Der Trieb, aus der Familie ein Geschlecht zu bilden, ist daher nicht bloß hoch achtbar an sich, sondern für das Gesammtleben höchst werth- voll. Die Geschlechterbildung selbst vollzieht sich demnach durch die Natur der Familie; sie ist kein Gegenstand weder der Gesetzgebung noch der Verwaltung, sondern ein freier Proceß in der gesellschaftlichen Welt, der allen edleren Völkern und Zeiten gemeinsam ist. Erst da, wo der Adel beginnt, ändert er seinen Charakter und sein Recht.
2) Der Adel entsteht, indem das Geschlecht durch seine innere Kraft sich dauernd derjenigen öffentlichen Stellung bemächtigt, deren Besitz die Ehre und die Macht der Familie ausmacht. Der dauernde Besitz derselben erzeugt dann das Streben, das Recht auf eine solche Stellung erblich zu machen; die Gesammtheit derer, welche auf diese Weise den erblichen Besitz der öffentlich leitenden Stellung für sich ge- winnen, bilden dann eine Gemeinschaft, welche wir dann die "Ge- schlechter" nennen; diejenige Ordnung, nach welcher die Herrschaft auf diese Weise in den Besitz der Geschlechter kommt, nennen wir die "Ge- schlechterherrschaft," und die einzelnen dazu gehörigen Familien bilden den "Adel" im weitern Sinne des Wortes. Im engern und eigent- lichen Sinne nennen wir den Adel dagegen diejenigen Familien und Geschlechter, die vermöge des grundherrlichen Besitzes und seiner Rechte die Herrschaft ausüben; die Bezeichnung "von" bedeutet eben den Besitz der Grundherrschaft als Basis der herrschenden Stellung. Es hat daher herrschende Geschlechter bei allen Völkern gegeben, Adel dagegen nur da, wo es eine Grundherrlichkeit mit ihren Rechten gab, also bei den germanischen Völkerschaften.
Aus diesem an sich natürlichen, auf dem Wesen des Geschlechts beruhenden Verhältniß entwickelt sich nun vermöge des Sonderinteresses diejenige Rechtsbildung, welche das Angehören an das Geschlecht zur ausschließlichen Bedingung für die Theilnahme an gewissen Zweigen der Staatsgewalt macht. So entsteht aus der Thatsache des Geschlechts und des Adels das Vorrecht desselben. An dieses Vorrecht des Adels schließt sich, so wie es einmal besteht, ein System von Rechtsbestimmungen über die Vorrechte, welche auch ohne Besitz mit der bloßen Abstammung von dem herrschenden Geschlecht verbun- den sind, namentlich über das Gericht, das Adelsprädikat, das Wappen, die Siegel u. s. w. Diese Rechtsbildung nun ist es, welche mit der freien Bewegung der Gesellschaft und zugleich mit den höheren Bedürf- nissen der fortschreitenden Gesittung in Widerspruch tritt, da sie die Berechtigung zu bestimmten öffentlichen Stellungen nicht mehr von der persönlichen Fähigkeit, sondern von dem Zufall der Geburt abhängig macht, und so eine Ungleichheit rechtlich normirt, welche die Kraft und
Der Trieb, aus der Familie ein Geſchlecht zu bilden, iſt daher nicht bloß hoch achtbar an ſich, ſondern für das Geſammtleben höchſt werth- voll. Die Geſchlechterbildung ſelbſt vollzieht ſich demnach durch die Natur der Familie; ſie iſt kein Gegenſtand weder der Geſetzgebung noch der Verwaltung, ſondern ein freier Proceß in der geſellſchaftlichen Welt, der allen edleren Völkern und Zeiten gemeinſam iſt. Erſt da, wo der Adel beginnt, ändert er ſeinen Charakter und ſein Recht.
2) Der Adel entſteht, indem das Geſchlecht durch ſeine innere Kraft ſich dauernd derjenigen öffentlichen Stellung bemächtigt, deren Beſitz die Ehre und die Macht der Familie ausmacht. Der dauernde Beſitz derſelben erzeugt dann das Streben, das Recht auf eine ſolche Stellung erblich zu machen; die Geſammtheit derer, welche auf dieſe Weiſe den erblichen Beſitz der öffentlich leitenden Stellung für ſich ge- winnen, bilden dann eine Gemeinſchaft, welche wir dann die „Ge- ſchlechter“ nennen; diejenige Ordnung, nach welcher die Herrſchaft auf dieſe Weiſe in den Beſitz der Geſchlechter kommt, nennen wir die „Ge- ſchlechterherrſchaft,“ und die einzelnen dazu gehörigen Familien bilden den „Adel“ im weitern Sinne des Wortes. Im engern und eigent- lichen Sinne nennen wir den Adel dagegen diejenigen Familien und Geſchlechter, die vermöge des grundherrlichen Beſitzes und ſeiner Rechte die Herrſchaft ausüben; die Bezeichnung „von“ bedeutet eben den Beſitz der Grundherrſchaft als Baſis der herrſchenden Stellung. Es hat daher herrſchende Geſchlechter bei allen Völkern gegeben, Adel dagegen nur da, wo es eine Grundherrlichkeit mit ihren Rechten gab, alſo bei den germaniſchen Völkerſchaften.
Aus dieſem an ſich natürlichen, auf dem Weſen des Geſchlechts beruhenden Verhältniß entwickelt ſich nun vermöge des Sonderintereſſes diejenige Rechtsbildung, welche das Angehören an das Geſchlecht zur ausſchließlichen Bedingung für die Theilnahme an gewiſſen Zweigen der Staatsgewalt macht. So entſteht aus der Thatſache des Geſchlechts und des Adels das Vorrecht deſſelben. An dieſes Vorrecht des Adels ſchließt ſich, ſo wie es einmal beſteht, ein Syſtem von Rechtsbeſtimmungen über die Vorrechte, welche auch ohne Beſitz mit der bloßen Abſtammung von dem herrſchenden Geſchlecht verbun- den ſind, namentlich über das Gericht, das Adelsprädikat, das Wappen, die Siegel u. ſ. w. Dieſe Rechtsbildung nun iſt es, welche mit der freien Bewegung der Geſellſchaft und zugleich mit den höheren Bedürf- niſſen der fortſchreitenden Geſittung in Widerſpruch tritt, da ſie die Berechtigung zu beſtimmten öffentlichen Stellungen nicht mehr von der perſönlichen Fähigkeit, ſondern von dem Zufall der Geburt abhängig macht, und ſo eine Ungleichheit rechtlich normirt, welche die Kraft und
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Der Trieb, aus der Familie ein Geſchlecht zu bilden, iſt daher nicht
bloß hoch achtbar an ſich, ſondern für das Geſammtleben höchſt werth-
voll. Die Geſchlechterbildung ſelbſt vollzieht ſich demnach durch die
Natur der Familie; ſie iſt kein Gegenſtand weder der Geſetzgebung noch
der Verwaltung, ſondern ein freier Proceß in der geſellſchaftlichen
Welt, der allen edleren Völkern und Zeiten gemeinſam iſt. Erſt da,
wo der Adel beginnt, ändert er ſeinen Charakter und ſein Recht.
2) Der Adel entſteht, indem das Geſchlecht durch ſeine innere
Kraft ſich dauernd derjenigen öffentlichen Stellung bemächtigt, deren
Beſitz die Ehre und die Macht der Familie ausmacht. Der dauernde
Beſitz derſelben erzeugt dann das Streben, das Recht auf eine ſolche
Stellung erblich zu machen; die Geſammtheit derer, welche auf dieſe
Weiſe den erblichen Beſitz der öffentlich leitenden Stellung für ſich ge-
winnen, bilden dann eine Gemeinſchaft, welche wir dann die „Ge-
ſchlechter“ nennen; diejenige Ordnung, nach welcher die Herrſchaft auf
dieſe Weiſe in den Beſitz der Geſchlechter kommt, nennen wir die „Ge-
ſchlechterherrſchaft,“ und die einzelnen dazu gehörigen Familien bilden
den „Adel“ im weitern Sinne des Wortes. Im engern und eigent-
lichen Sinne nennen wir den Adel dagegen diejenigen Familien und
Geſchlechter, die vermöge des grundherrlichen Beſitzes und ſeiner
Rechte die Herrſchaft ausüben; die Bezeichnung „von“ bedeutet eben
den Beſitz der Grundherrſchaft als Baſis der herrſchenden Stellung.
Es hat daher herrſchende Geſchlechter bei allen Völkern gegeben, Adel
dagegen nur da, wo es eine Grundherrlichkeit mit ihren Rechten gab,
alſo bei den germaniſchen Völkerſchaften.
Aus dieſem an ſich natürlichen, auf dem Weſen des Geſchlechts
beruhenden Verhältniß entwickelt ſich nun vermöge des Sonderintereſſes
diejenige Rechtsbildung, welche das Angehören an das Geſchlecht zur
ausſchließlichen Bedingung für die Theilnahme an gewiſſen
Zweigen der Staatsgewalt macht. So entſteht aus der Thatſache
des Geſchlechts und des Adels das Vorrecht deſſelben. An dieſes
Vorrecht des Adels ſchließt ſich, ſo wie es einmal beſteht, ein Syſtem
von Rechtsbeſtimmungen über die Vorrechte, welche auch ohne Beſitz
mit der bloßen Abſtammung von dem herrſchenden Geſchlecht verbun-
den ſind, namentlich über das Gericht, das Adelsprädikat, das Wappen,
die Siegel u. ſ. w. Dieſe Rechtsbildung nun iſt es, welche mit der
freien Bewegung der Geſellſchaft und zugleich mit den höheren Bedürf-
niſſen der fortſchreitenden Geſittung in Widerſpruch tritt, da ſie die
Berechtigung zu beſtimmten öffentlichen Stellungen nicht mehr von der
perſönlichen Fähigkeit, ſondern von dem Zufall der Geburt abhängig
macht, und ſo eine Ungleichheit rechtlich normirt, welche die Kraft und
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/430>, abgerufen am 22.11.2024.
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