Die Grundsätze nun, welche aus diesem Wesen der vollziehenden Gewalt und ihrer Verordnungen, Verfügungen und Handlungen für die Beschwerde und ihr Recht entstehen, sind im Wesentlichen folgende.
1) Beschwerde und Gesuch. Jede einzelne Aktion der Voll- ziehung kann offenbar zu der Verordnung, oder vielmehr allgemeiner zum Willen der vollziehenden Gewalt in einem doppelten Verhältniß stehen. Es ist möglich, daß sie diesen Willen überhaupt mißversteht, und daher nicht die wahre Absicht der vollziehenden Gewalt im Allge- meinen ausführt; es ist aber auch möglich, daß sie dieselbe wirklich voll- zieht, daß aber diese Vollziehung durch bestimmte Verhältnisse Folgen erzeugt, welche die Regierung entweder nicht vorausgesehen hat, oder deren Nachtheil für den Einzelnen größer scheinen als der Vortheil für das Ganze, oder die endlich in einer, die gegebenen Zustände mehr schonenden Weise anders hätten vollzogen werden können. Das erste ist meistens dann der Fall, wenn die besondern Verordnungen, Ver- fügungen oder Handlungen der vollziehenden Organe mit dem Wortlaute oder auch mit dem Sinn einer allgemeinen Verordnung im Wider- spruch stehen; das zweite dann, wenn zwar ein solcher Widerspruch nicht vorhanden, aber das Einzelinteresse in der Vollziehung nicht hinreichend berücksichtigt erscheint. Im ersten Fall liegt die Möglichkeit eines un- richtigen Verfahrens von Seiten der einzelnen Organe, im zweiten die Möglichkeit einer größeren Berücksichtigung der Einzelinteressen von Seiten der verordnenden Gewalt selbst vor. Den Akt nun, durch den das Verfahren der einzelnen Organe in Harmonie mit dem Willen der verordnenden Gewalt gebracht werden soll, nennen wir die eigent- liche Beschwerde; ihre Voraussetzung ist eine angenommene falsche Benützung der vollziehenden Gewalt; der Akt, der im zweiten Falle eintritt, ist ein Gesuch; seine Voraussetzung ist eine nicht hinreichende Kenntniß oder Würdigung der Einzelinteressen.
Daß im zweiten Falle kein Schritt bei dem Gerichte stattfinden, sondern daß ein Gesuch unbedingt nur bei der Behörde eingebracht werden kann, ist klar genug. Aber auch eine Beschwerde kann nicht bei einem Gericht vorgebracht werden. Denn da selbst bei formellem Widerspruch zwischen den Vollzugsmaßregeln und der Verordnung die verordnende Gewalt ihren Willen geändert und gerade diejenige Voll- zugsform vorgeschrieben haben kann, über welche die Beschwerde geführt wird, so fehlt jeder Rechtsgrund für ein Urtheil des Gerichts, und nur die verordnende Gewalt kann über den Inhalt der Beschwerde entscheiden. Aber auch in dem Fall, wo die letztere der Beschwerde zu- stimmt, und mithin einen Widerspruch zwischen der Verfügung oder Handlung und der Verordnung als vorhanden erklärt, kann dennoch
Die Grundſätze nun, welche aus dieſem Weſen der vollziehenden Gewalt und ihrer Verordnungen, Verfügungen und Handlungen für die Beſchwerde und ihr Recht entſtehen, ſind im Weſentlichen folgende.
1) Beſchwerde und Geſuch. Jede einzelne Aktion der Voll- ziehung kann offenbar zu der Verordnung, oder vielmehr allgemeiner zum Willen der vollziehenden Gewalt in einem doppelten Verhältniß ſtehen. Es iſt möglich, daß ſie dieſen Willen überhaupt mißverſteht, und daher nicht die wahre Abſicht der vollziehenden Gewalt im Allge- meinen ausführt; es iſt aber auch möglich, daß ſie dieſelbe wirklich voll- zieht, daß aber dieſe Vollziehung durch beſtimmte Verhältniſſe Folgen erzeugt, welche die Regierung entweder nicht vorausgeſehen hat, oder deren Nachtheil für den Einzelnen größer ſcheinen als der Vortheil für das Ganze, oder die endlich in einer, die gegebenen Zuſtände mehr ſchonenden Weiſe anders hätten vollzogen werden können. Das erſte iſt meiſtens dann der Fall, wenn die beſondern Verordnungen, Ver- fügungen oder Handlungen der vollziehenden Organe mit dem Wortlaute oder auch mit dem Sinn einer allgemeinen Verordnung im Wider- ſpruch ſtehen; das zweite dann, wenn zwar ein ſolcher Widerſpruch nicht vorhanden, aber das Einzelintereſſe in der Vollziehung nicht hinreichend berückſichtigt erſcheint. Im erſten Fall liegt die Möglichkeit eines un- richtigen Verfahrens von Seiten der einzelnen Organe, im zweiten die Möglichkeit einer größeren Berückſichtigung der Einzelintereſſen von Seiten der verordnenden Gewalt ſelbſt vor. Den Akt nun, durch den das Verfahren der einzelnen Organe in Harmonie mit dem Willen der verordnenden Gewalt gebracht werden ſoll, nennen wir die eigent- liche Beſchwerde; ihre Vorausſetzung iſt eine angenommene falſche Benützung der vollziehenden Gewalt; der Akt, der im zweiten Falle eintritt, iſt ein Geſuch; ſeine Vorausſetzung iſt eine nicht hinreichende Kenntniß oder Würdigung der Einzelintereſſen.
Daß im zweiten Falle kein Schritt bei dem Gerichte ſtattfinden, ſondern daß ein Geſuch unbedingt nur bei der Behörde eingebracht werden kann, iſt klar genug. Aber auch eine Beſchwerde kann nicht bei einem Gericht vorgebracht werden. Denn da ſelbſt bei formellem Widerſpruch zwiſchen den Vollzugsmaßregeln und der Verordnung die verordnende Gewalt ihren Willen geändert und gerade diejenige Voll- zugsform vorgeſchrieben haben kann, über welche die Beſchwerde geführt wird, ſo fehlt jeder Rechtsgrund für ein Urtheil des Gerichts, und nur die verordnende Gewalt kann über den Inhalt der Beſchwerde entſcheiden. Aber auch in dem Fall, wo die letztere der Beſchwerde zu- ſtimmt, und mithin einen Widerſpruch zwiſchen der Verfügung oder Handlung und der Verordnung als vorhanden erklärt, kann dennoch
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Die Grundſätze nun, welche aus dieſem Weſen der vollziehenden
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1) Beſchwerde und Geſuch. Jede einzelne Aktion der Voll-
ziehung kann offenbar zu der Verordnung, oder vielmehr allgemeiner
zum Willen der vollziehenden Gewalt in einem doppelten Verhältniß
ſtehen. Es iſt möglich, daß ſie dieſen Willen überhaupt mißverſteht,
und daher nicht die wahre Abſicht der vollziehenden Gewalt im Allge-
meinen ausführt; es iſt aber auch möglich, daß ſie dieſelbe wirklich voll-
zieht, daß aber dieſe Vollziehung durch beſtimmte Verhältniſſe Folgen
erzeugt, welche die Regierung entweder nicht vorausgeſehen hat, oder
deren Nachtheil für den Einzelnen größer ſcheinen als der Vortheil für
das Ganze, oder die endlich in einer, die gegebenen Zuſtände mehr
ſchonenden Weiſe anders hätten vollzogen werden können. Das erſte
iſt meiſtens dann der Fall, wenn die beſondern Verordnungen, Ver-
fügungen oder Handlungen der vollziehenden Organe mit dem Wortlaute
oder auch mit dem Sinn einer allgemeinen Verordnung im Wider-
ſpruch ſtehen; das zweite dann, wenn zwar ein ſolcher Widerſpruch nicht
vorhanden, aber das Einzelintereſſe in der Vollziehung nicht hinreichend
berückſichtigt erſcheint. Im erſten Fall liegt die Möglichkeit eines un-
richtigen Verfahrens von Seiten der einzelnen Organe, im zweiten
die Möglichkeit einer größeren Berückſichtigung der Einzelintereſſen
von Seiten der verordnenden Gewalt ſelbſt vor. Den Akt nun, durch
den das Verfahren der einzelnen Organe in Harmonie mit dem Willen
der verordnenden Gewalt gebracht werden ſoll, nennen wir die eigent-
liche Beſchwerde; ihre Vorausſetzung iſt eine angenommene falſche
Benützung der vollziehenden Gewalt; der Akt, der im zweiten Falle
eintritt, iſt ein Geſuch; ſeine Vorausſetzung iſt eine nicht hinreichende
Kenntniß oder Würdigung der Einzelintereſſen.
Daß im zweiten Falle kein Schritt bei dem Gerichte ſtattfinden,
ſondern daß ein Geſuch unbedingt nur bei der Behörde eingebracht
werden kann, iſt klar genug. Aber auch eine Beſchwerde kann nicht
bei einem Gericht vorgebracht werden. Denn da ſelbſt bei formellem
Widerſpruch zwiſchen den Vollzugsmaßregeln und der Verordnung die
verordnende Gewalt ihren Willen geändert und gerade diejenige Voll-
zugsform vorgeſchrieben haben kann, über welche die Beſchwerde
geführt wird, ſo fehlt jeder Rechtsgrund für ein Urtheil des Gerichts,
und nur die verordnende Gewalt kann über den Inhalt der Beſchwerde
entſcheiden. Aber auch in dem Fall, wo die letztere der Beſchwerde zu-
ſtimmt, und mithin einen Widerſpruch zwiſchen der Verfügung oder
Handlung und der Verordnung als vorhanden erklärt, kann dennoch
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/149>, abgerufen am 05.10.2024.
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