 99; Schwarzburg-Rudolſtadt
1849, §. 175; Kurheſſen §. 35; Oldenburg 1852, Art. 48: „Jedem,
der ſich durch einen Akt der Verwaltung in ſeinem Recht verletzt glaubt,
ſteht der Rechtsweg offen“), ſondern die deutſche Theorie ſagt: „In
andern Staaten wird dieß als nach gemeinem Recht ſelbſtverſtändlich
betrachtet.“ (Zöpfl §. 453.) Nur darf der Gang der Verwaltung nicht
geſtört werden; d. h. jeder iſt zunächſt zum Gehorſam verpflichtet. (Sachſen
§. 49, Schwarzburg-Sonderhauſen 1849, §. 176, u. a. m.;
ſiehe oben vom verfaſſungsmäßigen Gehorſam.) Hier nun liegt der
Widerſpruch klar genug zu Tage. Der Rechtsweg iſt unbedingt und
principiell offen erklärt im Verhältniß des Einzelnen zu den „Akten der
Verwaltung,“ während er dennoch für die „Akte der eigentlichen Ver-
waltung“ ebenſo unbedingt und principiell ausgeſchloſſen iſt. Es kann
kein Zweifel ſein, daß dieſer Widerſpruch, der ſonſt ganz unlösbar
wäre, einen tiefern Grund hat, der beide Sätze zugleich als voll-
kommen richtig und „ſelbſtverſtändlich“ erſcheinen läßt. Und hier nun
iſt es, wo wir das Gebiet des wahren Competenzconflikts, der Grund-
lage unſeres deutſchen Rechts begegnen, indem wir weder mit dem eng-
liſchen Recht die Frage durch Confundirung der Gerichts- und Verwal-
tungsbehörden, noch mit dem franzöſiſchen und franzöſiſch-deutſchen Recht
durch die äußerliche Scheidung von Juſtiz- und Adminiſtrativſachen löſen,
ſondern durch die Unterſcheidung von Geſetz und Verordnung, und die
Beziehung der gerichtlichen Competenz auf das erſte, der amtlichen auf
das zweite zum Grunde legen. Die zuletzt angeführten Sätze zeigen
uns, daß dieſer Begriff der gerichtlichen und adminiſtrativen Competenz
im deutſchen Recht vorhanden iſt und nur nach ſeinem Ausdruck ſucht.
Wir wollen verſuchen, denſelben zu formuliren.
4) Der deutſche Begriff und Inhalt des ſogen. Competenzconfliktes.
Indem wir nunmehr auf die Darſtellung der beiden Grundbegriffe
von Competenzſtreit und Competenzconflikt verweiſen, faſſen wir dieſelbe
noch einmal kurz zuſammen, um dann den Inhalt und die Form des
Competenzconfliktes in ſeiner wahren Bedeutung anzuſchließen, und wie
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/208>, abgerufen am 23.11.2024.
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