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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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Allein so wie nun mit der staatsbürgerlichen Gesellschaft sich der
Unternehmungsgeist, die Bethätigung der freien wirthschaftlichen Per-
sönlichkeit, entwickelt, treten diese Organe, die "Gesellschaften" aus der
Sphäre des Privatrechts (societas) hinaus; sie umfassen nicht mehr
bloß das Verhalten zu einander, sondern sie werden Organe des Ge-
sammtlebens und seines Verkehrs; damit wird ihr Recht ein öffentliches,
wie es ihre Stellung ist, und so entsteht das Verwaltungsrecht des
Unternehmungscredits als das öffentliche Recht der Unterneh-
mungsgesellschaften
.

Dieses Recht hat nun, wie das was wir die Funktion dieser Ge-
sellschaften nennen, zwei große Grundformen, welche selbst wieder die
zwei geschichtlichen Epochen der öffentlichen Gestaltung des Unter-
nehmungscredits bezeichnen.

1) Das Gesellschaftswesen des Unternehmungscredits und die
Handelsgesetzbücher
.

Es ist tief im Wesen der gesellschaftlichen Geschichte begründet,
daß der Unternehmungscredit überhaupt erst dann zur selbständigen
Geltung und Organisirung in den Gesellschaften und Vereinen gelangt,
wenn die staatsbürgerliche Gesellschaft sich von der ständischen trennt.
Das römische Recht kennt die letztere daher so wenig, als das alte
deutsche Privatrecht. Sie entstehen von selbst, aber sie werden erst
Gegenstand des öffentlichen Rechts mit dem vorigen Jahrhundert, und
entwickeln dann drei Formen, von denen die ersten beiden die erste,
die letztere wieder die zweite Epoche des Unternehmungscredits bilden,
und die sich wieder durch das leitende Princip für die Berechtigung der
Theilnehmer als Mitglieder wesentlich unterscheiden.

Die erste Form ist die der stillen Gesellschaft, in welcher der
Creditor sich noch mit dem bloßen Antheil am Unternehmungsgewinn
begnügt, ohne die Leitung der Unternehmung zu übernehmen.

Die zweite Form ist die der offenen Gesellschaft, in welcher
neben der gleichen Berechtigung jedes Theilnehmers am Unternehmungs-
gewinn auch die gleiche Berechtigung derselben an der Leitung des
Unternehmens gilt.

In diesen beiden Formen herrscht nun noch das privatrechtliche
Element, weil beide sich auf bestimmte einzelne Mitglieder beziehen,
obwohl das öffentliche Recht bereits in der Geltung der Einheit nach
Außen und zwar als das Recht der Firma zur bestimmten Er-
scheinung gelangt. Erst in der zweiten Epoche, die im achtzehnten
Jahrhundert mit den Handelscompagnien beginnt, wird auch
das gegenseitige Verhältniß der Mitglieder Gegenstand des öffentlichen

Allein ſo wie nun mit der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft ſich der
Unternehmungsgeiſt, die Bethätigung der freien wirthſchaftlichen Per-
ſönlichkeit, entwickelt, treten dieſe Organe, die „Geſellſchaften“ aus der
Sphäre des Privatrechts (societas) hinaus; ſie umfaſſen nicht mehr
bloß das Verhalten zu einander, ſondern ſie werden Organe des Ge-
ſammtlebens und ſeines Verkehrs; damit wird ihr Recht ein öffentliches,
wie es ihre Stellung iſt, und ſo entſteht das Verwaltungsrecht des
Unternehmungscredits als das öffentliche Recht der Unterneh-
mungsgeſellſchaften
.

Dieſes Recht hat nun, wie das was wir die Funktion dieſer Ge-
ſellſchaften nennen, zwei große Grundformen, welche ſelbſt wieder die
zwei geſchichtlichen Epochen der öffentlichen Geſtaltung des Unter-
nehmungscredits bezeichnen.

1) Das Geſellſchaftsweſen des Unternehmungscredits und die
Handelsgeſetzbücher
.

Es iſt tief im Weſen der geſellſchaftlichen Geſchichte begründet,
daß der Unternehmungscredit überhaupt erſt dann zur ſelbſtändigen
Geltung und Organiſirung in den Geſellſchaften und Vereinen gelangt,
wenn die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft ſich von der ſtändiſchen trennt.
Das römiſche Recht kennt die letztere daher ſo wenig, als das alte
deutſche Privatrecht. Sie entſtehen von ſelbſt, aber ſie werden erſt
Gegenſtand des öffentlichen Rechts mit dem vorigen Jahrhundert, und
entwickeln dann drei Formen, von denen die erſten beiden die erſte,
die letztere wieder die zweite Epoche des Unternehmungscredits bilden,
und die ſich wieder durch das leitende Princip für die Berechtigung der
Theilnehmer als Mitglieder weſentlich unterſcheiden.

Die erſte Form iſt die der ſtillen Geſellſchaft, in welcher der
Creditor ſich noch mit dem bloßen Antheil am Unternehmungsgewinn
begnügt, ohne die Leitung der Unternehmung zu übernehmen.

Die zweite Form iſt die der offenen Geſellſchaft, in welcher
neben der gleichen Berechtigung jedes Theilnehmers am Unternehmungs-
gewinn auch die gleiche Berechtigung derſelben an der Leitung des
Unternehmens gilt.

In dieſen beiden Formen herrſcht nun noch das privatrechtliche
Element, weil beide ſich auf beſtimmte einzelne Mitglieder beziehen,
obwohl das öffentliche Recht bereits in der Geltung der Einheit nach
Außen und zwar als das Recht der Firma zur beſtimmten Er-
ſcheinung gelangt. Erſt in der zweiten Epoche, die im achtzehnten
Jahrhundert mit den Handelscompagnien beginnt, wird auch
das gegenſeitige Verhältniß der Mitglieder Gegenſtand des öffentlichen

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[301/0325] Allein ſo wie nun mit der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft ſich der Unternehmungsgeiſt, die Bethätigung der freien wirthſchaftlichen Per- ſönlichkeit, entwickelt, treten dieſe Organe, die „Geſellſchaften“ aus der Sphäre des Privatrechts (societas) hinaus; ſie umfaſſen nicht mehr bloß das Verhalten zu einander, ſondern ſie werden Organe des Ge- ſammtlebens und ſeines Verkehrs; damit wird ihr Recht ein öffentliches, wie es ihre Stellung iſt, und ſo entſteht das Verwaltungsrecht des Unternehmungscredits als das öffentliche Recht der Unterneh- mungsgeſellſchaften. Dieſes Recht hat nun, wie das was wir die Funktion dieſer Ge- ſellſchaften nennen, zwei große Grundformen, welche ſelbſt wieder die zwei geſchichtlichen Epochen der öffentlichen Geſtaltung des Unter- nehmungscredits bezeichnen. 1) Das Geſellſchaftsweſen des Unternehmungscredits und die Handelsgeſetzbücher. Es iſt tief im Weſen der geſellſchaftlichen Geſchichte begründet, daß der Unternehmungscredit überhaupt erſt dann zur ſelbſtändigen Geltung und Organiſirung in den Geſellſchaften und Vereinen gelangt, wenn die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft ſich von der ſtändiſchen trennt. Das römiſche Recht kennt die letztere daher ſo wenig, als das alte deutſche Privatrecht. Sie entſtehen von ſelbſt, aber ſie werden erſt Gegenſtand des öffentlichen Rechts mit dem vorigen Jahrhundert, und entwickeln dann drei Formen, von denen die erſten beiden die erſte, die letztere wieder die zweite Epoche des Unternehmungscredits bilden, und die ſich wieder durch das leitende Princip für die Berechtigung der Theilnehmer als Mitglieder weſentlich unterſcheiden. Die erſte Form iſt die der ſtillen Geſellſchaft, in welcher der Creditor ſich noch mit dem bloßen Antheil am Unternehmungsgewinn begnügt, ohne die Leitung der Unternehmung zu übernehmen. Die zweite Form iſt die der offenen Geſellſchaft, in welcher neben der gleichen Berechtigung jedes Theilnehmers am Unternehmungs- gewinn auch die gleiche Berechtigung derſelben an der Leitung des Unternehmens gilt. In dieſen beiden Formen herrſcht nun noch das privatrechtliche Element, weil beide ſich auf beſtimmte einzelne Mitglieder beziehen, obwohl das öffentliche Recht bereits in der Geltung der Einheit nach Außen und zwar als das Recht der Firma zur beſtimmten Er- ſcheinung gelangt. Erſt in der zweiten Epoche, die im achtzehnten Jahrhundert mit den Handelscompagnien beginnt, wird auch das gegenſeitige Verhältniß der Mitglieder Gegenſtand des öffentlichen

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/325>, abgerufen am 10.05.2024.