betreffenden Unterstützung; die Folge ist der schließliche, jedoch natürlich wenig praktische Grundsatz, daß diese Unterstützung selbst nur als Vorschuß behandelt wird. Alle diese drei Punkte werden nun ge- wöhnlich nur vom Standpunkte der eigentlichen Armenpflege betrachtet, obwohl sie bei allen Arten der letzteren vorkommen, allerdings aber bei jeder eine andere Gestalt annehmen. Dieß Recht nun hat seine historischen Grundformen durchgemacht, und ist auch jetzt noch im Wer- den begriffen. Ursprünglich ist es nur ein sittlicher Anspruch, den der Einzelne hat, und seine Befriedigung ist freie Gewährung. Dann treten an die Stelle der letzteren gewisse Regeln der betreffenden Anstalten, die aber noch keinen Anspruch des einzelnen Armen begrün- den. Dann wird die Armenpflicht eine öffentlich rechtliche Verpflich- tung der Armenorgane, zu deren Erfüllung dieselben gezwungen werden können; damit entsteht zugleich der erste Zweifel an einer solchen Verpflichtung und der feste Begriff der charite legale, die übrigens nur ausnahmsweise als privatrechtlicher Anspruch auf Unterstützung anerkannt wird. Die Voraussetzung des letzteren ist allerdings die strenge Unterscheidung zwischen dem Armenwesen und dem Hülfswesen des gesellschaftlichen Fortschrittes, und die Leistungen, auf welche der Arme ein Recht hat, sind natürlich sehr verschieden je nach der Anstalt, um die es sich handelt. Wohl aber wäre es nothwendig, dieß ganze Rechtsverhältniß als gesetzliches Armenverfahren durch ein Gesetz fest- zustellen, und für alle Anstalten zu ordnen.
Das Heimathswesen und -Recht hat eine lange und mit vielen Kämpfen durchwobene Geschichte, s. Stein, Innere Verwaltung, 1. Theil (Bevölke- rungswesen S. 272) englische, französische und deutsche Rechtszustände (vergl. dazu Döhl, die Niederlassung des preußischen Staats oder das Gesetz vom 31. Dec. 1842 und dessen Armenpflege des preuß. Staates von S. 131 bis 171. Engl. Heimathswesen: Kries §. 22 ff.; die Peels Settlements Act §. 26; Emminghaus a. a. O. S. 13). -- Das französische Heimathswesen Block bei Emminghaus S. 601 ff. -- Oesterreich: Heimathsgesetz vom 3. Dec. 1803 als Corollar zum Gemeindegesetz vom 5. März 1862. -- Das Armenrecht im engeren Sinne ist noch wenig ausgebildet. Direkte Negation des Rechts der Armen: RauII. §. 339 und Literatur. In England ist ein Privat- und Klagerecht auf die Unterstützung anerkannt (Kries §. 27); Klagerecht in Schottland (Kries a. a. O. S. 168. 169). Frankreich versagt ein solches Privat- recht ausdrücklich, und erkennt nur bei Irren und Findelkindern eine bestimmte Verpflichtung (vergl. Emminghaus S. 12. 13). Die deutschen Gesetze stehen auf dem Standpunkt der öffentlichen Verpflichtung und Erzwingung durch die Behörde, ohne privatrechtlichen Anspruch; die meisten übergehen die Frage stillschweigend; vergl. das preuß. Recht, das ein verfolgbares Recht auf Alimen- tation nur sehr beschränkt einräumt (RönneII. §. 340. 341).
betreffenden Unterſtützung; die Folge iſt der ſchließliche, jedoch natürlich wenig praktiſche Grundſatz, daß dieſe Unterſtützung ſelbſt nur als Vorſchuß behandelt wird. Alle dieſe drei Punkte werden nun ge- wöhnlich nur vom Standpunkte der eigentlichen Armenpflege betrachtet, obwohl ſie bei allen Arten der letzteren vorkommen, allerdings aber bei jeder eine andere Geſtalt annehmen. Dieß Recht nun hat ſeine hiſtoriſchen Grundformen durchgemacht, und iſt auch jetzt noch im Wer- den begriffen. Urſprünglich iſt es nur ein ſittlicher Anſpruch, den der Einzelne hat, und ſeine Befriedigung iſt freie Gewährung. Dann treten an die Stelle der letzteren gewiſſe Regeln der betreffenden Anſtalten, die aber noch keinen Anſpruch des einzelnen Armen begrün- den. Dann wird die Armenpflicht eine öffentlich rechtliche Verpflich- tung der Armenorgane, zu deren Erfüllung dieſelben gezwungen werden können; damit entſteht zugleich der erſte Zweifel an einer ſolchen Verpflichtung und der feſte Begriff der charité légale, die übrigens nur ausnahmsweiſe als privatrechtlicher Anſpruch auf Unterſtützung anerkannt wird. Die Vorausſetzung des letzteren iſt allerdings die ſtrenge Unterſcheidung zwiſchen dem Armenweſen und dem Hülfsweſen des geſellſchaftlichen Fortſchrittes, und die Leiſtungen, auf welche der Arme ein Recht hat, ſind natürlich ſehr verſchieden je nach der Anſtalt, um die es ſich handelt. Wohl aber wäre es nothwendig, dieß ganze Rechtsverhältniß als geſetzliches Armenverfahren durch ein Geſetz feſt- zuſtellen, und für alle Anſtalten zu ordnen.
Das Heimathsweſen und -Recht hat eine lange und mit vielen Kämpfen durchwobene Geſchichte, ſ. Stein, Innere Verwaltung, 1. Theil (Bevölke- rungsweſen S. 272) engliſche, franzöſiſche und deutſche Rechtszuſtände (vergl. dazu Döhl, die Niederlaſſung des preußiſchen Staats oder das Geſetz vom 31. Dec. 1842 und deſſen Armenpflege des preuß. Staates von S. 131 bis 171. Engl. Heimathsweſen: Kries §. 22 ff.; die Peels Settlements Act §. 26; Emminghaus a. a. O. S. 13). — Das franzöſiſche Heimathsweſen Block bei Emminghaus S. 601 ff. — Oeſterreich: Heimathsgeſetz vom 3. Dec. 1803 als Corollar zum Gemeindegeſetz vom 5. März 1862. — Das Armenrecht im engeren Sinne iſt noch wenig ausgebildet. Direkte Negation des Rechts der Armen: RauII. §. 339 und Literatur. In England iſt ein Privat- und Klagerecht auf die Unterſtützung anerkannt (Kries §. 27); Klagerecht in Schottland (Kries a. a. O. S. 168. 169). Frankreich verſagt ein ſolches Privat- recht ausdrücklich, und erkennt nur bei Irren und Findelkindern eine beſtimmte Verpflichtung (vergl. Emminghaus S. 12. 13). Die deutſchen Geſetze ſtehen auf dem Standpunkt der öffentlichen Verpflichtung und Erzwingung durch die Behörde, ohne privatrechtlichen Anſpruch; die meiſten übergehen die Frage ſtillſchweigend; vergl. das preuß. Recht, das ein verfolgbares Recht auf Alimen- tation nur ſehr beſchränkt einräumt (RönneII. §. 340. 341).
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wenig praktiſche Grundſatz, daß dieſe Unterſtützung ſelbſt nur als
Vorſchuß behandelt wird. Alle dieſe drei Punkte werden nun ge-
wöhnlich nur vom Standpunkte der eigentlichen Armenpflege betrachtet,
obwohl ſie bei allen Arten der letzteren vorkommen, allerdings aber
bei jeder eine andere Geſtalt annehmen. Dieß Recht nun hat ſeine
hiſtoriſchen Grundformen durchgemacht, und iſt auch jetzt noch im Wer-
den begriffen. Urſprünglich iſt es nur ein ſittlicher Anſpruch, den der
Einzelne hat, und ſeine Befriedigung iſt freie Gewährung. Dann
treten an die Stelle der letzteren gewiſſe Regeln der betreffenden
Anſtalten, die aber noch keinen Anſpruch des einzelnen Armen begrün-
den. Dann wird die Armenpflicht eine öffentlich rechtliche Verpflich-
tung der Armenorgane, zu deren Erfüllung dieſelben gezwungen werden
können; damit entſteht zugleich der erſte Zweifel an einer ſolchen
Verpflichtung und der feſte Begriff der charité légale, die übrigens
nur ausnahmsweiſe als privatrechtlicher Anſpruch auf Unterſtützung
anerkannt wird. Die Vorausſetzung des letzteren iſt allerdings die
ſtrenge Unterſcheidung zwiſchen dem Armenweſen und dem Hülfsweſen
des geſellſchaftlichen Fortſchrittes, und die Leiſtungen, auf welche der
Arme ein Recht hat, ſind natürlich ſehr verſchieden je nach der Anſtalt,
um die es ſich handelt. Wohl aber wäre es nothwendig, dieß ganze
Rechtsverhältniß als geſetzliches Armenverfahren durch ein Geſetz feſt-
zuſtellen, und für alle Anſtalten zu ordnen.
Das Heimathsweſen und -Recht hat eine lange und mit vielen Kämpfen
durchwobene Geſchichte, ſ. Stein, Innere Verwaltung, 1. Theil (Bevölke-
rungsweſen S. 272) engliſche, franzöſiſche und deutſche Rechtszuſtände
(vergl. dazu Döhl, die Niederlaſſung des preußiſchen Staats oder das Geſetz
vom 31. Dec. 1842 und deſſen Armenpflege des preuß. Staates von S. 131
bis 171. Engl. Heimathsweſen: Kries §. 22 ff.; die Peels Settlements Act
§. 26; Emminghaus a. a. O. S. 13). — Das franzöſiſche Heimathsweſen
Block bei Emminghaus S. 601 ff. — Oeſterreich: Heimathsgeſetz vom
3. Dec. 1803 als Corollar zum Gemeindegeſetz vom 5. März 1862. — Das
Armenrecht im engeren Sinne iſt noch wenig ausgebildet. Direkte Negation des
Rechts der Armen: Rau II. §. 339 und Literatur. In England iſt ein Privat-
und Klagerecht auf die Unterſtützung anerkannt (Kries §. 27); Klagerecht in
Schottland (Kries a. a. O. S. 168. 169). Frankreich verſagt ein ſolches Privat-
recht ausdrücklich, und erkennt nur bei Irren und Findelkindern eine beſtimmte
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auf dem Standpunkt der öffentlichen Verpflichtung und Erzwingung durch
die Behörde, ohne privatrechtlichen Anſpruch; die meiſten übergehen die Frage
ſtillſchweigend; vergl. das preuß. Recht, das ein verfolgbares Recht auf Alimen-
tation nur ſehr beſchränkt einräumt (Rönne II. §. 340. 341).
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/455>, abgerufen am 23.11.2024.
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