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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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geschehen, nur dann auflösen, wenn die Versammlung als Ganzes das
Mitglied gegen die Anordnung der Polizei thätlich in Schutz nimmt.
Eben deßhalb hat sie das Recht auf Anzeige und Verbot der Versamm-
lung. Ihr drittes Gebiet bildet die Gesammtheit von Erscheinungen,
welche wir als Volksbewegungen bezeichnen, Auflauf, Tumult
u. dergl. Ihre Aufgabe ist, dieselben auf dem Punkte zu hindern,
wo sie durch erregte Leidenschaften zu einer öffentlichen Gefahr werden.
Es muß ihrem Ermessen überlassen bleiben, zu bestimmen, wann dieser
Zeitpunkt eingetreten ist; ist er eingetreten, so hat sie die Mittel zu
bestimmen, welche dieselben bändigt; doch sind die Bedingungen der
Anwendung von Waffengewalt gesetzlich vorgeschrieben und sie haftet
für die Innehaltung dieser Bedingungen (Aufruhrsakte). Das vierte
Gebiet endlich tritt da ein, wo entweder ein äußerer Feind das Land
angreift, oder die Volksbewegung zur thätlichen Bedrohung des ge-
sammten Rechtszustandes übergeht; im ersten Falle tritt das Kriegs-
recht
ein, im zweiten das Standrecht als Einführung der militä-
rischen Gerichtsbarkeit statt der bürgerlichen, meist nur für einzelne
bestimmte Verbrechen, oder bei allgemeiner Auflösung des Rechtszustandes
der Belagerungszustand, dessen Recht das des militärischen Gehor-
sams und seiner Pflichten und Folgen statt des staatsbürgerlichen ist.
Dieses Recht hat nun da, wo die einzelnen staatsbürgerlichen Rechte
durch specielle Gesetze formulirt sind, seine gesetzliche Ordnung nach
Vorbild der Aufhebung der Habeas Corpus-Akte in den Ausnahme-
gesetzen
gefunden, welche das Recht der Regierung auf Suspension
der staatsbürgerlichen Rechte genau beschränken und ordnen. Gegen
alle diese Maßregeln als solche gibt es kein Klagerecht, sondern nur
Beschwerderecht. Dagegen tritt das Klagerecht für die einzelnen Akte
der Polizeigewalt ein, wenn sie ein bestimmtes, für die Sicherheits-
polizei gegebenes Recht verletzt.

Diese höhere Sicherheitspolizei kann, weil sie allgemeine Verhält-
nisse betrifft, nur von der Regierung ausgeübt werden. Anders die
folgende.

Die Gesetzgebung für diese Polizei tritt erst ins Leben mit den Verfas-
sungen; sie ist kein System, sondern besteht aus einzelnen Gesetzen für die ein-
zelnen Aufgaben der Polizei.

Das Verbindungs- und Versammlungsrecht ist meist mit dem Ver-
einsrecht bis auf die neueste Zeit verschmolzen; die Unfreiheit des Vereins-
wesens bestand wesentlich darin, daß man sie als Verbindungen behandelte. Da-
her Erlaubniß- und Verbotsrecht für beide; doch unbedingtes Verbot
geheimer Verbindungen schon in Frankreich (Decret vom 29. Sept. 1791); das
Princip der Erlaubniß fortgesetzt (Code Pen. Art. 291). Auf gleichem Stand-

geſchehen, nur dann auflöſen, wenn die Verſammlung als Ganzes das
Mitglied gegen die Anordnung der Polizei thätlich in Schutz nimmt.
Eben deßhalb hat ſie das Recht auf Anzeige und Verbot der Verſamm-
lung. Ihr drittes Gebiet bildet die Geſammtheit von Erſcheinungen,
welche wir als Volksbewegungen bezeichnen, Auflauf, Tumult
u. dergl. Ihre Aufgabe iſt, dieſelben auf dem Punkte zu hindern,
wo ſie durch erregte Leidenſchaften zu einer öffentlichen Gefahr werden.
Es muß ihrem Ermeſſen überlaſſen bleiben, zu beſtimmen, wann dieſer
Zeitpunkt eingetreten iſt; iſt er eingetreten, ſo hat ſie die Mittel zu
beſtimmen, welche dieſelben bändigt; doch ſind die Bedingungen der
Anwendung von Waffengewalt geſetzlich vorgeſchrieben und ſie haftet
für die Innehaltung dieſer Bedingungen (Aufruhrsakte). Das vierte
Gebiet endlich tritt da ein, wo entweder ein äußerer Feind das Land
angreift, oder die Volksbewegung zur thätlichen Bedrohung des ge-
ſammten Rechtszuſtandes übergeht; im erſten Falle tritt das Kriegs-
recht
ein, im zweiten das Standrecht als Einführung der militä-
riſchen Gerichtsbarkeit ſtatt der bürgerlichen, meiſt nur für einzelne
beſtimmte Verbrechen, oder bei allgemeiner Auflöſung des Rechtszuſtandes
der Belagerungszuſtand, deſſen Recht das des militäriſchen Gehor-
ſams und ſeiner Pflichten und Folgen ſtatt des ſtaatsbürgerlichen iſt.
Dieſes Recht hat nun da, wo die einzelnen ſtaatsbürgerlichen Rechte
durch ſpecielle Geſetze formulirt ſind, ſeine geſetzliche Ordnung nach
Vorbild der Aufhebung der Habeas Corpus-Akte in den Ausnahme-
geſetzen
gefunden, welche das Recht der Regierung auf Suſpenſion
der ſtaatsbürgerlichen Rechte genau beſchränken und ordnen. Gegen
alle dieſe Maßregeln als ſolche gibt es kein Klagerecht, ſondern nur
Beſchwerderecht. Dagegen tritt das Klagerecht für die einzelnen Akte
der Polizeigewalt ein, wenn ſie ein beſtimmtes, für die Sicherheits-
polizei gegebenes Recht verletzt.

Dieſe höhere Sicherheitspolizei kann, weil ſie allgemeine Verhält-
niſſe betrifft, nur von der Regierung ausgeübt werden. Anders die
folgende.

Die Geſetzgebung für dieſe Polizei tritt erſt ins Leben mit den Verfaſ-
ſungen; ſie iſt kein Syſtem, ſondern beſteht aus einzelnen Geſetzen für die ein-
zelnen Aufgaben der Polizei.

Das Verbindungs- und Verſammlungsrecht iſt meiſt mit dem Ver-
einsrecht bis auf die neueſte Zeit verſchmolzen; die Unfreiheit des Vereins-
weſens beſtand weſentlich darin, daß man ſie als Verbindungen behandelte. Da-
her Erlaubniß- und Verbotsrecht für beide; doch unbedingtes Verbot
geheimer Verbindungen ſchon in Frankreich (Decret vom 29. Sept. 1791); das
Princip der Erlaubniß fortgeſetzt (Code Pén. Art. 291). Auf gleichem Stand-

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[101/0125] geſchehen, nur dann auflöſen, wenn die Verſammlung als Ganzes das Mitglied gegen die Anordnung der Polizei thätlich in Schutz nimmt. Eben deßhalb hat ſie das Recht auf Anzeige und Verbot der Verſamm- lung. Ihr drittes Gebiet bildet die Geſammtheit von Erſcheinungen, welche wir als Volksbewegungen bezeichnen, Auflauf, Tumult u. dergl. Ihre Aufgabe iſt, dieſelben auf dem Punkte zu hindern, wo ſie durch erregte Leidenſchaften zu einer öffentlichen Gefahr werden. Es muß ihrem Ermeſſen überlaſſen bleiben, zu beſtimmen, wann dieſer Zeitpunkt eingetreten iſt; iſt er eingetreten, ſo hat ſie die Mittel zu beſtimmen, welche dieſelben bändigt; doch ſind die Bedingungen der Anwendung von Waffengewalt geſetzlich vorgeſchrieben und ſie haftet für die Innehaltung dieſer Bedingungen (Aufruhrsakte). Das vierte Gebiet endlich tritt da ein, wo entweder ein äußerer Feind das Land angreift, oder die Volksbewegung zur thätlichen Bedrohung des ge- ſammten Rechtszuſtandes übergeht; im erſten Falle tritt das Kriegs- recht ein, im zweiten das Standrecht als Einführung der militä- riſchen Gerichtsbarkeit ſtatt der bürgerlichen, meiſt nur für einzelne beſtimmte Verbrechen, oder bei allgemeiner Auflöſung des Rechtszuſtandes der Belagerungszuſtand, deſſen Recht das des militäriſchen Gehor- ſams und ſeiner Pflichten und Folgen ſtatt des ſtaatsbürgerlichen iſt. Dieſes Recht hat nun da, wo die einzelnen ſtaatsbürgerlichen Rechte durch ſpecielle Geſetze formulirt ſind, ſeine geſetzliche Ordnung nach Vorbild der Aufhebung der Habeas Corpus-Akte in den Ausnahme- geſetzen gefunden, welche das Recht der Regierung auf Suſpenſion der ſtaatsbürgerlichen Rechte genau beſchränken und ordnen. Gegen alle dieſe Maßregeln als ſolche gibt es kein Klagerecht, ſondern nur Beſchwerderecht. Dagegen tritt das Klagerecht für die einzelnen Akte der Polizeigewalt ein, wenn ſie ein beſtimmtes, für die Sicherheits- polizei gegebenes Recht verletzt. Dieſe höhere Sicherheitspolizei kann, weil ſie allgemeine Verhält- niſſe betrifft, nur von der Regierung ausgeübt werden. Anders die folgende. Die Geſetzgebung für dieſe Polizei tritt erſt ins Leben mit den Verfaſ- ſungen; ſie iſt kein Syſtem, ſondern beſteht aus einzelnen Geſetzen für die ein- zelnen Aufgaben der Polizei. Das Verbindungs- und Verſammlungsrecht iſt meiſt mit dem Ver- einsrecht bis auf die neueſte Zeit verſchmolzen; die Unfreiheit des Vereins- weſens beſtand weſentlich darin, daß man ſie als Verbindungen behandelte. Da- her Erlaubniß- und Verbotsrecht für beide; doch unbedingtes Verbot geheimer Verbindungen ſchon in Frankreich (Decret vom 29. Sept. 1791); das Princip der Erlaubniß fortgeſetzt (Code Pén. Art. 291). Auf gleichem Stand-

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/125>, abgerufen am 27.11.2024.