Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_083.001 1 pst_083.030
Vgl. dazu insbesondere auch die Seite 57 zitierten Worte Herders. pst_083.001 1 pst_083.030
Vgl. dazu insbesondere auch die Seite 57 zitierten Worte Herders. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0087" n="83"/><lb n="pst_083.001"/> oder Gegenständlichkeit gleichsam aufsaugt<note xml:id="PST_083_1" place="foot" n="1"><lb n="pst_083.030"/> Vgl. dazu insbesondere auch die Seite 57 zitierten Worte Herders.</note>. <lb n="pst_083.002"/> Ganz gelingt dies freilich nie, es sei denn in jenen wenigen <lb n="pst_083.003"/> Silben, die nichts mehr bedeuten und nur noch <lb n="pst_083.004"/> klingen, wie «eia popeia, <foreign xml:lang="grc">αἴλινον</foreign>, om». Solche Silben <lb n="pst_083.005"/> aber ergeben nie und nimmer ein Gedicht, so wenig <lb n="pst_083.006"/> wie eine Folge von Akkorden schon eine Symphonie, <lb n="pst_083.007"/> von Farbtönen ein Gemälde ergibt. Drum, weil sogar <lb n="pst_083.008"/> die reinste lyrische Art, ein Lied, schon Dichtung ist, <lb n="pst_083.009"/> kann selbst ein Lied die Idee des Lyrischen nie ausschließlich <lb n="pst_083.010"/> realisieren. Es besteht aus Wörtern, die immer <lb n="pst_083.011"/> zugleich Begriffe sind, nicht nur aus Silben; aus <lb n="pst_083.012"/> Sätzen, die immer zugleich einen objektiven Zusammenhang <lb n="pst_083.013"/> bedeuten, obwohl ein solcher jetzt nicht gemeint <lb n="pst_083.014"/> ist. Und es beginnt und führt irgendwo hin, <lb n="pst_083.015"/> wenngleich ein Ziel des Gleitens nicht in der Natur des <lb n="pst_083.016"/> Lyrischen liegt. In den Gedichten, die mit einer Klärung <lb n="pst_083.017"/> der Gefühle enden, treten die verschleierten Hintergründe <lb n="pst_083.018"/> der Sprache, zumal die begrifflichen Kräfte, <lb n="pst_083.019"/> wieder in Erscheinung: Das <hi rendition="#g">lyrische</hi> Gedicht hört auf. <lb n="pst_083.020"/> In den Gedichten, denen am Ende die Sprache versagt, <lb n="pst_083.021"/> überbordet dagegen die Innigkeit der Seele, die keinerlei <lb n="pst_083.022"/> Auseinandersetzung kennt: das lyrische <hi rendition="#g">Gedicht</hi> <lb n="pst_083.023"/> hört auf. <hi rendition="#g">Lyrisches Dichten</hi> aber ist jenes an sich <lb n="pst_083.024"/> unmögliche Sprechen der Seele, das nicht «beim Wort <lb n="pst_083.025"/> genommen» sein will, bei dem die Sprache selber noch <lb n="pst_083.026"/> ihre eigene feste Wirklichkeit scheut und lieber sich jedem <lb n="pst_083.027"/> logischen und grammatischen Zugriff entzieht. Es <lb n="pst_083.028"/> wird sich zeigen, daß in epischer und dramatischer Poesie <lb n="pst_083.029"/> die hier verwischten Wesenszüge der Sprache deutlich </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [83/0087]
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oder Gegenständlichkeit gleichsam aufsaugt 1. pst_083.002
Ganz gelingt dies freilich nie, es sei denn in jenen wenigen pst_083.003
Silben, die nichts mehr bedeuten und nur noch pst_083.004
klingen, wie «eia popeia, αἴλινον, om». Solche Silben pst_083.005
aber ergeben nie und nimmer ein Gedicht, so wenig pst_083.006
wie eine Folge von Akkorden schon eine Symphonie, pst_083.007
von Farbtönen ein Gemälde ergibt. Drum, weil sogar pst_083.008
die reinste lyrische Art, ein Lied, schon Dichtung ist, pst_083.009
kann selbst ein Lied die Idee des Lyrischen nie ausschließlich pst_083.010
realisieren. Es besteht aus Wörtern, die immer pst_083.011
zugleich Begriffe sind, nicht nur aus Silben; aus pst_083.012
Sätzen, die immer zugleich einen objektiven Zusammenhang pst_083.013
bedeuten, obwohl ein solcher jetzt nicht gemeint pst_083.014
ist. Und es beginnt und führt irgendwo hin, pst_083.015
wenngleich ein Ziel des Gleitens nicht in der Natur des pst_083.016
Lyrischen liegt. In den Gedichten, die mit einer Klärung pst_083.017
der Gefühle enden, treten die verschleierten Hintergründe pst_083.018
der Sprache, zumal die begrifflichen Kräfte, pst_083.019
wieder in Erscheinung: Das lyrische Gedicht hört auf. pst_083.020
In den Gedichten, denen am Ende die Sprache versagt, pst_083.021
überbordet dagegen die Innigkeit der Seele, die keinerlei pst_083.022
Auseinandersetzung kennt: das lyrische Gedicht pst_083.023
hört auf. Lyrisches Dichten aber ist jenes an sich pst_083.024
unmögliche Sprechen der Seele, das nicht «beim Wort pst_083.025
genommen» sein will, bei dem die Sprache selber noch pst_083.026
ihre eigene feste Wirklichkeit scheut und lieber sich jedem pst_083.027
logischen und grammatischen Zugriff entzieht. Es pst_083.028
wird sich zeigen, daß in epischer und dramatischer Poesie pst_083.029
die hier verwischten Wesenszüge der Sprache deutlich
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Vgl. dazu insbesondere auch die Seite 57 zitierten Worte Herders.
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