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Stéenhof, Frieda: Die Moral des Feminismus. In: Ethische Kultur (1907). S. 106–109.

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freien, weil sie für sie Ursache und Ziel des Fortschritts darin
besteht, möglichst glückliche Daseinsbedingungen zu schaffen.
Die Menschheit hat stets darnach gestrebt, ob man es nun
anerkennen will oder nicht. Nur in dem Maße, als unser
eigenes Fortschreiten das irdische Dasein der Menschheit ver-
bessert, sprechen wir von einem "Fortschritt der Kultur".

Anderenfalls sagen wir: Die Kultur sank - die Kultur
verschwand - die Willkür herrschte.

Der Feminismus glaubt an keinen wirklichen Fortschritt,
dessen Weg nicht durch die Wissenschaft und die Frucht des
Denkens geebnet wird.

Deshalb will er alle Klassen, alle Geschlechter und jeden
Einzelnen an das Denken gewöhnen, und daß sie ihren Ge-
danken Achtung verschaffen. Für Frauen und nicht wahl-
berechtigte Männer ist diese Achtung zunächst von dem Er-
ringen des Wahlrechts abhängig; ohne dieses ist es un-
möglich, seinen Gedanken und seinem Willen Respekt zu
verschaffen.

Ohne abgeklärte Geistesarbeit ist es auch mit dem
Besitz des Wahlrechts nicht möglich, die Menschheit für zweck-
mäßige Methoden zur Kunst des Lebens zu vereinigen. Erst
dann, wenn der Verstand kultiviert genug ist, werden wir
die Errungenschaften anzuwenden verstehen, die die Wissen-
schaften uns gebracht haben.

Wir werden wissen, daß jede Entwickelung bestimmten
Gesetzen folgt, daß keine Umgestaltung als Wunder vom
Himmel fällt, oder der Theaterstreich eines geschickten Regisseurs
ist, selbst wenn es manchmal den Anschein davon hat.

Keine Klasse, weder die der Proletarier in ihrer
Armut, noch die der Frauen in ihrer Schwäche, kann
sich zur Höhe des Lebens aufschwingen, bevor sie ihre Denk-
fähigkeit erhöht hat. Aeußere Umwälzungen können ohne
intellektuelle Vorarbeiten nicht dauernd sein.

Jede Zivilisation hängt davon ab, daß das Jndividuum
ein klares Bewußtsein von sich selbst und der Welt bekommt.

Der Feminismus will nicht zugeben, daß die Un-
wissenheit
, bei wem es auch immer sei, eine Tugend
wäre, folglich auch nicht bei der Frau. Der Feminismus
will rationell der Vernunft gemäß wirken.

Er liebt die Aufklärung.

Seine Moral ist nur ein anderer Name für lux
- Licht!



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freien, weil sie für sie Ursache und Ziel des Fortschritts darin
besteht, möglichst glückliche Daseinsbedingungen zu schaffen.
Die Menschheit hat stets darnach gestrebt, ob man es nun
anerkennen will oder nicht. Nur in dem Maße, als unser
eigenes Fortschreiten das irdische Dasein der Menschheit ver-
bessert, sprechen wir von einem „Fortschritt der Kultur“.

Anderenfalls sagen wir: Die Kultur sank – die Kultur
verschwand – die Willkür herrschte.

Der Feminismus glaubt an keinen wirklichen Fortschritt,
dessen Weg nicht durch die Wissenschaft und die Frucht des
Denkens geebnet wird.

Deshalb will er alle Klassen, alle Geschlechter und jeden
Einzelnen an das Denken gewöhnen, und daß sie ihren Ge-
danken Achtung verschaffen. Für Frauen und nicht wahl-
berechtigte Männer ist diese Achtung zunächst von dem Er-
ringen des Wahlrechts abhängig; ohne dieses ist es un-
möglich, seinen Gedanken und seinem Willen Respekt zu
verschaffen.

Ohne abgeklärte Geistesarbeit ist es auch mit dem
Besitz des Wahlrechts nicht möglich, die Menschheit für zweck-
mäßige Methoden zur Kunst des Lebens zu vereinigen. Erst
dann, wenn der Verstand kultiviert genug ist, werden wir
die Errungenschaften anzuwenden verstehen, die die Wissen-
schaften uns gebracht haben.

Wir werden wissen, daß jede Entwickelung bestimmten
Gesetzen folgt, daß keine Umgestaltung als Wunder vom
Himmel fällt, oder der Theaterstreich eines geschickten Regisseurs
ist, selbst wenn es manchmal den Anschein davon hat.

Keine Klasse, weder die der Proletarier in ihrer
Armut, noch die der Frauen in ihrer Schwäche, kann
sich zur Höhe des Lebens aufschwingen, bevor sie ihre Denk-
fähigkeit erhöht hat. Aeußere Umwälzungen können ohne
intellektuelle Vorarbeiten nicht dauernd sein.

Jede Zivilisation hängt davon ab, daß das Jndividuum
ein klares Bewußtsein von sich selbst und der Welt bekommt.

Der Feminismus will nicht zugeben, daß die Un-
wissenheit
, bei wem es auch immer sei, eine Tugend
wäre, folglich auch nicht bei der Frau. Der Feminismus
will rationell der Vernunft gemäß wirken.

Er liebt die Aufklärung.

Seine Moral ist nur ein anderer Name für ߝ lux
– Licht!



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Zitationshilfe: Stéenhof, Frieda: Die Moral des Feminismus. In: Ethische Kultur (1907). S. 106–109, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steenhof_moral_1907/4>, abgerufen am 24.11.2024.