Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

Bild:
<< vorherige Seite

Das zweite Princip ist das Recht der Organisation, nach welchem
jede Funktion nur zu demjenigen berechtigt ist, wozu es durch die
Organisation bestimmt war. Das Recht nennen wir die Competenz.
Die Aufrechthaltung der Competenz wird gleichfalls durch Klage und
Beschwerde gesichert; sie selbst bildet das zweite Element der verfassungs-
mäßigen Ordnung.

Das dritte Princip ist dasjenige, nach welchem der Zwang seine
rechtliche Grenze findet. Die Herstellung dieser rechtlichen Grenze ge-
schieht durch das Princip der individuellen Haftung der vollziehenden
Organe, die durch Klage zur Geltung gelangt. Die Entwicklung des-
selben bildet das verfassungsmäßige Zwangsrecht.

Die Gesammtheit dieser Grundsätze des öffentlichen Rechts bildet
nun das verfassungsmäßige Verwaltungsrecht. Die Entwick-
lung desselben zu einem ausgebildeten Systeme ist aber nur dann
möglich, wenn man dasselbe wieder auf die drei Grundformen der voll-
ziehenden Gewalt, die Regierung, die Selbstverwaltung und das Ver-
einswesen anwendet, indem die besondere Natur jeder derselben diesem
verfassungsmäßigen Verwaltungsrecht wieder seine Gestalt gibt. Damit
entsteht der Inhalt der letzteren, von welchem allerdings jeder Theil
wieder sein Recht, seine Ordnung und seine Geschichte hat. Das
nun bildet somit den besondern Theil des verfassungsmäßigen Ver-
waltungsrechts.


Besonderer Theil.
A. Die Regierung und das verfassungsmäßige Regierungsrecht.
I. Begriff und Organismus der Regierung. Das Staatsoberhaupt und
die Regierung im eigentlichen Sinne.

Die Regierung ist die persönliche Gestalt der vollziehenden Gewalt,
und damit die Vertreterin der Persönlichkeit des Staats in seiner That.

Die Regierung besteht daher aus zwei Elementen, dem Staats-
oberhaupt
, das zugleich das Haupt der gesetzgebenden Gewalt ist,
und der eigentlichen Regierung, die den persönlichen Organis-
mus der vollziehenden Gewalt enthält. Auf dem Unterschied ihrer
Funktionen beruht zunächst der Unterschied ihrer Organisation, dann der
Unterschied ihres Rechts; auf der Verbindung und Einheit beider die
formale Natur und das Wesen der Vollziehung.

I. Das Staatsoberhaupt, an sich das persönliche Haupt der

Das zweite Princip iſt das Recht der Organiſation, nach welchem
jede Funktion nur zu demjenigen berechtigt iſt, wozu es durch die
Organiſation beſtimmt war. Das Recht nennen wir die Competenz.
Die Aufrechthaltung der Competenz wird gleichfalls durch Klage und
Beſchwerde geſichert; ſie ſelbſt bildet das zweite Element der verfaſſungs-
mäßigen Ordnung.

Das dritte Princip iſt dasjenige, nach welchem der Zwang ſeine
rechtliche Grenze findet. Die Herſtellung dieſer rechtlichen Grenze ge-
ſchieht durch das Princip der individuellen Haftung der vollziehenden
Organe, die durch Klage zur Geltung gelangt. Die Entwicklung des-
ſelben bildet das verfaſſungsmäßige Zwangsrecht.

Die Geſammtheit dieſer Grundſätze des öffentlichen Rechts bildet
nun das verfaſſungsmäßige Verwaltungsrecht. Die Entwick-
lung deſſelben zu einem ausgebildeten Syſteme iſt aber nur dann
möglich, wenn man daſſelbe wieder auf die drei Grundformen der voll-
ziehenden Gewalt, die Regierung, die Selbſtverwaltung und das Ver-
einsweſen anwendet, indem die beſondere Natur jeder derſelben dieſem
verfaſſungsmäßigen Verwaltungsrecht wieder ſeine Geſtalt gibt. Damit
entſteht der Inhalt der letzteren, von welchem allerdings jeder Theil
wieder ſein Recht, ſeine Ordnung und ſeine Geſchichte hat. Das
nun bildet ſomit den beſondern Theil des verfaſſungsmäßigen Ver-
waltungsrechts.


Beſonderer Theil.
A. Die Regierung und das verfaſſungsmäßige Regierungsrecht.
I. Begriff und Organismus der Regierung. Das Staatsoberhaupt und
die Regierung im eigentlichen Sinne.

Die Regierung iſt die perſönliche Geſtalt der vollziehenden Gewalt,
und damit die Vertreterin der Perſönlichkeit des Staats in ſeiner That.

Die Regierung beſteht daher aus zwei Elementen, dem Staats-
oberhaupt
, das zugleich das Haupt der geſetzgebenden Gewalt iſt,
und der eigentlichen Regierung, die den perſönlichen Organis-
mus der vollziehenden Gewalt enthält. Auf dem Unterſchied ihrer
Funktionen beruht zunächſt der Unterſchied ihrer Organiſation, dann der
Unterſchied ihres Rechts; auf der Verbindung und Einheit beider die
formale Natur und das Weſen der Vollziehung.

I. Das Staatsoberhaupt, an ſich das perſönliche Haupt der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0043" n="19"/>
              <p>Das zweite Princip i&#x017F;t das Recht der Organi&#x017F;ation, nach welchem<lb/>
jede Funktion nur zu demjenigen berechtigt i&#x017F;t, wozu es durch die<lb/>
Organi&#x017F;ation be&#x017F;timmt war. Das Recht nennen wir die <hi rendition="#g">Competenz</hi>.<lb/>
Die Aufrechthaltung der Competenz wird gleichfalls durch Klage und<lb/>
Be&#x017F;chwerde ge&#x017F;ichert; &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t bildet das zweite Element der verfa&#x017F;&#x017F;ungs-<lb/>
mäßigen Ordnung.</p><lb/>
              <p>Das dritte Princip i&#x017F;t dasjenige, nach welchem der <hi rendition="#g">Zwang</hi> &#x017F;eine<lb/>
rechtliche Grenze findet. Die Her&#x017F;tellung die&#x017F;er rechtlichen Grenze ge-<lb/>
&#x017F;chieht durch das Princip der individuellen <hi rendition="#g">Haftung</hi> der vollziehenden<lb/>
Organe, die durch Klage zur Geltung gelangt. Die Entwicklung des-<lb/>
&#x017F;elben bildet das verfa&#x017F;&#x017F;ungsmäßige Zwangsrecht.</p><lb/>
              <p>Die Ge&#x017F;ammtheit die&#x017F;er Grund&#x017F;ätze des öffentlichen Rechts bildet<lb/>
nun das <hi rendition="#g">verfa&#x017F;&#x017F;ungsmäßige Verwaltungsrecht</hi>. Die Entwick-<lb/>
lung de&#x017F;&#x017F;elben zu einem ausgebildeten <hi rendition="#g">Sy&#x017F;teme</hi> i&#x017F;t aber nur dann<lb/>
möglich, wenn man da&#x017F;&#x017F;elbe wieder auf die drei Grundformen der voll-<lb/>
ziehenden Gewalt, die Regierung, die Selb&#x017F;tverwaltung und das Ver-<lb/>
einswe&#x017F;en anwendet, indem die be&#x017F;ondere Natur jeder der&#x017F;elben die&#x017F;em<lb/>
verfa&#x017F;&#x017F;ungsmäßigen Verwaltungsrecht wieder &#x017F;eine Ge&#x017F;talt gibt. Damit<lb/>
ent&#x017F;teht der <hi rendition="#g">Inhalt</hi> der letzteren, von welchem allerdings jeder Theil<lb/>
wieder &#x017F;ein Recht, &#x017F;eine Ordnung und &#x017F;eine Ge&#x017F;chichte hat. Das<lb/>
nun bildet &#x017F;omit den <hi rendition="#g">be&#x017F;ondern Theil</hi> des verfa&#x017F;&#x017F;ungsmäßigen Ver-<lb/>
waltungsrechts.</p>
            </div>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Be&#x017F;onderer Theil.</hi> </head><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">A.</hi> Die Regierung und das verfa&#x017F;&#x017F;ungsmäßige Regierungsrecht.</hi> </head><lb/>
              <div n="5">
                <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I.</hi> Begriff und Organismus der Regierung. Das Staatsoberhaupt und<lb/>
die Regierung im eigentlichen Sinne.</hi> </head><lb/>
                <p>Die Regierung i&#x017F;t die per&#x017F;önliche Ge&#x017F;talt der vollziehenden Gewalt,<lb/>
und damit die Vertreterin der Per&#x017F;önlichkeit des Staats in &#x017F;einer That.</p><lb/>
                <p>Die Regierung be&#x017F;teht daher aus zwei Elementen, dem <hi rendition="#g">Staats-<lb/>
oberhaupt</hi>, das zugleich das Haupt der ge&#x017F;etzgebenden Gewalt i&#x017F;t,<lb/>
und der <hi rendition="#g">eigentlichen Regierung</hi>, die den per&#x017F;önlichen Organis-<lb/>
mus der vollziehenden Gewalt enthält. Auf dem Unter&#x017F;chied ihrer<lb/>
Funktionen beruht zunäch&#x017F;t der Unter&#x017F;chied ihrer Organi&#x017F;ation, dann der<lb/>
Unter&#x017F;chied ihres Rechts; auf der Verbindung und Einheit beider die<lb/>
formale Natur und das We&#x017F;en der Vollziehung.</p><lb/>
                <p><hi rendition="#aq">I.</hi> Das <hi rendition="#g">Staatsoberhaupt</hi>, an &#x017F;ich das per&#x017F;önliche Haupt der<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0043] Das zweite Princip iſt das Recht der Organiſation, nach welchem jede Funktion nur zu demjenigen berechtigt iſt, wozu es durch die Organiſation beſtimmt war. Das Recht nennen wir die Competenz. Die Aufrechthaltung der Competenz wird gleichfalls durch Klage und Beſchwerde geſichert; ſie ſelbſt bildet das zweite Element der verfaſſungs- mäßigen Ordnung. Das dritte Princip iſt dasjenige, nach welchem der Zwang ſeine rechtliche Grenze findet. Die Herſtellung dieſer rechtlichen Grenze ge- ſchieht durch das Princip der individuellen Haftung der vollziehenden Organe, die durch Klage zur Geltung gelangt. Die Entwicklung des- ſelben bildet das verfaſſungsmäßige Zwangsrecht. Die Geſammtheit dieſer Grundſätze des öffentlichen Rechts bildet nun das verfaſſungsmäßige Verwaltungsrecht. Die Entwick- lung deſſelben zu einem ausgebildeten Syſteme iſt aber nur dann möglich, wenn man daſſelbe wieder auf die drei Grundformen der voll- ziehenden Gewalt, die Regierung, die Selbſtverwaltung und das Ver- einsweſen anwendet, indem die beſondere Natur jeder derſelben dieſem verfaſſungsmäßigen Verwaltungsrecht wieder ſeine Geſtalt gibt. Damit entſteht der Inhalt der letzteren, von welchem allerdings jeder Theil wieder ſein Recht, ſeine Ordnung und ſeine Geſchichte hat. Das nun bildet ſomit den beſondern Theil des verfaſſungsmäßigen Ver- waltungsrechts. Beſonderer Theil. A. Die Regierung und das verfaſſungsmäßige Regierungsrecht. I. Begriff und Organismus der Regierung. Das Staatsoberhaupt und die Regierung im eigentlichen Sinne. Die Regierung iſt die perſönliche Geſtalt der vollziehenden Gewalt, und damit die Vertreterin der Perſönlichkeit des Staats in ſeiner That. Die Regierung beſteht daher aus zwei Elementen, dem Staats- oberhaupt, das zugleich das Haupt der geſetzgebenden Gewalt iſt, und der eigentlichen Regierung, die den perſönlichen Organis- mus der vollziehenden Gewalt enthält. Auf dem Unterſchied ihrer Funktionen beruht zunächſt der Unterſchied ihrer Organiſation, dann der Unterſchied ihres Rechts; auf der Verbindung und Einheit beider die formale Natur und das Weſen der Vollziehung. I. Das Staatsoberhaupt, an ſich das perſönliche Haupt der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/43
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/43>, abgerufen am 24.11.2024.