einen, die Bekämpfung der gesellschaftlichen Noth auf der andern Seite. Allein ihr Inhalt ist die Fähigkeit für den Einzelnen, durch sein per- sönliches Capital zu einem wirthschaftlichen zu gelangen; ihre Verwirk- lichung ist der wirkliche Erwerb eines Capitals. Dieser Verwirklichung gegenüber stehen nun nicht nur das Interesse des Capitals überhaupt, das die capitallose Erwerbsfähigkeit für sich ausbeuten will, sondern auch das Gesetz, nach welchem das große Capital das kleine in der Mitwerbung überwinden muß, das Größengesetz der Capitalien. Aus diesem Gegensatz entsteht nun ein tiefer Widerspruch in der Gesellschaft, der die freie Entwicklung derselben hemmt, und der zugleich als wirth- schaftliche und damit zuletzt auch persönliche Unfreiheit von den Ein- zelnen gefühlt wird. Aus dem Widerspruch entwickelt sich eine Gefahr; aus der Gefahr die Frage, wie dieselbe zu lösen ist; und diese Frage, wie die capitallose Arbeit zur wirthschaftlichen Selbstän- digkeit durch den Erwerb des Capitals gelangen könne, ist die sociale Frage.
Es ist daher klar, daß diese Frage etwas wesentlich verschiedenes von der Armenfrage ist. Es ist aber auch klar, daß auch sie einen hochwichtigen, und zwar selbständigen Theil der Verwaltung bildet. Und die Gesammtheit von Thätigkeiten und Anstalten der Gemeinschaft und des Staats zur Lösung dieser Frage bildet die Verwaltung des gesellschaftlichen Fortschrittes.
Dieselbe hat nun wie jedes andere selbständige Gebiet ihre eigene Geschichte, ihren eigenen Organismus und ihr eigenes System, das sich freilich erst in unserer Zeit organisch zu entwickeln beginnt.
Allerdings aber knüpft sich daran nun die Frage, ob der Staat, der doch auch die socialen Interessen der aufsteigenden Bewegung ver- tritt, diese letztere sich ganz selbst überlassen solle. Und hier ist der Punkt, wo noch bisher die volle Klarheit nicht eingetreten ist; die Frage der nächsten Zukunft ist die Frage nach der Gränze der Staats- verwaltung in der socialen Bewegung. Eine solche Gränze ist aber nur durch ein Princip möglich. Und je weiter wir kommen, je be- stimmter entwickelt sich dasselbe. Das Wesen der socialen Verwal- tung besteht darin, daß nicht etwa ein einzelnes bestimmtes Gebiet, sondern daß die ganze Verwaltung auf allen Punkten von dem Princip durchdrungen und durchgeistigt sei, den arbeitenden Classen alle diejenigen Bedingungen der Entwicklung zu bieten, welche sie sich durch den Mangel an Capital sowohl für ihre physische wie für ihre geistige Erwerbsfähigkeit nicht selbst schaffen können, dagegen den wirklichen Erwerb des Capitals derselben selbst zu überlassen. Es gibt daher kein specielles System der socialen Verwaltung über die
einen, die Bekämpfung der geſellſchaftlichen Noth auf der andern Seite. Allein ihr Inhalt iſt die Fähigkeit für den Einzelnen, durch ſein per- ſönliches Capital zu einem wirthſchaftlichen zu gelangen; ihre Verwirk- lichung iſt der wirkliche Erwerb eines Capitals. Dieſer Verwirklichung gegenüber ſtehen nun nicht nur das Intereſſe des Capitals überhaupt, das die capitalloſe Erwerbsfähigkeit für ſich ausbeuten will, ſondern auch das Geſetz, nach welchem das große Capital das kleine in der Mitwerbung überwinden muß, das Größengeſetz der Capitalien. Aus dieſem Gegenſatz entſteht nun ein tiefer Widerſpruch in der Geſellſchaft, der die freie Entwicklung derſelben hemmt, und der zugleich als wirth- ſchaftliche und damit zuletzt auch perſönliche Unfreiheit von den Ein- zelnen gefühlt wird. Aus dem Widerſpruch entwickelt ſich eine Gefahr; aus der Gefahr die Frage, wie dieſelbe zu löſen iſt; und dieſe Frage, wie die capitalloſe Arbeit zur wirthſchaftlichen Selbſtän- digkeit durch den Erwerb des Capitals gelangen könne, iſt die ſociale Frage.
Es iſt daher klar, daß dieſe Frage etwas weſentlich verſchiedenes von der Armenfrage iſt. Es iſt aber auch klar, daß auch ſie einen hochwichtigen, und zwar ſelbſtändigen Theil der Verwaltung bildet. Und die Geſammtheit von Thätigkeiten und Anſtalten der Gemeinſchaft und des Staats zur Löſung dieſer Frage bildet die Verwaltung des geſellſchaftlichen Fortſchrittes.
Dieſelbe hat nun wie jedes andere ſelbſtändige Gebiet ihre eigene Geſchichte, ihren eigenen Organismus und ihr eigenes Syſtem, das ſich freilich erſt in unſerer Zeit organiſch zu entwickeln beginnt.
Allerdings aber knüpft ſich daran nun die Frage, ob der Staat, der doch auch die ſocialen Intereſſen der aufſteigenden Bewegung ver- tritt, dieſe letztere ſich ganz ſelbſt überlaſſen ſolle. Und hier iſt der Punkt, wo noch bisher die volle Klarheit nicht eingetreten iſt; die Frage der nächſten Zukunft iſt die Frage nach der Gränze der Staats- verwaltung in der ſocialen Bewegung. Eine ſolche Gränze iſt aber nur durch ein Princip möglich. Und je weiter wir kommen, je be- ſtimmter entwickelt ſich daſſelbe. Das Weſen der ſocialen Verwal- tung beſteht darin, daß nicht etwa ein einzelnes beſtimmtes Gebiet, ſondern daß die ganze Verwaltung auf allen Punkten von dem Princip durchdrungen und durchgeiſtigt ſei, den arbeitenden Claſſen alle diejenigen Bedingungen der Entwicklung zu bieten, welche ſie ſich durch den Mangel an Capital ſowohl für ihre phyſiſche wie für ihre geiſtige Erwerbsfähigkeit nicht ſelbſt ſchaffen können, dagegen den wirklichen Erwerb des Capitals derſelben ſelbſt zu überlaſſen. Es gibt daher kein ſpecielles Syſtem der ſocialen Verwaltung über die
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einen, die Bekämpfung der geſellſchaftlichen Noth auf der andern Seite.
Allein ihr Inhalt iſt die Fähigkeit für den Einzelnen, durch ſein per-
ſönliches Capital zu einem wirthſchaftlichen zu gelangen; ihre Verwirk-
lichung iſt der wirkliche Erwerb eines Capitals. Dieſer Verwirklichung
gegenüber ſtehen nun nicht nur das Intereſſe des Capitals überhaupt,
das die capitalloſe Erwerbsfähigkeit für ſich ausbeuten will, ſondern
auch das Geſetz, nach welchem das große Capital das kleine in der
Mitwerbung überwinden muß, das Größengeſetz der Capitalien. Aus
dieſem Gegenſatz entſteht nun ein tiefer Widerſpruch in der Geſellſchaft,
der die freie Entwicklung derſelben hemmt, und der zugleich als wirth-
ſchaftliche und damit zuletzt auch perſönliche Unfreiheit von den Ein-
zelnen gefühlt wird. Aus dem Widerſpruch entwickelt ſich eine Gefahr;
aus der Gefahr die Frage, wie dieſelbe zu löſen iſt; und dieſe Frage,
wie die capitalloſe Arbeit zur wirthſchaftlichen Selbſtän-
digkeit durch den Erwerb des Capitals gelangen könne, iſt die
ſociale Frage.
Es iſt daher klar, daß dieſe Frage etwas weſentlich verſchiedenes
von der Armenfrage iſt. Es iſt aber auch klar, daß auch ſie einen
hochwichtigen, und zwar ſelbſtändigen Theil der Verwaltung bildet.
Und die Geſammtheit von Thätigkeiten und Anſtalten der Gemeinſchaft
und des Staats zur Löſung dieſer Frage bildet die Verwaltung
des geſellſchaftlichen Fortſchrittes.
Dieſelbe hat nun wie jedes andere ſelbſtändige Gebiet ihre eigene
Geſchichte, ihren eigenen Organismus und ihr eigenes Syſtem, das
ſich freilich erſt in unſerer Zeit organiſch zu entwickeln beginnt.
Allerdings aber knüpft ſich daran nun die Frage, ob der Staat,
der doch auch die ſocialen Intereſſen der aufſteigenden Bewegung ver-
tritt, dieſe letztere ſich ganz ſelbſt überlaſſen ſolle. Und hier iſt der
Punkt, wo noch bisher die volle Klarheit nicht eingetreten iſt; die
Frage der nächſten Zukunft iſt die Frage nach der Gränze der Staats-
verwaltung in der ſocialen Bewegung. Eine ſolche Gränze iſt aber
nur durch ein Princip möglich. Und je weiter wir kommen, je be-
ſtimmter entwickelt ſich daſſelbe. Das Weſen der ſocialen Verwal-
tung beſteht darin, daß nicht etwa ein einzelnes beſtimmtes Gebiet,
ſondern daß die ganze Verwaltung auf allen Punkten von dem Princip
durchdrungen und durchgeiſtigt ſei, den arbeitenden Claſſen alle
diejenigen Bedingungen der Entwicklung zu bieten, welche ſie ſich
durch den Mangel an Capital ſowohl für ihre phyſiſche wie für ihre
geiſtige Erwerbsfähigkeit nicht ſelbſt ſchaffen können, dagegen
den wirklichen Erwerb des Capitals derſelben ſelbſt zu überlaſſen. Es
gibt daher kein ſpecielles Syſtem der ſocialen Verwaltung über die
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/464>, abgerufen am 24.11.2024.
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