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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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Gewerbegerichte auf Grund der Verfassungsurkunde schon durch Verordnung
vom 2. Jan. 1849 eingerichtet, gleichfalls nach dem französischen Muster,
wesentlich mit derselben Verschmelzung von Gewerbe und Industrie (vergl.
Rönne, Staatsrecht II. §. 274).

III. Die Gewerbepolizei enthält die Gesammtheit derjenigen
gesetzlichen Bestimmungen und Maßregeln, welche den Zweck haben,
die Einzelnen gegen die Nachtheile zu schützen, welche ihnen durch die
Ausübung des Gewerbes entstehen können. Die Auffassung derselben
ist wesentlich verschieden nach dem englischen, französischen und deutschen
Recht. Nach dem englischen Princip gibt es überhaupt keine allge-
meine
, für alle Gewerbe gültige Gewerbepolizei, sondern dieselbe tritt
nur bei einzelnen Gewerben ein, und zwar nicht auf Grundlage eines
Einschreitens der Behörde, sondern durch Popularklagen der Be-
theiligten beim Friedensrichter. Nach französischem Recht ist dagegen
die Polizei der "Etablissements dangereux" selbständige Aufgabe der
Behörde, während sonst keine eigenen Maßregeln bestehen. Nach deut-
schem
Recht endlich ist mit der Aufhebung der Gewerbefreiheit ein
ausgebildetes System der polizeilichen Vorsorge geschaffen. Dieses
beruht auf drei Punkten. Zuerst wird für gewisse Gewerbe ein ge-
wisses Maß von Fachbildung gefordert zur Sicherung des Publi-
kums. Dann wird aus dem Gesichtspunkte der Elemente der Gesund-
heitspolizei, so wie zum Schutze der Anwohner für gewisse Gewerbe
die Anlage der behördlichen Genehmigung unterworfen, und für ge-
wisse andere im Interesse der öffentlichen Sicherheit der Betrieb unter
Concession gestellt; das Recht des Verbotes von Seiten der Behörde
ist das Correlat dieses Rechts der Gewerbsbewilligung. Es ist
kein Zweifel, daß in gewissen Gränzen dieses Princip das richtige ist,
da die Popularklagen dasselbe für das praktische Leben nicht ersetzen.

Diese Gewerbepolizei bildet fast allenthalben den Haupttheil der neuen
Gewerbeordnungen; die darauf bezüglichen Bestimmungen haben eigentlich die
Aufgabe, die Gränze zwischen dem Recht des Einzelnen und dem des öffent-
lichen Interesses
im Gewerbe gesetzlich festzustellen. Ueber England
vergl. Kleinschrod, gewerbliche Gesetzgebung und Gneist, Engl. Verwaltungs-
recht, Gewerbepolizei §. 38. Das französische Gesetz über die Etablisse-
ments dangereux,
das Decret vom 15. Okt. 1810 war eigentlich nur die Ab-
hülfe gegen die große und höchst unbestimmte polizeiliche Gewalt der Maires,
die ihnen das Gesetz vom 13. Nov. 1792 gegeben hatte. Das Decret vom
15. Okt. 1810 stellt drei Classen auf (etablissements dangereux, insalubres
et incommodes);
erste Classe: Anlagen, welche wegen elementarer Gefahr
von den Wohnungen entfernt sein müssen; zweite Classe: solche Anlagen,
welche durch ihren Umfang in die Interessen der Nachbarn eingreifen (nament-
lich Fabriksanlagen); dritte Classe: solche welche bloß Nachtheile bringen und

Gewerbegerichte auf Grund der Verfaſſungsurkunde ſchon durch Verordnung
vom 2. Jan. 1849 eingerichtet, gleichfalls nach dem franzöſiſchen Muſter,
weſentlich mit derſelben Verſchmelzung von Gewerbe und Induſtrie (vergl.
Rönne, Staatsrecht II. §. 274).

III. Die Gewerbepolizei enthält die Geſammtheit derjenigen
geſetzlichen Beſtimmungen und Maßregeln, welche den Zweck haben,
die Einzelnen gegen die Nachtheile zu ſchützen, welche ihnen durch die
Ausübung des Gewerbes entſtehen können. Die Auffaſſung derſelben
iſt weſentlich verſchieden nach dem engliſchen, franzöſiſchen und deutſchen
Recht. Nach dem engliſchen Princip gibt es überhaupt keine allge-
meine
, für alle Gewerbe gültige Gewerbepolizei, ſondern dieſelbe tritt
nur bei einzelnen Gewerben ein, und zwar nicht auf Grundlage eines
Einſchreitens der Behörde, ſondern durch Popularklagen der Be-
theiligten beim Friedensrichter. Nach franzöſiſchem Recht iſt dagegen
die Polizei der „Etablissements dangereux“ ſelbſtändige Aufgabe der
Behörde, während ſonſt keine eigenen Maßregeln beſtehen. Nach deut-
ſchem
Recht endlich iſt mit der Aufhebung der Gewerbefreiheit ein
ausgebildetes Syſtem der polizeilichen Vorſorge geſchaffen. Dieſes
beruht auf drei Punkten. Zuerſt wird für gewiſſe Gewerbe ein ge-
wiſſes Maß von Fachbildung gefordert zur Sicherung des Publi-
kums. Dann wird aus dem Geſichtspunkte der Elemente der Geſund-
heitspolizei, ſo wie zum Schutze der Anwohner für gewiſſe Gewerbe
die Anlage der behördlichen Genehmigung unterworfen, und für ge-
wiſſe andere im Intereſſe der öffentlichen Sicherheit der Betrieb unter
Conceſſion geſtellt; das Recht des Verbotes von Seiten der Behörde
iſt das Correlat dieſes Rechts der Gewerbsbewilligung. Es iſt
kein Zweifel, daß in gewiſſen Gränzen dieſes Princip das richtige iſt,
da die Popularklagen daſſelbe für das praktiſche Leben nicht erſetzen.

Dieſe Gewerbepolizei bildet faſt allenthalben den Haupttheil der neuen
Gewerbeordnungen; die darauf bezüglichen Beſtimmungen haben eigentlich die
Aufgabe, die Gränze zwiſchen dem Recht des Einzelnen und dem des öffent-
lichen Intereſſes
im Gewerbe geſetzlich feſtzuſtellen. Ueber England
vergl. Kleinſchrod, gewerbliche Geſetzgebung und Gneiſt, Engl. Verwaltungs-
recht, Gewerbepolizei §. 38. Das franzöſiſche Geſetz über die Établisse-
ments dangereux,
das Decret vom 15. Okt. 1810 war eigentlich nur die Ab-
hülfe gegen die große und höchſt unbeſtimmte polizeiliche Gewalt der Maires,
die ihnen das Geſetz vom 13. Nov. 1792 gegeben hatte. Das Decret vom
15. Okt. 1810 ſtellt drei Claſſen auf (établissements dangereux, insalubres
et incommodes);
erſte Claſſe: Anlagen, welche wegen elementarer Gefahr
von den Wohnungen entfernt ſein müſſen; zweite Claſſe: ſolche Anlagen,
welche durch ihren Umfang in die Intereſſen der Nachbarn eingreifen (nament-
lich Fabriksanlagen); dritte Claſſe: ſolche welche bloß Nachtheile bringen und

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[349/0373] Gewerbegerichte auf Grund der Verfaſſungsurkunde ſchon durch Verordnung vom 2. Jan. 1849 eingerichtet, gleichfalls nach dem franzöſiſchen Muſter, weſentlich mit derſelben Verſchmelzung von Gewerbe und Induſtrie (vergl. Rönne, Staatsrecht II. §. 274). III. Die Gewerbepolizei enthält die Geſammtheit derjenigen geſetzlichen Beſtimmungen und Maßregeln, welche den Zweck haben, die Einzelnen gegen die Nachtheile zu ſchützen, welche ihnen durch die Ausübung des Gewerbes entſtehen können. Die Auffaſſung derſelben iſt weſentlich verſchieden nach dem engliſchen, franzöſiſchen und deutſchen Recht. Nach dem engliſchen Princip gibt es überhaupt keine allge- meine, für alle Gewerbe gültige Gewerbepolizei, ſondern dieſelbe tritt nur bei einzelnen Gewerben ein, und zwar nicht auf Grundlage eines Einſchreitens der Behörde, ſondern durch Popularklagen der Be- theiligten beim Friedensrichter. Nach franzöſiſchem Recht iſt dagegen die Polizei der „Etablissements dangereux“ ſelbſtändige Aufgabe der Behörde, während ſonſt keine eigenen Maßregeln beſtehen. Nach deut- ſchem Recht endlich iſt mit der Aufhebung der Gewerbefreiheit ein ausgebildetes Syſtem der polizeilichen Vorſorge geſchaffen. Dieſes beruht auf drei Punkten. Zuerſt wird für gewiſſe Gewerbe ein ge- wiſſes Maß von Fachbildung gefordert zur Sicherung des Publi- kums. Dann wird aus dem Geſichtspunkte der Elemente der Geſund- heitspolizei, ſo wie zum Schutze der Anwohner für gewiſſe Gewerbe die Anlage der behördlichen Genehmigung unterworfen, und für ge- wiſſe andere im Intereſſe der öffentlichen Sicherheit der Betrieb unter Conceſſion geſtellt; das Recht des Verbotes von Seiten der Behörde iſt das Correlat dieſes Rechts der Gewerbsbewilligung. Es iſt kein Zweifel, daß in gewiſſen Gränzen dieſes Princip das richtige iſt, da die Popularklagen daſſelbe für das praktiſche Leben nicht erſetzen. Dieſe Gewerbepolizei bildet faſt allenthalben den Haupttheil der neuen Gewerbeordnungen; die darauf bezüglichen Beſtimmungen haben eigentlich die Aufgabe, die Gränze zwiſchen dem Recht des Einzelnen und dem des öffent- lichen Intereſſes im Gewerbe geſetzlich feſtzuſtellen. Ueber England vergl. Kleinſchrod, gewerbliche Geſetzgebung und Gneiſt, Engl. Verwaltungs- recht, Gewerbepolizei §. 38. Das franzöſiſche Geſetz über die Établisse- ments dangereux, das Decret vom 15. Okt. 1810 war eigentlich nur die Ab- hülfe gegen die große und höchſt unbeſtimmte polizeiliche Gewalt der Maires, die ihnen das Geſetz vom 13. Nov. 1792 gegeben hatte. Das Decret vom 15. Okt. 1810 ſtellt drei Claſſen auf (établissements dangereux, insalubres et incommodes); erſte Claſſe: Anlagen, welche wegen elementarer Gefahr von den Wohnungen entfernt ſein müſſen; zweite Claſſe: ſolche Anlagen, welche durch ihren Umfang in die Intereſſen der Nachbarn eingreifen (nament- lich Fabriksanlagen); dritte Claſſe: ſolche welche bloß Nachtheile bringen und

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/373>, abgerufen am 22.11.2024.