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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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nach unfähig ist, jenes Ziel zu verwirklichen; allein auf diesem Punkte
soll er auch beginnen. Denn der Staat als persönliche Einheit Aller
ist zugleich der Vertreter der höchsten Harmonie der Interessen Aller;
seinem Wesen nach wird er daher im Geiste dieser Harmonie arbeiten,
oder er wird an dem Mangel dieser Fähigkeit selbst untergehen. Denn
wenn der Staat nicht seine höchste sociale Funktion, die nicht in der
Unterwerfung eines Interesses unter das andere, sondern in der har-
monischen Lösung ihrer Gegensätze besteht, zu erfüllen vermag, so tritt
die elementare Gewalt der physischen Kräfte an seine Stelle, und der
bürgerliche Krieg vernichtet mit dem Wohlsein Aller auch den Staat
selbst, der es nicht zu verstehen und zu schützen vermochte. Das ist
das allgemeine Princip der gesellschaftlichen Verwaltung; um nun aber
zu seinem positiven Inhalte zu gelangen, muß man es zum System
entwickeln.

Das System der gesellschaftlichen Verwaltung.

Das System der gesellschaftlichen Verwaltung ist daher nicht das
System der Gesellschaft, so wenig wie das System der wirthschaftlichen
Verwaltung das der Volkswirthschaft ist. Da ferner in der Gesellschaft
alle Elemente des Lebens ihre Geltung finden, so ist es zweitens klar,
daß im allgemeinsten Sinne auch die Sorge für die leibliche, geistige
und wirthschaftliche Entwicklung als Voraussetzung der gesellschaftlichen
Aufgabe erscheine, ohne welche dieselbe nicht gelöst werden kann. Allein
es ist für Wissenschaft wie für Praxis von Wichtigkeit, daß man zwar
das sociale Moment in allen diesen Gebieten anerkenne, aber die
eigentliche gesellschaftliche Verwaltung in Gemäßheit der Grundbegriffe
der Gesellschaftslehre auf die Thätigkeit des Staats für die Be-
dingungen der freien gesellschaftlichen Bewegung
beschränke.
Darnach ergeben sich System und Organisation der gesellschaftlichen
Verwaltung in folgender Weise.

Das System der gesellschaftlichen Verwaltung enthält drei Ge-
biete. Das erste ist das der gesellschaftlichen Freiheit, welches die
rechtlichen Hindernisse jener Bewegung durch den Staat beseitigt. Das
zweite ist die Sorge des Staats für die gesellschaftliche Noth, welche
dem Einzelnen die physischen Voraussetzungen der persönlichen Selb
ständigkeit gibt. Das dritte endlich ist das der gesellschaftlichen Ent-
wicklung
, das sich speciell der aufsteigenden Classenbewegung zuwendet.
Jedes dieser Gebiete hat wieder sein System und seine Aufgabe.

Diese nun aber werden beide erst dann ganz klar, wenn man den
Organismus der Verwaltung gerade für die gesellschaftliche Welt be-
trachtet. Denn für gar keinen Theil der Verwaltung ist der Charakter

Stein, Handbuch der Verwaltungslehre. 26

nach unfähig iſt, jenes Ziel zu verwirklichen; allein auf dieſem Punkte
ſoll er auch beginnen. Denn der Staat als perſönliche Einheit Aller
iſt zugleich der Vertreter der höchſten Harmonie der Intereſſen Aller;
ſeinem Weſen nach wird er daher im Geiſte dieſer Harmonie arbeiten,
oder er wird an dem Mangel dieſer Fähigkeit ſelbſt untergehen. Denn
wenn der Staat nicht ſeine höchſte ſociale Funktion, die nicht in der
Unterwerfung eines Intereſſes unter das andere, ſondern in der har-
moniſchen Löſung ihrer Gegenſätze beſteht, zu erfüllen vermag, ſo tritt
die elementare Gewalt der phyſiſchen Kräfte an ſeine Stelle, und der
bürgerliche Krieg vernichtet mit dem Wohlſein Aller auch den Staat
ſelbſt, der es nicht zu verſtehen und zu ſchützen vermochte. Das iſt
das allgemeine Princip der geſellſchaftlichen Verwaltung; um nun aber
zu ſeinem poſitiven Inhalte zu gelangen, muß man es zum Syſtem
entwickeln.

Das Syſtem der geſellſchaftlichen Verwaltung.

Das Syſtem der geſellſchaftlichen Verwaltung iſt daher nicht das
Syſtem der Geſellſchaft, ſo wenig wie das Syſtem der wirthſchaftlichen
Verwaltung das der Volkswirthſchaft iſt. Da ferner in der Geſellſchaft
alle Elemente des Lebens ihre Geltung finden, ſo iſt es zweitens klar,
daß im allgemeinſten Sinne auch die Sorge für die leibliche, geiſtige
und wirthſchaftliche Entwicklung als Vorausſetzung der geſellſchaftlichen
Aufgabe erſcheine, ohne welche dieſelbe nicht gelöst werden kann. Allein
es iſt für Wiſſenſchaft wie für Praxis von Wichtigkeit, daß man zwar
das ſociale Moment in allen dieſen Gebieten anerkenne, aber die
eigentliche geſellſchaftliche Verwaltung in Gemäßheit der Grundbegriffe
der Geſellſchaftslehre auf die Thätigkeit des Staats für die Be-
dingungen der freien geſellſchaftlichen Bewegung
beſchränke.
Darnach ergeben ſich Syſtem und Organiſation der geſellſchaftlichen
Verwaltung in folgender Weiſe.

Das Syſtem der geſellſchaftlichen Verwaltung enthält drei Ge-
biete. Das erſte iſt das der geſellſchaftlichen Freiheit, welches die
rechtlichen Hinderniſſe jener Bewegung durch den Staat beſeitigt. Das
zweite iſt die Sorge des Staats für die geſellſchaftliche Noth, welche
dem Einzelnen die phyſiſchen Vorausſetzungen der perſönlichen Selb
ſtändigkeit gibt. Das dritte endlich iſt das der geſellſchaftlichen Ent-
wicklung
, das ſich ſpeciell der aufſteigenden Claſſenbewegung zuwendet.
Jedes dieſer Gebiete hat wieder ſein Syſtem und ſeine Aufgabe.

Dieſe nun aber werden beide erſt dann ganz klar, wenn man den
Organismus der Verwaltung gerade für die geſellſchaftliche Welt be-
trachtet. Denn für gar keinen Theil der Verwaltung iſt der Charakter

Stein, Handbuch der Verwaltungslehre. 26
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[401/0425] nach unfähig iſt, jenes Ziel zu verwirklichen; allein auf dieſem Punkte ſoll er auch beginnen. Denn der Staat als perſönliche Einheit Aller iſt zugleich der Vertreter der höchſten Harmonie der Intereſſen Aller; ſeinem Weſen nach wird er daher im Geiſte dieſer Harmonie arbeiten, oder er wird an dem Mangel dieſer Fähigkeit ſelbſt untergehen. Denn wenn der Staat nicht ſeine höchſte ſociale Funktion, die nicht in der Unterwerfung eines Intereſſes unter das andere, ſondern in der har- moniſchen Löſung ihrer Gegenſätze beſteht, zu erfüllen vermag, ſo tritt die elementare Gewalt der phyſiſchen Kräfte an ſeine Stelle, und der bürgerliche Krieg vernichtet mit dem Wohlſein Aller auch den Staat ſelbſt, der es nicht zu verſtehen und zu ſchützen vermochte. Das iſt das allgemeine Princip der geſellſchaftlichen Verwaltung; um nun aber zu ſeinem poſitiven Inhalte zu gelangen, muß man es zum Syſtem entwickeln. Das Syſtem der geſellſchaftlichen Verwaltung. Das Syſtem der geſellſchaftlichen Verwaltung iſt daher nicht das Syſtem der Geſellſchaft, ſo wenig wie das Syſtem der wirthſchaftlichen Verwaltung das der Volkswirthſchaft iſt. Da ferner in der Geſellſchaft alle Elemente des Lebens ihre Geltung finden, ſo iſt es zweitens klar, daß im allgemeinſten Sinne auch die Sorge für die leibliche, geiſtige und wirthſchaftliche Entwicklung als Vorausſetzung der geſellſchaftlichen Aufgabe erſcheine, ohne welche dieſelbe nicht gelöst werden kann. Allein es iſt für Wiſſenſchaft wie für Praxis von Wichtigkeit, daß man zwar das ſociale Moment in allen dieſen Gebieten anerkenne, aber die eigentliche geſellſchaftliche Verwaltung in Gemäßheit der Grundbegriffe der Geſellſchaftslehre auf die Thätigkeit des Staats für die Be- dingungen der freien geſellſchaftlichen Bewegung beſchränke. Darnach ergeben ſich Syſtem und Organiſation der geſellſchaftlichen Verwaltung in folgender Weiſe. Das Syſtem der geſellſchaftlichen Verwaltung enthält drei Ge- biete. Das erſte iſt das der geſellſchaftlichen Freiheit, welches die rechtlichen Hinderniſſe jener Bewegung durch den Staat beſeitigt. Das zweite iſt die Sorge des Staats für die geſellſchaftliche Noth, welche dem Einzelnen die phyſiſchen Vorausſetzungen der perſönlichen Selb ſtändigkeit gibt. Das dritte endlich iſt das der geſellſchaftlichen Ent- wicklung, das ſich ſpeciell der aufſteigenden Claſſenbewegung zuwendet. Jedes dieſer Gebiete hat wieder ſein Syſtem und ſeine Aufgabe. Dieſe nun aber werden beide erſt dann ganz klar, wenn man den Organismus der Verwaltung gerade für die geſellſchaftliche Welt be- trachtet. Denn für gar keinen Theil der Verwaltung iſt der Charakter Stein, Handbuch der Verwaltungslehre. 26

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/425>, abgerufen am 23.11.2024.