die Natur des Schiffes und der Schifffahrt selbst sowohl in seinem Princip als in seinem System bestimmt und so verständlich sein, daß das erstere, richtig aufgefaßt, das letztere seinen Inhalt fast von selbst ergibt.
Das Schiff, obgleich Privatgut, ist dennoch eine unabweisbare Be- dingung für den Verkehr, und namentlich für denjenigen, der nicht so sehr die Einzel- als vielmehr die Volkswirthschaften verbindet. Dennoch hat der, der es benützt, vermöge der Natur der Schifffahrt weder Sicherheit für die Leistungen von Schiff und Schiffer, noch für die Haltung der mit dem letzteren geschlossenen Verträge. Da nun aber beides eine für den Einzelnen unerreichbare Bedingung des See- verkehrs ist, so ist von jeher das auf die Schifffahrt bezügliche Ver- tragsrecht seinem Charakter als reines Privatrecht zum Theil verloren, und ist zu einem öffentlichen Recht geworden; wir nennen das das See- recht; und dieß Seerecht ist eben daher das erste systematisch entwickelte Verkehrsrecht in der Rechtsgeschichte. Allein während dieß Seerecht noch immer nur das Recht des Vertragsverhältnisses zwischen den Einzelnen enthält, die an der Schifffahrt betheiligt sind, entsteht mit der Ent- wicklung des transatlantischen Verkehrs und den glänzenden Erfolgen, welche die Theilnahme an der Weltschifffahrt den Nationen bereitet, die Erkenntniß, daß die Schifffahrt als Ganzes ein wesentlicher Zweig der Ent- wicklung des materiellen und geistigen Lebens der Völker sei, und die Regierungen fangen an, durch die Maßregeln ihrer Verwaltung das Aufblühen der Schifffahrt unmittelbar zu fördern. So entsteht neben dem Seerecht der zweite Theil des Schifffahrtswesens, die Verwal- tung desselben; und diese, zunächst auf die internationale Schifffahrt beschränkt, wird in den Grundsätzen des Merkantilsystems zum theore- tischen Ausdruck gebracht, und breitet sich dann auch über die Binnen- schifffahrt aus. Der Beginn dieser zweiten Epoche ist die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts mit der Navigationsakte in England und der Ordonnance de la Marine in Frankreich; während aber mit der freie- ren Bewegung des neunzehnten Jahrhunderts die daraus entstandenen Beschränkungen des Verkehrs im Sinne des Schutzsystems allmählig verschwinden, entsteht dafür eine Reihe von positiven, mehr und mehr geordneten Maßregeln für Ordnung und Hebung der Schifffahrt; und so entwickelt sich in Seerecht und Schifffahrtsverwaltung ein großes und hochbedeutendes System der Verwaltung, das aber freilich direkt nur von Werth für die Küstenländer ist, und daher nur bei diesen volles Verständniß und eingehende Würdigung findet. Doch muß man die elementaren Grundsätze des Schifffahrtswesens als einen integriren- den Theil der Verwaltung des Verkehrswesens betrachten.
die Natur des Schiffes und der Schifffahrt ſelbſt ſowohl in ſeinem Princip als in ſeinem Syſtem beſtimmt und ſo verſtändlich ſein, daß das erſtere, richtig aufgefaßt, das letztere ſeinen Inhalt faſt von ſelbſt ergibt.
Das Schiff, obgleich Privatgut, iſt dennoch eine unabweisbare Be- dingung für den Verkehr, und namentlich für denjenigen, der nicht ſo ſehr die Einzel- als vielmehr die Volkswirthſchaften verbindet. Dennoch hat der, der es benützt, vermöge der Natur der Schifffahrt weder Sicherheit für die Leiſtungen von Schiff und Schiffer, noch für die Haltung der mit dem letzteren geſchloſſenen Verträge. Da nun aber beides eine für den Einzelnen unerreichbare Bedingung des See- verkehrs iſt, ſo iſt von jeher das auf die Schifffahrt bezügliche Ver- tragsrecht ſeinem Charakter als reines Privatrecht zum Theil verloren, und iſt zu einem öffentlichen Recht geworden; wir nennen das das See- recht; und dieß Seerecht iſt eben daher das erſte ſyſtematiſch entwickelte Verkehrsrecht in der Rechtsgeſchichte. Allein während dieß Seerecht noch immer nur das Recht des Vertragsverhältniſſes zwiſchen den Einzelnen enthält, die an der Schifffahrt betheiligt ſind, entſteht mit der Ent- wicklung des transatlantiſchen Verkehrs und den glänzenden Erfolgen, welche die Theilnahme an der Weltſchifffahrt den Nationen bereitet, die Erkenntniß, daß die Schifffahrt als Ganzes ein weſentlicher Zweig der Ent- wicklung des materiellen und geiſtigen Lebens der Völker ſei, und die Regierungen fangen an, durch die Maßregeln ihrer Verwaltung das Aufblühen der Schifffahrt unmittelbar zu fördern. So entſteht neben dem Seerecht der zweite Theil des Schifffahrtsweſens, die Verwal- tung deſſelben; und dieſe, zunächſt auf die internationale Schifffahrt beſchränkt, wird in den Grundſätzen des Merkantilſyſtems zum theore- tiſchen Ausdruck gebracht, und breitet ſich dann auch über die Binnen- ſchifffahrt aus. Der Beginn dieſer zweiten Epoche iſt die Mitte des ſiebzehnten Jahrhunderts mit der Navigationsakte in England und der Ordonnance de la Marine in Frankreich; während aber mit der freie- ren Bewegung des neunzehnten Jahrhunderts die daraus entſtandenen Beſchränkungen des Verkehrs im Sinne des Schutzſyſtems allmählig verſchwinden, entſteht dafür eine Reihe von poſitiven, mehr und mehr geordneten Maßregeln für Ordnung und Hebung der Schifffahrt; und ſo entwickelt ſich in Seerecht und Schifffahrtsverwaltung ein großes und hochbedeutendes Syſtem der Verwaltung, das aber freilich direkt nur von Werth für die Küſtenländer iſt, und daher nur bei dieſen volles Verſtändniß und eingehende Würdigung findet. Doch muß man die elementaren Grundſätze des Schifffahrtsweſens als einen integriren- den Theil der Verwaltung des Verkehrsweſens betrachten.
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die Natur des Schiffes und der Schifffahrt ſelbſt ſowohl in ſeinem
Princip als in ſeinem Syſtem beſtimmt und ſo verſtändlich ſein, daß
das erſtere, richtig aufgefaßt, das letztere ſeinen Inhalt faſt von ſelbſt
ergibt.
Das Schiff, obgleich Privatgut, iſt dennoch eine unabweisbare Be-
dingung für den Verkehr, und namentlich für denjenigen, der nicht
ſo ſehr die Einzel- als vielmehr die Volkswirthſchaften verbindet.
Dennoch hat der, der es benützt, vermöge der Natur der Schifffahrt
weder Sicherheit für die Leiſtungen von Schiff und Schiffer, noch für
die Haltung der mit dem letzteren geſchloſſenen Verträge. Da nun
aber beides eine für den Einzelnen unerreichbare Bedingung des See-
verkehrs iſt, ſo iſt von jeher das auf die Schifffahrt bezügliche Ver-
tragsrecht ſeinem Charakter als reines Privatrecht zum Theil verloren,
und iſt zu einem öffentlichen Recht geworden; wir nennen das das See-
recht; und dieß Seerecht iſt eben daher das erſte ſyſtematiſch entwickelte
Verkehrsrecht in der Rechtsgeſchichte. Allein während dieß Seerecht noch
immer nur das Recht des Vertragsverhältniſſes zwiſchen den Einzelnen
enthält, die an der Schifffahrt betheiligt ſind, entſteht mit der Ent-
wicklung des transatlantiſchen Verkehrs und den glänzenden Erfolgen,
welche die Theilnahme an der Weltſchifffahrt den Nationen bereitet, die
Erkenntniß, daß die Schifffahrt als Ganzes ein weſentlicher Zweig der Ent-
wicklung des materiellen und geiſtigen Lebens der Völker ſei, und die
Regierungen fangen an, durch die Maßregeln ihrer Verwaltung das
Aufblühen der Schifffahrt unmittelbar zu fördern. So entſteht neben
dem Seerecht der zweite Theil des Schifffahrtsweſens, die Verwal-
tung deſſelben; und dieſe, zunächſt auf die internationale Schifffahrt
beſchränkt, wird in den Grundſätzen des Merkantilſyſtems zum theore-
tiſchen Ausdruck gebracht, und breitet ſich dann auch über die Binnen-
ſchifffahrt aus. Der Beginn dieſer zweiten Epoche iſt die Mitte des
ſiebzehnten Jahrhunderts mit der Navigationsakte in England und der
Ordonnance de la Marine in Frankreich; während aber mit der freie-
ren Bewegung des neunzehnten Jahrhunderts die daraus entſtandenen
Beſchränkungen des Verkehrs im Sinne des Schutzſyſtems allmählig
verſchwinden, entſteht dafür eine Reihe von poſitiven, mehr und mehr
geordneten Maßregeln für Ordnung und Hebung der Schifffahrt; und
ſo entwickelt ſich in Seerecht und Schifffahrtsverwaltung ein großes
und hochbedeutendes Syſtem der Verwaltung, das aber freilich direkt
nur von Werth für die Küſtenländer iſt, und daher nur bei dieſen
volles Verſtändniß und eingehende Würdigung findet. Doch muß man
die elementaren Grundſätze des Schifffahrtsweſens als einen integriren-
den Theil der Verwaltung des Verkehrsweſens betrachten.
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/213>, abgerufen am 30.11.2024.
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