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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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welche das Lebensverhältniß erzeugen, nicht mit denen, welche ihm diese
oder jene Gestalt geben. Es muß daher andererseits alle seine Objekte
einheitlich und gleichartig bestimmen. Es muß stets mit sich selber
übereinstimmen; es darf das äußerlich Verschiedene nicht als innerlich
Verschiedenes setzen, sondern es muß für alle Erscheinungen stets dasselbe
sein. Das gesetzliche Recht ist daher seinem organischen Wesen nach ein
gleichartiges und einheitliches Ganzes.

Die Verordnung dagegen geht vor allen Dingen von der That-
sache
, und mit ihr von den Besonderheiten und dem Wechsel derselben
aus. Sie erfaßt die Dinge und die Lebensverhältnisse nicht wie sie an
sich sind, sondern in dem Moment und in der Gestalt, wo sie zur Er-
scheinung kommen. Sie ist daher nicht bloß verschieden für Dinge, die
an sich ganz gleich sein können, sondern sie muß es sein. Sie soll
nicht das Wahre, sondern das Zweckmäßige suchen und bestimmen.
Sie wechselt daher beständig, sie ist der Wille für die äußere That,
und trägt auf allen Punkten den Charakter der äußern Welt an sich.

Gesetzgebung und Verordnung sind daher nicht etwa zwei formell
geschiedene, sondern wesentlich verschiedene Funktionen des Staatswillens.
Ihr Gegensatz liegt nicht etwa bloß in jenen formellen Bestimmungen,
sondern er liegt in ihrem tieferen Wesen selbst. Und eben diese ihre
Natur stellt sie auch nicht etwa einfach wie zwei äußerlich selbständige
Gebiete neben einander, die man durch gewisse Rechtssätze äußerlich
immer von einander trennen könnte, sondern da jedes Lebendige, und
mithin auch alle Dinge und Lebensverhältnisse die dem Staatswillen
angehören, zugleich ihr inneres und äußeres Dasein haben, so sind auch
alle diese Objekte stets beiden Funktionen zugleich, der Gesetzgebung und
der Verordnung unterworfen. Alle Thätigkeiten des Staats werden
unabänderlich zugleich durch Gesetze und Verordnungen bestimmt. Und
wie man nun in keinem Dinge die Elemente des innern Wesens immer
scharf von der zufälligen äußern Erscheinung trennen kann, so kann
man auch niemals äußerlich das Gebiet der Gesetze und der
Verordnungen endgültig scheiden
. Sie vermischen sich auf allen
Punkten, sie setzen sich gegenseitig beständig voraus; sie erfüllen sich
beständig; sie sind in der That erst zusammen der wahre Staats-
wille
. Es ist daher nichts einseitiger, als sie im natürlichen Gegen-
satz betrachten zu wollen, und es ist ebenso falsch, die Verordnung nur
als die Ausführung des Gesetzes anzusehen. Es ist daher ein großer,
nur auf dem Nichtverständniß des wirklichen Lebens beruhender Irr-
thum, zu meinen, daß man das Verhältniß zwischen Gesetz und Ver-
ordnung selbst wieder durch einzelne rechtliche Bestimmungen regeln
kann. Eine solche Auffassung gehört den niedern Stadien der staatlichen

welche das Lebensverhältniß erzeugen, nicht mit denen, welche ihm dieſe
oder jene Geſtalt geben. Es muß daher andererſeits alle ſeine Objekte
einheitlich und gleichartig beſtimmen. Es muß ſtets mit ſich ſelber
übereinſtimmen; es darf das äußerlich Verſchiedene nicht als innerlich
Verſchiedenes ſetzen, ſondern es muß für alle Erſcheinungen ſtets daſſelbe
ſein. Das geſetzliche Recht iſt daher ſeinem organiſchen Weſen nach ein
gleichartiges und einheitliches Ganzes.

Die Verordnung dagegen geht vor allen Dingen von der That-
ſache
, und mit ihr von den Beſonderheiten und dem Wechſel derſelben
aus. Sie erfaßt die Dinge und die Lebensverhältniſſe nicht wie ſie an
ſich ſind, ſondern in dem Moment und in der Geſtalt, wo ſie zur Er-
ſcheinung kommen. Sie iſt daher nicht bloß verſchieden für Dinge, die
an ſich ganz gleich ſein können, ſondern ſie muß es ſein. Sie ſoll
nicht das Wahre, ſondern das Zweckmäßige ſuchen und beſtimmen.
Sie wechſelt daher beſtändig, ſie iſt der Wille für die äußere That,
und trägt auf allen Punkten den Charakter der äußern Welt an ſich.

Geſetzgebung und Verordnung ſind daher nicht etwa zwei formell
geſchiedene, ſondern weſentlich verſchiedene Funktionen des Staatswillens.
Ihr Gegenſatz liegt nicht etwa bloß in jenen formellen Beſtimmungen,
ſondern er liegt in ihrem tieferen Weſen ſelbſt. Und eben dieſe ihre
Natur ſtellt ſie auch nicht etwa einfach wie zwei äußerlich ſelbſtändige
Gebiete neben einander, die man durch gewiſſe Rechtsſätze äußerlich
immer von einander trennen könnte, ſondern da jedes Lebendige, und
mithin auch alle Dinge und Lebensverhältniſſe die dem Staatswillen
angehören, zugleich ihr inneres und äußeres Daſein haben, ſo ſind auch
alle dieſe Objekte ſtets beiden Funktionen zugleich, der Geſetzgebung und
der Verordnung unterworfen. Alle Thätigkeiten des Staats werden
unabänderlich zugleich durch Geſetze und Verordnungen beſtimmt. Und
wie man nun in keinem Dinge die Elemente des innern Weſens immer
ſcharf von der zufälligen äußern Erſcheinung trennen kann, ſo kann
man auch niemals äußerlich das Gebiet der Geſetze und der
Verordnungen endgültig ſcheiden
. Sie vermiſchen ſich auf allen
Punkten, ſie ſetzen ſich gegenſeitig beſtändig voraus; ſie erfüllen ſich
beſtändig; ſie ſind in der That erſt zuſammen der wahre Staats-
wille
. Es iſt daher nichts einſeitiger, als ſie im natürlichen Gegen-
ſatz betrachten zu wollen, und es iſt ebenſo falſch, die Verordnung nur
als die Ausführung des Geſetzes anzuſehen. Es iſt daher ein großer,
nur auf dem Nichtverſtändniß des wirklichen Lebens beruhender Irr-
thum, zu meinen, daß man das Verhältniß zwiſchen Geſetz und Ver-
ordnung ſelbſt wieder durch einzelne rechtliche Beſtimmungen regeln
kann. Eine ſolche Auffaſſung gehört den niedern Stadien der ſtaatlichen

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[79/0103] welche das Lebensverhältniß erzeugen, nicht mit denen, welche ihm dieſe oder jene Geſtalt geben. Es muß daher andererſeits alle ſeine Objekte einheitlich und gleichartig beſtimmen. Es muß ſtets mit ſich ſelber übereinſtimmen; es darf das äußerlich Verſchiedene nicht als innerlich Verſchiedenes ſetzen, ſondern es muß für alle Erſcheinungen ſtets daſſelbe ſein. Das geſetzliche Recht iſt daher ſeinem organiſchen Weſen nach ein gleichartiges und einheitliches Ganzes. Die Verordnung dagegen geht vor allen Dingen von der That- ſache, und mit ihr von den Beſonderheiten und dem Wechſel derſelben aus. Sie erfaßt die Dinge und die Lebensverhältniſſe nicht wie ſie an ſich ſind, ſondern in dem Moment und in der Geſtalt, wo ſie zur Er- ſcheinung kommen. Sie iſt daher nicht bloß verſchieden für Dinge, die an ſich ganz gleich ſein können, ſondern ſie muß es ſein. Sie ſoll nicht das Wahre, ſondern das Zweckmäßige ſuchen und beſtimmen. Sie wechſelt daher beſtändig, ſie iſt der Wille für die äußere That, und trägt auf allen Punkten den Charakter der äußern Welt an ſich. Geſetzgebung und Verordnung ſind daher nicht etwa zwei formell geſchiedene, ſondern weſentlich verſchiedene Funktionen des Staatswillens. Ihr Gegenſatz liegt nicht etwa bloß in jenen formellen Beſtimmungen, ſondern er liegt in ihrem tieferen Weſen ſelbſt. Und eben dieſe ihre Natur ſtellt ſie auch nicht etwa einfach wie zwei äußerlich ſelbſtändige Gebiete neben einander, die man durch gewiſſe Rechtsſätze äußerlich immer von einander trennen könnte, ſondern da jedes Lebendige, und mithin auch alle Dinge und Lebensverhältniſſe die dem Staatswillen angehören, zugleich ihr inneres und äußeres Daſein haben, ſo ſind auch alle dieſe Objekte ſtets beiden Funktionen zugleich, der Geſetzgebung und der Verordnung unterworfen. Alle Thätigkeiten des Staats werden unabänderlich zugleich durch Geſetze und Verordnungen beſtimmt. Und wie man nun in keinem Dinge die Elemente des innern Weſens immer ſcharf von der zufälligen äußern Erſcheinung trennen kann, ſo kann man auch niemals äußerlich das Gebiet der Geſetze und der Verordnungen endgültig ſcheiden. Sie vermiſchen ſich auf allen Punkten, ſie ſetzen ſich gegenſeitig beſtändig voraus; ſie erfüllen ſich beſtändig; ſie ſind in der That erſt zuſammen der wahre Staats- wille. Es iſt daher nichts einſeitiger, als ſie im natürlichen Gegen- ſatz betrachten zu wollen, und es iſt ebenſo falſch, die Verordnung nur als die Ausführung des Geſetzes anzuſehen. Es iſt daher ein großer, nur auf dem Nichtverſtändniß des wirklichen Lebens beruhender Irr- thum, zu meinen, daß man das Verhältniß zwiſchen Geſetz und Ver- ordnung ſelbſt wieder durch einzelne rechtliche Beſtimmungen regeln kann. Eine ſolche Auffaſſung gehört den niedern Stadien der ſtaatlichen

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/103>, abgerufen am 28.03.2024.