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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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Verhaltens hier ein negatives ist. Die höchste Staatsgewalt soll
nur hindern, daß etwas Gesetzliches unterbleibe oder etwas Ungesetz-
liches geschehe. Die Formen, in welchen dieß Princip ausgeübt wird,
sind, wie wir später sehen werden, die Genehmigung und die Ober-
aufsicht
. Sie sind es, welche die Selbständigkeit des verfassungs-
mäßigen Organismus der Selbstverwaltungskörper mit der Nothwendig-
keit der Uebereinstimmung ihrer verwaltenden Thätigkeit mit dem ganzen
Staate in Harmonie bringen, und bilden daher die zwei großen ver-
fassungsmäßigen Grundlagen für das organische Verhalten der Staats-
und der Selbstverwaltung. Ihre weitere Darstellung muß sich an die
Darstellung der Selbstverwaltung überhaupt anschließen.

Siehe unten die Landschaft, das Gemeindewesen und die Körper-
schaften
. Es sei hier nur bemerkt, daß der Gedanke, die Gemeindeordnungen
in die Verfassung selbst aufzunehmen, ein französischer ist, und daß die deutschen
Verfassungen eben daher, wie das immer erscheint, wo ein französischer Gedanke
in das deutsche Leben verwebt ward, sie nicht einig darüber werden konnten,
ob sie dieselben als "Theil der Verfassung" betrachten sollen, oder nicht. Hier
ist daher die größte Verschiedenheit. In einigen ist die Gesetzgebung über die
Selbstverwaltung gar nicht berührt, sondern nur die Volksvertretung; in
einigen ist sie kurz berührt, z. B. Braunschweig Kap. III, Hannover Kap. IV,
Württemberg Kap. V, Kurhessen §. 102; in andern ist sie sehr weitläufig
behandelt; iu noch andern ist sie beinahe die Verfassung selbst, wie in der alten
Oldenburger von 1831. Erst die neueste Zeit ist im Begriff, hier zum Ab-
schluß zu gelangen.

II. Das Competenzrecht.
1) Begriff der Competenz.

Aus der Organisationsgewalt in ihrer Thätigkeit entsteht nun ein
zweiter Begriff und mit ihm ein zweites Rechtsverhältniß, das eigent-
lich die praktische Seite des Organisationsrechts enthält. Das ist die
Competenz oder Zuständigkeit.

Wir sind gezwungen, auch diesen Begriff und sei Recht genauer
zu bestimmen, als dieß gewöhnlich geschieht, um ihn über die ganze voll-
ziehende Gewalt auszudehnen, während die einseitig juristische Bildung
in Deutschland sie fast immer nur bei der Verwaltung des Rechts an-
wendet. Zu dem Ende muß man Inhalt und Umfang der Com-
petenz wohl unterscheiden.

Die Competenz entsteht, indem die höchste Staatsgewalt in einem
bestimmten Lebensverhältniß sich und ihre Aufgaben durch ein bestimm-
tes Organ vertreten läßt. Sie enthält daher dasjenige Maß der

Stein, die Verwaltungslehre. I. 11

Verhaltens hier ein negatives iſt. Die höchſte Staatsgewalt ſoll
nur hindern, daß etwas Geſetzliches unterbleibe oder etwas Ungeſetz-
liches geſchehe. Die Formen, in welchen dieß Princip ausgeübt wird,
ſind, wie wir ſpäter ſehen werden, die Genehmigung und die Ober-
aufſicht
. Sie ſind es, welche die Selbſtändigkeit des verfaſſungs-
mäßigen Organismus der Selbſtverwaltungskörper mit der Nothwendig-
keit der Uebereinſtimmung ihrer verwaltenden Thätigkeit mit dem ganzen
Staate in Harmonie bringen, und bilden daher die zwei großen ver-
faſſungsmäßigen Grundlagen für das organiſche Verhalten der Staats-
und der Selbſtverwaltung. Ihre weitere Darſtellung muß ſich an die
Darſtellung der Selbſtverwaltung überhaupt anſchließen.

Siehe unten die Landſchaft, das Gemeindeweſen und die Körper-
ſchaften
. Es ſei hier nur bemerkt, daß der Gedanke, die Gemeindeordnungen
in die Verfaſſung ſelbſt aufzunehmen, ein franzöſiſcher iſt, und daß die deutſchen
Verfaſſungen eben daher, wie das immer erſcheint, wo ein franzöſiſcher Gedanke
in das deutſche Leben verwebt ward, ſie nicht einig darüber werden konnten,
ob ſie dieſelben als „Theil der Verfaſſung“ betrachten ſollen, oder nicht. Hier
iſt daher die größte Verſchiedenheit. In einigen iſt die Geſetzgebung über die
Selbſtverwaltung gar nicht berührt, ſondern nur die Volksvertretung; in
einigen iſt ſie kurz berührt, z. B. Braunſchweig Kap. III, Hannover Kap. IV,
Württemberg Kap. V, Kurheſſen §. 102; in andern iſt ſie ſehr weitläufig
behandelt; iu noch andern iſt ſie beinahe die Verfaſſung ſelbſt, wie in der alten
Oldenburger von 1831. Erſt die neueſte Zeit iſt im Begriff, hier zum Ab-
ſchluß zu gelangen.

II. Das Competenzrecht.
1) Begriff der Competenz.

Aus der Organiſationsgewalt in ihrer Thätigkeit entſteht nun ein
zweiter Begriff und mit ihm ein zweites Rechtsverhältniß, das eigent-
lich die praktiſche Seite des Organiſationsrechts enthält. Das iſt die
Competenz oder Zuſtändigkeit.

Wir ſind gezwungen, auch dieſen Begriff und ſei Recht genauer
zu beſtimmen, als dieß gewöhnlich geſchieht, um ihn über die ganze voll-
ziehende Gewalt auszudehnen, während die einſeitig juriſtiſche Bildung
in Deutſchland ſie faſt immer nur bei der Verwaltung des Rechts an-
wendet. Zu dem Ende muß man Inhalt und Umfang der Com-
petenz wohl unterſcheiden.

Die Competenz entſteht, indem die höchſte Staatsgewalt in einem
beſtimmten Lebensverhältniß ſich und ihre Aufgaben durch ein beſtimm-
tes Organ vertreten läßt. Sie enthält daher dasjenige Maß der

Stein, die Verwaltungslehre. I. 11
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[161/0185] Verhaltens hier ein negatives iſt. Die höchſte Staatsgewalt ſoll nur hindern, daß etwas Geſetzliches unterbleibe oder etwas Ungeſetz- liches geſchehe. Die Formen, in welchen dieß Princip ausgeübt wird, ſind, wie wir ſpäter ſehen werden, die Genehmigung und die Ober- aufſicht. Sie ſind es, welche die Selbſtändigkeit des verfaſſungs- mäßigen Organismus der Selbſtverwaltungskörper mit der Nothwendig- keit der Uebereinſtimmung ihrer verwaltenden Thätigkeit mit dem ganzen Staate in Harmonie bringen, und bilden daher die zwei großen ver- faſſungsmäßigen Grundlagen für das organiſche Verhalten der Staats- und der Selbſtverwaltung. Ihre weitere Darſtellung muß ſich an die Darſtellung der Selbſtverwaltung überhaupt anſchließen. Siehe unten die Landſchaft, das Gemeindeweſen und die Körper- ſchaften. Es ſei hier nur bemerkt, daß der Gedanke, die Gemeindeordnungen in die Verfaſſung ſelbſt aufzunehmen, ein franzöſiſcher iſt, und daß die deutſchen Verfaſſungen eben daher, wie das immer erſcheint, wo ein franzöſiſcher Gedanke in das deutſche Leben verwebt ward, ſie nicht einig darüber werden konnten, ob ſie dieſelben als „Theil der Verfaſſung“ betrachten ſollen, oder nicht. Hier iſt daher die größte Verſchiedenheit. In einigen iſt die Geſetzgebung über die Selbſtverwaltung gar nicht berührt, ſondern nur die Volksvertretung; in einigen iſt ſie kurz berührt, z. B. Braunſchweig Kap. III, Hannover Kap. IV, Württemberg Kap. V, Kurheſſen §. 102; in andern iſt ſie ſehr weitläufig behandelt; iu noch andern iſt ſie beinahe die Verfaſſung ſelbſt, wie in der alten Oldenburger von 1831. Erſt die neueſte Zeit iſt im Begriff, hier zum Ab- ſchluß zu gelangen. II. Das Competenzrecht. 1) Begriff der Competenz. Aus der Organiſationsgewalt in ihrer Thätigkeit entſteht nun ein zweiter Begriff und mit ihm ein zweites Rechtsverhältniß, das eigent- lich die praktiſche Seite des Organiſationsrechts enthält. Das iſt die Competenz oder Zuſtändigkeit. Wir ſind gezwungen, auch dieſen Begriff und ſei Recht genauer zu beſtimmen, als dieß gewöhnlich geſchieht, um ihn über die ganze voll- ziehende Gewalt auszudehnen, während die einſeitig juriſtiſche Bildung in Deutſchland ſie faſt immer nur bei der Verwaltung des Rechts an- wendet. Zu dem Ende muß man Inhalt und Umfang der Com- petenz wohl unterſcheiden. Die Competenz entſteht, indem die höchſte Staatsgewalt in einem beſtimmten Lebensverhältniß ſich und ihre Aufgaben durch ein beſtimm- tes Organ vertreten läßt. Sie enthält daher dasjenige Maß der Stein, die Verwaltungslehre. I. 11

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/185>, abgerufen am 16.04.2024.