oder nicht. Dabei wurde jedoch in den meisten Staaten die obligate Legitimation mit specieller Beziehung auf das Heimathsrecht, das eigentliche Meldungswesen, in den Gemeinden beibehalten, obwohl sein Werth in der Praxis höchst zweifelhaft ist. Das facultative Legi- timationswesen durch obrigkeitliche Pässe ward dagegen im Interesse des immer lebendiger sich gestaltenden persönlichen Verkehrs in immer einfachere Formen gebracht; entscheidend war dafür der Grundsatz, daß man nicht mehr für die einzelne Reise einen einzelnen Paß, son- dern überhaupt nur eine individuelle Legitimation brauche, oder das Eintreten der Paßkarten für alle Ueberschreitungen der äußeren Gränze, der Legitimationskarten für jeden Aufenthalt im In- nern. Daß sich dabei jeder Staat das Recht vorbehält, nöthigenfalls das strenge Erlaubnißsystem wieder herzustellen, bleibt selbstverständlich. Daneben wurden die Fremdenbücher der Gasthäuser für nächtlichen Aufenthalt neu geordnet, während wieder in einzelnen Staaten die Erlaubniß zum längeren Aufenthalte durch eine "Aufenthaltskarte" gegeben werden muß, und die "Wanderbücher" und "Hausirpässe" für ihre speciellen Zwecke noch bestehen bleiben. Man erkennt leicht daraus, daß der Uebergang zum freien Legitimationssystem bis jetzt weder vollständig noch gleichmäßig in Europa vollzogen ist, während es wiederum nicht als zweckmäßig erscheint, das ganze Paß- und Legitimationswesen mit der bezeichneten facultativen Benützung wie in England und Nordamerika aufzuheben.
Literatur. Das System des alten "Gastrechts" bei Grimm Rechts- alterth. 396; Osenbrüggen, Gastgerichte der Deutschen im Mittelalter. Das System des Geleitsrechts nach dem Landfrieden 1548 und dem westphäli- schen Frieden (Art. IX und Art. V.) bei Moser, Nachbarliches Staatsrecht, S. 676 ff. Die Literatur des vorigen Jahrhunderts ist fast durchgehend gegen das polizeiliche Paßwesen, das damals eigentlich erst entstand. Berg, Polizei- recht II. 59. IV. 26. Niemann, Blätter für Politik und Cultur 1861. Daneben Anerkennung der Nothwendigkeit des inneren Legitimationswesens und detaillirte Ausbildung schon am Ende des vorigen Jahrhunderts (Polizei- vorschriften bei Berg, I. 20. IV. 13. 610). System des gegenwärtigen Jahr- hunderts nach dem Vorbilde von Frankreich auf Grundlage des Bundesbe- schlusses vom 5. Juli 1832 bei Zachariä, Deutsches Staats- und Bundes- recht II. 164. Die staatswissenschaftliche Literatur hat sich um das Ganze wenig gekümmert; Mohl (Präventivjustiz S. 116) sehr einseitig.
Gesetzgebung. Frankreich. Aufhebung des Paßwesens. Gesetz vom 14. September 1791; Herstellung (Decret vom 6. Februar 1793, 10. Vend. an IV und 17. November 1797). Definitive Ordnung (Decret vom 18. Sep- tember 1807); Erlaubniß zu inneren Reisen; Recht zur Ausweisung der Fremden (Gesetz vom 19. October 1797); Verpflichtung der Constatirung der
oder nicht. Dabei wurde jedoch in den meiſten Staaten die obligate Legitimation mit ſpecieller Beziehung auf das Heimathsrecht, das eigentliche Meldungsweſen, in den Gemeinden beibehalten, obwohl ſein Werth in der Praxis höchſt zweifelhaft iſt. Das facultative Legi- timationsweſen durch obrigkeitliche Päſſe ward dagegen im Intereſſe des immer lebendiger ſich geſtaltenden perſönlichen Verkehrs in immer einfachere Formen gebracht; entſcheidend war dafür der Grundſatz, daß man nicht mehr für die einzelne Reiſe einen einzelnen Paß, ſon- dern überhaupt nur eine individuelle Legitimation brauche, oder das Eintreten der Paßkarten für alle Ueberſchreitungen der äußeren Gränze, der Legitimationskarten für jeden Aufenthalt im In- nern. Daß ſich dabei jeder Staat das Recht vorbehält, nöthigenfalls das ſtrenge Erlaubnißſyſtem wieder herzuſtellen, bleibt ſelbſtverſtändlich. Daneben wurden die Fremdenbücher der Gaſthäuſer für nächtlichen Aufenthalt neu geordnet, während wieder in einzelnen Staaten die Erlaubniß zum längeren Aufenthalte durch eine „Aufenthaltskarte“ gegeben werden muß, und die „Wanderbücher“ und „Hauſirpäſſe“ für ihre ſpeciellen Zwecke noch beſtehen bleiben. Man erkennt leicht daraus, daß der Uebergang zum freien Legitimationsſyſtem bis jetzt weder vollſtändig noch gleichmäßig in Europa vollzogen iſt, während es wiederum nicht als zweckmäßig erſcheint, das ganze Paß- und Legitimationsweſen mit der bezeichneten facultativen Benützung wie in England und Nordamerika aufzuheben.
Literatur. Das Syſtem des alten „Gaſtrechts“ bei Grimm Rechts- alterth. 396; Oſenbrüggen, Gaſtgerichte der Deutſchen im Mittelalter. Das Syſtem des Geleitsrechts nach dem Landfrieden 1548 und dem weſtphäli- ſchen Frieden (Art. IX und Art. V.) bei Moſer, Nachbarliches Staatsrecht, S. 676 ff. Die Literatur des vorigen Jahrhunderts iſt faſt durchgehend gegen das polizeiliche Paßweſen, das damals eigentlich erſt entſtand. Berg, Polizei- recht II. 59. IV. 26. Niemann, Blätter für Politik und Cultur 1861. Daneben Anerkennung der Nothwendigkeit des inneren Legitimationsweſens und detaillirte Ausbildung ſchon am Ende des vorigen Jahrhunderts (Polizei- vorſchriften bei Berg, I. 20. IV. 13. 610). Syſtem des gegenwärtigen Jahr- hunderts nach dem Vorbilde von Frankreich auf Grundlage des Bundesbe- ſchluſſes vom 5. Juli 1832 bei Zachariä, Deutſches Staats- und Bundes- recht II. 164. Die ſtaatswiſſenſchaftliche Literatur hat ſich um das Ganze wenig gekümmert; Mohl (Präventivjuſtiz S. 116) ſehr einſeitig.
Geſetzgebung. Frankreich. Aufhebung des Paßweſens. Geſetz vom 14. September 1791; Herſtellung (Decret vom 6. Februar 1793, 10. Vend. an IV und 17. November 1797). Definitive Ordnung (Decret vom 18. Sep- tember 1807); Erlaubniß zu inneren Reiſen; Recht zur Ausweiſung der Fremden (Geſetz vom 19. October 1797); Verpflichtung der Conſtatirung der
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oder nicht. Dabei wurde jedoch in den meiſten Staaten die obligate
Legitimation mit ſpecieller Beziehung auf das Heimathsrecht, das
eigentliche Meldungsweſen, in den Gemeinden beibehalten, obwohl
ſein Werth in der Praxis höchſt zweifelhaft iſt. Das facultative Legi-
timationsweſen durch obrigkeitliche Päſſe ward dagegen im Intereſſe
des immer lebendiger ſich geſtaltenden perſönlichen Verkehrs in immer
einfachere Formen gebracht; entſcheidend war dafür der Grundſatz,
daß man nicht mehr für die einzelne Reiſe einen einzelnen Paß, ſon-
dern überhaupt nur eine individuelle Legitimation brauche, oder das
Eintreten der Paßkarten für alle Ueberſchreitungen der äußeren
Gränze, der Legitimationskarten für jeden Aufenthalt im In-
nern. Daß ſich dabei jeder Staat das Recht vorbehält, nöthigenfalls
das ſtrenge Erlaubnißſyſtem wieder herzuſtellen, bleibt ſelbſtverſtändlich.
Daneben wurden die Fremdenbücher der Gaſthäuſer für nächtlichen
Aufenthalt neu geordnet, während wieder in einzelnen Staaten die
Erlaubniß zum längeren Aufenthalte durch eine „Aufenthaltskarte“
gegeben werden muß, und die „Wanderbücher“ und „Hauſirpäſſe“
für ihre ſpeciellen Zwecke noch beſtehen bleiben. Man erkennt leicht
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bis jetzt weder vollſtändig noch gleichmäßig in Europa vollzogen iſt,
während es wiederum nicht als zweckmäßig erſcheint, das ganze Paß-
und Legitimationsweſen mit der bezeichneten facultativen Benützung
wie in England und Nordamerika aufzuheben.
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Syſtem des Geleitsrechts nach dem Landfrieden 1548 und dem weſtphäli-
ſchen Frieden (Art. IX und Art. V.) bei Moſer, Nachbarliches Staatsrecht,
S. 676 ff. Die Literatur des vorigen Jahrhunderts iſt faſt durchgehend gegen
das polizeiliche Paßweſen, das damals eigentlich erſt entſtand. Berg, Polizei-
recht II. 59. IV. 26. Niemann, Blätter für Politik und Cultur 1861.
Daneben Anerkennung der Nothwendigkeit des inneren Legitimationsweſens
und detaillirte Ausbildung ſchon am Ende des vorigen Jahrhunderts (Polizei-
vorſchriften bei Berg, I. 20. IV. 13. 610). Syſtem des gegenwärtigen Jahr-
hunderts nach dem Vorbilde von Frankreich auf Grundlage des Bundesbe-
ſchluſſes vom 5. Juli 1832 bei Zachariä, Deutſches Staats- und Bundes-
recht II. 164. Die ſtaatswiſſenſchaftliche Literatur hat ſich um das Ganze
wenig gekümmert; Mohl (Präventivjuſtiz S. 116) ſehr einſeitig.
Geſetzgebung. Frankreich. Aufhebung des Paßweſens. Geſetz vom
14. September 1791; Herſtellung (Decret vom 6. Februar 1793, 10. Vend.
an IV und 17. November 1797). Definitive Ordnung (Decret vom 18. Sep-
tember 1807); Erlaubniß zu inneren Reiſen; Recht zur Ausweiſung der
Fremden (Geſetz vom 19. October 1797); Verpflichtung der Conſtatirung der
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/96>, abgerufen am 25.11.2024.
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