Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.thatsächlich vollständig getrennt, und sich selbst überlassen ist. Um daher Frankreich hat auch hier die Idee des gesellschaftlichen Versiche- Nur in Deutschland hat man von Anfang an richtig erkannt, Literatur: Zuerst bei Gerando III. 57 mit Vergleichung (societes thatſächlich vollſtändig getrennt, und ſich ſelbſt überlaſſen iſt. Um daher Frankreich hat auch hier die Idee des geſellſchaftlichen Verſiche- Nur in Deutſchland hat man von Anfang an richtig erkannt, Literatur: Zuerſt bei Gerando III. 57 mit Vergleichung (sociétés <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0475" n="451"/> thatſächlich vollſtändig getrennt, und ſich ſelbſt überlaſſen iſt. Um daher<lb/> zu dem letzteren zu gelangen, haben die Capitalloſen ſich <hi rendition="#g">unter ein-<lb/> ander</hi> Verſicherungen, die natürlich <hi rendition="#g">nur</hi> auf Gegenſeitigkeit beruhen<lb/> können, <hi rendition="#g">ſelbſt gegründet</hi> und verwalten ſie ſelbſt; und dieſe eng-<lb/> liſchen Verſicherungsvereine des Nichtbeſitzers ſind die <hi rendition="#aq">friendly societies.</hi><lb/> Ihr Princip iſt eben deßhalb viel beſſer als ihre Verwaltung.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Frankreich</hi> hat auch hier die Idee des geſellſchaftlichen Verſiche-<lb/> rungsweſens als <hi rendition="#aq">Association mutuelle</hi> und <hi rendition="#aq">Prévoyance</hi> lebhaft aufge-<lb/> griffen, allein eben deßhalb dieſelbe nur auf die <hi rendition="#g">kleinen</hi> Capitalien<lb/> und ihre Gegenſeitigkeit beſchränkt, <hi rendition="#g">ohne</hi> jedoch wie in England dem<lb/> Vereinsweſen vollkommen freie Bahn zu laſſen. Die Folge von dieſem<lb/> Widerſpruch zwiſchen abſtraktem Princip und formalem Recht iſt eine<lb/> ſchöne Literatur, aber faſt völliger Mangel an wirklichen kleinen, ſelb-<lb/> ſtändigen Verſicherungsgeſellſchaften, ſo daß auch hier die Regierung<lb/> hat einſchreiten und das geſellſchaftliche Verſicherungsweſen der nicht-<lb/> beſitzenden Claſſe als <hi rendition="#aq">Caisse des retrait</hi> hat organiſiren müſſen.</p><lb/> <p>Nur in <hi rendition="#g">Deutſchland</hi> hat man von Anfang an richtig erkannt,<lb/> daß das Verſicherungsweſen der Nichtbeſitzer nur in Verbindung mit<lb/> dem des Capitals gedeihen könne. Deutſchland hat daher in ſeinem<lb/> Verſicherungsweſen den Fehler Englands in der Ausſcheidung der kleinen<lb/> Beträge, und den Fehler Frankreichs in der gouvernementalen Verſiche-<lb/> rung vermieden. Es hat ferner in ſein Verſicherungsweſen neben den<lb/> kleinſten Summen zugleich alle <hi rendition="#g">Eventualitäten</hi> der Nothfälle auf-<lb/> genommen, und die geſchäftlich richtige Berechnung des Prämienſyſtemes<lb/> ſo ſtreng durchgeführt, daß das deutſche Verſicherungsweſen als das<lb/><hi rendition="#g">beſte der Welt</hi> auch in ſeiner geſellſchaftlichen Beziehung unzweifel-<lb/> haft anerkannt werden muß. Erſt durch dieß ausgezeichnete Syſtem iſt<lb/> es endlich möglich, den Begriff und Inhalt der <hi rendition="#g">Selbſthülfe</hi> von<lb/> dem des Hülfskaſſenweſens, der in England und Frankreich beſtändig<lb/> damit verſchmolzen iſt, zu ſcheiden, und ſelbſtändig darzuſtellen. Das<lb/> deutſche Verſicherungsweſen aber zeigt auf dieſe Weiſe in einem der<lb/> wichtigſten Gebiete, wie die <hi rendition="#g">Harmonie der Intereſſen</hi> zwiſchen<lb/> Beſitz und Nichtbeſitz ſich bei wohlverſtandener Entwicklung des geſell-<lb/> ſchaftlichen Lebens von ſelbſt vollzieht.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Literatur: Zuerſt</hi> bei <hi rendition="#g">Gerando</hi> <hi rendition="#aq">III.</hi> 57 mit Vergleichung (<hi rendition="#aq">sociétés<lb/> de prévoyance,</hi> jedoch ohne Verſtändniß des Verſicherungsweſens). — Für<lb/><hi rendition="#g">England</hi> zuerſt <hi rendition="#g">Eden</hi>, <hi rendition="#aq">State of the poor (1797) I. ch.</hi> 3.; vergl. <hi rendition="#g">Hobbard</hi>,<lb/><hi rendition="#aq">de l’organisation des sociétés de prévoyance</hi> 1852, und <hi rendition="#g">Em. Laurent</hi><lb/> a. a. O. <hi rendition="#aq">ch. IV; sociétés de secours mutuels</hi> (1865), beide die nichtbeſitzende<lb/> Claſſe <hi rendition="#g">für ſich</hi> betrachtend. Dieſen Elementen entſpricht auch der Charakter<lb/> der Geſetzgebung in dieſen Ländern.</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [451/0475]
thatſächlich vollſtändig getrennt, und ſich ſelbſt überlaſſen iſt. Um daher
zu dem letzteren zu gelangen, haben die Capitalloſen ſich unter ein-
ander Verſicherungen, die natürlich nur auf Gegenſeitigkeit beruhen
können, ſelbſt gegründet und verwalten ſie ſelbſt; und dieſe eng-
liſchen Verſicherungsvereine des Nichtbeſitzers ſind die friendly societies.
Ihr Princip iſt eben deßhalb viel beſſer als ihre Verwaltung.
Frankreich hat auch hier die Idee des geſellſchaftlichen Verſiche-
rungsweſens als Association mutuelle und Prévoyance lebhaft aufge-
griffen, allein eben deßhalb dieſelbe nur auf die kleinen Capitalien
und ihre Gegenſeitigkeit beſchränkt, ohne jedoch wie in England dem
Vereinsweſen vollkommen freie Bahn zu laſſen. Die Folge von dieſem
Widerſpruch zwiſchen abſtraktem Princip und formalem Recht iſt eine
ſchöne Literatur, aber faſt völliger Mangel an wirklichen kleinen, ſelb-
ſtändigen Verſicherungsgeſellſchaften, ſo daß auch hier die Regierung
hat einſchreiten und das geſellſchaftliche Verſicherungsweſen der nicht-
beſitzenden Claſſe als Caisse des retrait hat organiſiren müſſen.
Nur in Deutſchland hat man von Anfang an richtig erkannt,
daß das Verſicherungsweſen der Nichtbeſitzer nur in Verbindung mit
dem des Capitals gedeihen könne. Deutſchland hat daher in ſeinem
Verſicherungsweſen den Fehler Englands in der Ausſcheidung der kleinen
Beträge, und den Fehler Frankreichs in der gouvernementalen Verſiche-
rung vermieden. Es hat ferner in ſein Verſicherungsweſen neben den
kleinſten Summen zugleich alle Eventualitäten der Nothfälle auf-
genommen, und die geſchäftlich richtige Berechnung des Prämienſyſtemes
ſo ſtreng durchgeführt, daß das deutſche Verſicherungsweſen als das
beſte der Welt auch in ſeiner geſellſchaftlichen Beziehung unzweifel-
haft anerkannt werden muß. Erſt durch dieß ausgezeichnete Syſtem iſt
es endlich möglich, den Begriff und Inhalt der Selbſthülfe von
dem des Hülfskaſſenweſens, der in England und Frankreich beſtändig
damit verſchmolzen iſt, zu ſcheiden, und ſelbſtändig darzuſtellen. Das
deutſche Verſicherungsweſen aber zeigt auf dieſe Weiſe in einem der
wichtigſten Gebiete, wie die Harmonie der Intereſſen zwiſchen
Beſitz und Nichtbeſitz ſich bei wohlverſtandener Entwicklung des geſell-
ſchaftlichen Lebens von ſelbſt vollzieht.
Literatur: Zuerſt bei Gerando III. 57 mit Vergleichung (sociétés
de prévoyance, jedoch ohne Verſtändniß des Verſicherungsweſens). — Für
England zuerſt Eden, State of the poor (1797) I. ch. 3.; vergl. Hobbard,
de l’organisation des sociétés de prévoyance 1852, und Em. Laurent
a. a. O. ch. IV; sociétés de secours mutuels (1865), beide die nichtbeſitzende
Claſſe für ſich betrachtend. Dieſen Elementen entſpricht auch der Charakter
der Geſetzgebung in dieſen Ländern.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |