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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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deßhalb auch wohl das Unterrichts- oder Volksbildungswesen
nennen. Das zweite ist das der Berufsbildung oder Fachbildung,
das dritte ist das der allgemeinen Bildung. In jedem dieser Ge-
biete arbeitet der Geist für seine eigne Gesammtentwicklung in hundert-
facher Weise; aber nicht das was hier auf geistigem Gebiete überhaupt
geschieht, sondern speciell nur das, was der thätige Staat für jedes
dieser Gebiete thut, ist dasjenige, was wir das öffentliche Bildungs-
wesen nennen. Das System des letzteren ist daher die objektive
Rechtsordnung
für die Bewegung der gesammten öffentlichen Bil-
dung. Und daraus entsteht dann das Rechtssystem derselben,
dessen Princip wie dessen Inhalt für jeden Theil des Ganzen ein natur-
gemäß verschiedenes ist.

2) Das Recht und die Gesetzgebung des Bildungswesens.

Das Recht des Bildungswesens umfaßt demnach formell die Ge-
sammtheit von öffentlichen Bestimmungen für die Thätigkeit der
Verwaltung in Beziehung auf die Erhaltung und Ent-
wicklung der Gesittung
des Volkes.

An sich ist die Bildung des Einzelnen absolut frei. Allein einer-
seits sind ihre Bedingungen dem Einzelnen unerreichbar, andrerseits
ist die Bildung des Einzelnen eine Bedingung der Entwicklung der
Gesammtheit. Die Aufgabe der Verwaltung in Beziehung auf das
Bildungswesen ist demgemäß eine doppelte. Sie hat einerseits die dem
Einzelnen unerreichbaren Bedingungen der Bildung herzustellen, und
andrerseits das ganze Maß derselben zu sichern, welches für die thätige
Betheiligung des Einzelnen am Gesammtleben theils im Allgemeinen,
theils für die einzelnen Berufe und ihre Ausübung gefordert wird.
Damit greift die Verwaltung tief in das geistige Leben des Einzelnen
hinein; und die daraus entstehenden Beschränkungen der Freiheit des
Einzelnen bilden den Inhalt des öffentlichen Bildungsrechts.

Indem sich nun dieß Rechtsprincip an das System des Bildungs-
wesens anschließt, entsteht das, was wir das Rechtssystem der öffent-
lichen Bildung nennen.

Das Rechtsprincip des Volksunterrichts ist der Schulzwang mit
seinen Voraussetzungen, die staatsbürgerliche Verpflichtung zur Erwer-
bung der Elementarkenntnisse, auf Grundlage der confessionellen Frei-
heit und der Unentgeldlichkeit des Volksunterrichts.

Das Rechtsprincip der Berufsbildung ist, daß die Fachbildung und
Prüfung die rechtliche Bedingung für die Ausübung öffentlicher
Funktionen sei, woraus die Ordnung der Studien und das Recht des
Geprüften folgen.

Stein, Handbuch der Verwaltungslehre. 8

deßhalb auch wohl das Unterrichts- oder Volksbildungsweſen
nennen. Das zweite iſt das der Berufsbildung oder Fachbildung,
das dritte iſt das der allgemeinen Bildung. In jedem dieſer Ge-
biete arbeitet der Geiſt für ſeine eigne Geſammtentwicklung in hundert-
facher Weiſe; aber nicht das was hier auf geiſtigem Gebiete überhaupt
geſchieht, ſondern ſpeciell nur das, was der thätige Staat für jedes
dieſer Gebiete thut, iſt dasjenige, was wir das öffentliche Bildungs-
weſen nennen. Das Syſtem des letzteren iſt daher die objektive
Rechtsordnung
für die Bewegung der geſammten öffentlichen Bil-
dung. Und daraus entſteht dann das Rechtsſyſtem derſelben,
deſſen Princip wie deſſen Inhalt für jeden Theil des Ganzen ein natur-
gemäß verſchiedenes iſt.

2) Das Recht und die Geſetzgebung des Bildungsweſens.

Das Recht des Bildungsweſens umfaßt demnach formell die Ge-
ſammtheit von öffentlichen Beſtimmungen für die Thätigkeit der
Verwaltung in Beziehung auf die Erhaltung und Ent-
wicklung der Geſittung
des Volkes.

An ſich iſt die Bildung des Einzelnen abſolut frei. Allein einer-
ſeits ſind ihre Bedingungen dem Einzelnen unerreichbar, andrerſeits
iſt die Bildung des Einzelnen eine Bedingung der Entwicklung der
Geſammtheit. Die Aufgabe der Verwaltung in Beziehung auf das
Bildungsweſen iſt demgemäß eine doppelte. Sie hat einerſeits die dem
Einzelnen unerreichbaren Bedingungen der Bildung herzuſtellen, und
andrerſeits das ganze Maß derſelben zu ſichern, welches für die thätige
Betheiligung des Einzelnen am Geſammtleben theils im Allgemeinen,
theils für die einzelnen Berufe und ihre Ausübung gefordert wird.
Damit greift die Verwaltung tief in das geiſtige Leben des Einzelnen
hinein; und die daraus entſtehenden Beſchränkungen der Freiheit des
Einzelnen bilden den Inhalt des öffentlichen Bildungsrechts.

Indem ſich nun dieß Rechtsprincip an das Syſtem des Bildungs-
weſens anſchließt, entſteht das, was wir das Rechtsſyſtem der öffent-
lichen Bildung nennen.

Das Rechtsprincip des Volksunterrichts iſt der Schulzwang mit
ſeinen Vorausſetzungen, die ſtaatsbürgerliche Verpflichtung zur Erwer-
bung der Elementarkenntniſſe, auf Grundlage der confeſſionellen Frei-
heit und der Unentgeldlichkeit des Volksunterrichts.

Das Rechtsprincip der Berufsbildung iſt, daß die Fachbildung und
Prüfung die rechtliche Bedingung für die Ausübung öffentlicher
Funktionen ſei, woraus die Ordnung der Studien und das Recht des
Geprüften folgen.

Stein, Handbuch der Verwaltungslehre. 8
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[113/0137] deßhalb auch wohl das Unterrichts- oder Volksbildungsweſen nennen. Das zweite iſt das der Berufsbildung oder Fachbildung, das dritte iſt das der allgemeinen Bildung. In jedem dieſer Ge- biete arbeitet der Geiſt für ſeine eigne Geſammtentwicklung in hundert- facher Weiſe; aber nicht das was hier auf geiſtigem Gebiete überhaupt geſchieht, ſondern ſpeciell nur das, was der thätige Staat für jedes dieſer Gebiete thut, iſt dasjenige, was wir das öffentliche Bildungs- weſen nennen. Das Syſtem des letzteren iſt daher die objektive Rechtsordnung für die Bewegung der geſammten öffentlichen Bil- dung. Und daraus entſteht dann das Rechtsſyſtem derſelben, deſſen Princip wie deſſen Inhalt für jeden Theil des Ganzen ein natur- gemäß verſchiedenes iſt. 2) Das Recht und die Geſetzgebung des Bildungsweſens. Das Recht des Bildungsweſens umfaßt demnach formell die Ge- ſammtheit von öffentlichen Beſtimmungen für die Thätigkeit der Verwaltung in Beziehung auf die Erhaltung und Ent- wicklung der Geſittung des Volkes. An ſich iſt die Bildung des Einzelnen abſolut frei. Allein einer- ſeits ſind ihre Bedingungen dem Einzelnen unerreichbar, andrerſeits iſt die Bildung des Einzelnen eine Bedingung der Entwicklung der Geſammtheit. Die Aufgabe der Verwaltung in Beziehung auf das Bildungsweſen iſt demgemäß eine doppelte. Sie hat einerſeits die dem Einzelnen unerreichbaren Bedingungen der Bildung herzuſtellen, und andrerſeits das ganze Maß derſelben zu ſichern, welches für die thätige Betheiligung des Einzelnen am Geſammtleben theils im Allgemeinen, theils für die einzelnen Berufe und ihre Ausübung gefordert wird. Damit greift die Verwaltung tief in das geiſtige Leben des Einzelnen hinein; und die daraus entſtehenden Beſchränkungen der Freiheit des Einzelnen bilden den Inhalt des öffentlichen Bildungsrechts. Indem ſich nun dieß Rechtsprincip an das Syſtem des Bildungs- weſens anſchließt, entſteht das, was wir das Rechtsſyſtem der öffent- lichen Bildung nennen. Das Rechtsprincip des Volksunterrichts iſt der Schulzwang mit ſeinen Vorausſetzungen, die ſtaatsbürgerliche Verpflichtung zur Erwer- bung der Elementarkenntniſſe, auf Grundlage der confeſſionellen Frei- heit und der Unentgeldlichkeit des Volksunterrichts. Das Rechtsprincip der Berufsbildung iſt, daß die Fachbildung und Prüfung die rechtliche Bedingung für die Ausübung öffentlicher Funktionen ſei, woraus die Ordnung der Studien und das Recht des Geprüften folgen. Stein, Handbuch der Verwaltungslehre. 8

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/137>, abgerufen am 28.11.2024.