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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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III. Begriff, Geschichte und Vergleichung des Verwaltungsrechts.

Während nun somit der organische Begriff des Staats sich aus
dem Wesen desselben entwickelt, enthält das Recht die zweite Grund-
form des Daseins der letzteren. Es ist deßhalb nothwendig, zu wissen,
was eigentlich das Recht des Staats überhaupt, und das Recht der
Verwaltung im Besondern bedeuten.

A. Begriff und Elemente des öffentlichen Rechts, wie
des Verwaltungsrechts im Besondern. Das Recht ist formell
die unverletzliche Gränze eines persönlichen Daseins gegenüber dem an-
dern. Es beruht darauf, daß die Persönlichkeit ihr eigenes Wesen
zur äußeren Erscheinung bringt; die Selbstbestimmung der Persönlich-
keit an sich wird damit zur Unverletzlichkeit ihrer Erscheinung für an-
dere. Will ich daher erkennen, was durch das Recht geschützt ist, so
muß ich fragen, was durch die Persönlichkeit geworden ist. Das Recht
also, indem es für jeden Theil und jede Bethätigung dieses werdenden
Lebens der Persönlichkeit gilt, enthält die concrete Gestalt dieses Le-
bens der letzteren, und zwar nicht mehr als einen philosophischen Ge-
danken, sondern als eine objektive Thatsache für den Andern. Erst in
dem Rechte ist die eine Persönlichkeit für die andere als Ganzes und
in ihren einzelnen Lebensverhältnissen als solche vorhanden.

Daraus folgt, daß jedes Recht nur für die wirkliche Persönlichkeit,
nicht für die Natur und auch nicht für den Geist da ist. Es folgt
ferner, daß der Inhalt je des bestimmten Rechts stets ein dem Wesen
der Persönlichkeit entspringendes Verhältniß sein muß; denn nur das
Persönliche kann die einzelne Persönlichkeit begränzen. Es folgt mit-
hin endlich, daß, wenn ich das Recht begreifen will, ich dasselbe in
seiner Quelle, dem persönlichen Leben begreifen muß. Bleibt das Recht
bei der Kenntniß seiner einzelnen Sätze stehen, so entsteht die Rechts-
kunde
. Erhebt es sich dazu, diese einzelnen Rechtssätze als organische
Folgen des Wesens der Persönlichkeit zu erkennen, so entsteht die
Rechtswissenschaft.

Der Staat nun ist die persönliche Einheit aller einzelnen Persön-
lichkeiten. Als solche muß er die Selbständigkeit der letzteren bestim-
men. Dadurch entsteht eine Gränze für beide, aus dem Wesen beider
entspringend, welche das ganze Staatsleben durchdringt, weil es eben
aus der Einheit und Selbständigkeit aller in ihm entspringt. Und die
Gesammtheit aller daraus folgenden Rechtssätze nennen wir das öffent-
liche Recht
, im Gegensatze zum Privatrecht, das aus den Berüh-
rungen des Einzelnen mit dem Einzelnen entspringt. Das öffentliche

III. Begriff, Geſchichte und Vergleichung des Verwaltungsrechts.

Während nun ſomit der organiſche Begriff des Staats ſich aus
dem Weſen deſſelben entwickelt, enthält das Recht die zweite Grund-
form des Daſeins der letzteren. Es iſt deßhalb nothwendig, zu wiſſen,
was eigentlich das Recht des Staats überhaupt, und das Recht der
Verwaltung im Beſondern bedeuten.

A. Begriff und Elemente des öffentlichen Rechts, wie
des Verwaltungsrechts im Beſondern. Das Recht iſt formell
die unverletzliche Gränze eines perſönlichen Daſeins gegenüber dem an-
dern. Es beruht darauf, daß die Perſönlichkeit ihr eigenes Weſen
zur äußeren Erſcheinung bringt; die Selbſtbeſtimmung der Perſönlich-
keit an ſich wird damit zur Unverletzlichkeit ihrer Erſcheinung für an-
dere. Will ich daher erkennen, was durch das Recht geſchützt iſt, ſo
muß ich fragen, was durch die Perſönlichkeit geworden iſt. Das Recht
alſo, indem es für jeden Theil und jede Bethätigung dieſes werdenden
Lebens der Perſönlichkeit gilt, enthält die concrete Geſtalt dieſes Le-
bens der letzteren, und zwar nicht mehr als einen philoſophiſchen Ge-
danken, ſondern als eine objektive Thatſache für den Andern. Erſt in
dem Rechte iſt die eine Perſönlichkeit für die andere als Ganzes und
in ihren einzelnen Lebensverhältniſſen als ſolche vorhanden.

Daraus folgt, daß jedes Recht nur für die wirkliche Perſönlichkeit,
nicht für die Natur und auch nicht für den Geiſt da iſt. Es folgt
ferner, daß der Inhalt je des beſtimmten Rechts ſtets ein dem Weſen
der Perſönlichkeit entſpringendes Verhältniß ſein muß; denn nur das
Perſönliche kann die einzelne Perſönlichkeit begränzen. Es folgt mit-
hin endlich, daß, wenn ich das Recht begreifen will, ich daſſelbe in
ſeiner Quelle, dem perſönlichen Leben begreifen muß. Bleibt das Recht
bei der Kenntniß ſeiner einzelnen Sätze ſtehen, ſo entſteht die Rechts-
kunde
. Erhebt es ſich dazu, dieſe einzelnen Rechtsſätze als organiſche
Folgen des Weſens der Perſönlichkeit zu erkennen, ſo entſteht die
Rechtswiſſenſchaft.

Der Staat nun iſt die perſönliche Einheit aller einzelnen Perſön-
lichkeiten. Als ſolche muß er die Selbſtändigkeit der letzteren beſtim-
men. Dadurch entſteht eine Gränze für beide, aus dem Weſen beider
entſpringend, welche das ganze Staatsleben durchdringt, weil es eben
aus der Einheit und Selbſtändigkeit aller in ihm entſpringt. Und die
Geſammtheit aller daraus folgenden Rechtsſätze nennen wir das öffent-
liche Recht
, im Gegenſatze zum Privatrecht, das aus den Berüh-
rungen des Einzelnen mit dem Einzelnen entſpringt. Das öffentliche

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[10/0034] III. Begriff, Geſchichte und Vergleichung des Verwaltungsrechts. Während nun ſomit der organiſche Begriff des Staats ſich aus dem Weſen deſſelben entwickelt, enthält das Recht die zweite Grund- form des Daſeins der letzteren. Es iſt deßhalb nothwendig, zu wiſſen, was eigentlich das Recht des Staats überhaupt, und das Recht der Verwaltung im Beſondern bedeuten. A. Begriff und Elemente des öffentlichen Rechts, wie des Verwaltungsrechts im Beſondern. Das Recht iſt formell die unverletzliche Gränze eines perſönlichen Daſeins gegenüber dem an- dern. Es beruht darauf, daß die Perſönlichkeit ihr eigenes Weſen zur äußeren Erſcheinung bringt; die Selbſtbeſtimmung der Perſönlich- keit an ſich wird damit zur Unverletzlichkeit ihrer Erſcheinung für an- dere. Will ich daher erkennen, was durch das Recht geſchützt iſt, ſo muß ich fragen, was durch die Perſönlichkeit geworden iſt. Das Recht alſo, indem es für jeden Theil und jede Bethätigung dieſes werdenden Lebens der Perſönlichkeit gilt, enthält die concrete Geſtalt dieſes Le- bens der letzteren, und zwar nicht mehr als einen philoſophiſchen Ge- danken, ſondern als eine objektive Thatſache für den Andern. Erſt in dem Rechte iſt die eine Perſönlichkeit für die andere als Ganzes und in ihren einzelnen Lebensverhältniſſen als ſolche vorhanden. Daraus folgt, daß jedes Recht nur für die wirkliche Perſönlichkeit, nicht für die Natur und auch nicht für den Geiſt da iſt. Es folgt ferner, daß der Inhalt je des beſtimmten Rechts ſtets ein dem Weſen der Perſönlichkeit entſpringendes Verhältniß ſein muß; denn nur das Perſönliche kann die einzelne Perſönlichkeit begränzen. Es folgt mit- hin endlich, daß, wenn ich das Recht begreifen will, ich daſſelbe in ſeiner Quelle, dem perſönlichen Leben begreifen muß. Bleibt das Recht bei der Kenntniß ſeiner einzelnen Sätze ſtehen, ſo entſteht die Rechts- kunde. Erhebt es ſich dazu, dieſe einzelnen Rechtsſätze als organiſche Folgen des Weſens der Perſönlichkeit zu erkennen, ſo entſteht die Rechtswiſſenſchaft. Der Staat nun iſt die perſönliche Einheit aller einzelnen Perſön- lichkeiten. Als ſolche muß er die Selbſtändigkeit der letzteren beſtim- men. Dadurch entſteht eine Gränze für beide, aus dem Weſen beider entſpringend, welche das ganze Staatsleben durchdringt, weil es eben aus der Einheit und Selbſtändigkeit aller in ihm entſpringt. Und die Geſammtheit aller daraus folgenden Rechtsſätze nennen wir das öffent- liche Recht, im Gegenſatze zum Privatrecht, das aus den Berüh- rungen des Einzelnen mit dem Einzelnen entſpringt. Das öffentliche

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/34>, abgerufen am 23.11.2024.