pst_017.001 ernstlich beeinträchtigt sei. Wohl sind nicht alle Gedichte pst_017.002 so empfindlich wie gerade dieses. Aber je lyrischer pst_017.003 ein Gedicht ist, desto unantastbarer ist es. Kaum pst_017.004 wagt man, es vorzulesen, aus Scheu, die Silben, im pst_017.005 Widerspruch zum Ton des Dichters, zu dehnen oder zu pst_017.006 kürzen, zu leise oder zu stark zu betonen. Epische Hexameter pst_017.007 sind viel robuster. Ihr Vortrag ist, in gewissen pst_017.008 Grenzen wenigstens, lernbar. Lyrische Verse aber, pst_017.009 wenn sie schon vorgetragen werden sollen, tönen nur pst_017.010 richtig, sofern sie aus tiefer Versenkung, aus einer pst_017.011 weltabgeschiedenen Stille neu erstehen - selbst wenn es pst_017.012 heitere Verse sind. Sie brauchen den Zauber der Eingebung, pst_017.013 und alles, was den Verdacht der Absicht erregen pst_017.014 könnte, verstimmt auch hier.
pst_017.015
Das ist es, was die Übertragung in fremde Sprachen pst_017.016 erschwert oder ausschließt. Bei Lautmalereien mag sich pst_017.017 ein findiger Übersetzer vielleicht behelfen. Ganz unwahrscheinlich pst_017.018 ist es aber, daß gleichbedeutende Wörter pst_017.019 verschiedener Sprachen dieselbe lyrische Einheit der pst_017.020 Laute und ihrer Bedeutung ergeben. Ein Beispiel führt pst_017.021 Ernst Jünger im "Lobe der Vokale"1 an. Es ist die lateinische pst_017.022 Strophe:
pst_017.023
"Nulla undapst_017.024 Tam profundapst_017.025 Quam vis amorispst_017.026 Furibunda."
pst_017.027
Wenn die Gewalt der Liebe hier mit dem Wasser verglichen pst_017.028 wird, so beschwören die Reimworte "unda,
1pst_017.029 In "Blätter und Steine", Hamburg 1934.
pst_017.001 ernstlich beeinträchtigt sei. Wohl sind nicht alle Gedichte pst_017.002 so empfindlich wie gerade dieses. Aber je lyrischer pst_017.003 ein Gedicht ist, desto unantastbarer ist es. Kaum pst_017.004 wagt man, es vorzulesen, aus Scheu, die Silben, im pst_017.005 Widerspruch zum Ton des Dichters, zu dehnen oder zu pst_017.006 kürzen, zu leise oder zu stark zu betonen. Epische Hexameter pst_017.007 sind viel robuster. Ihr Vortrag ist, in gewissen pst_017.008 Grenzen wenigstens, lernbar. Lyrische Verse aber, pst_017.009 wenn sie schon vorgetragen werden sollen, tönen nur pst_017.010 richtig, sofern sie aus tiefer Versenkung, aus einer pst_017.011 weltabgeschiedenen Stille neu erstehen – selbst wenn es pst_017.012 heitere Verse sind. Sie brauchen den Zauber der Eingebung, pst_017.013 und alles, was den Verdacht der Absicht erregen pst_017.014 könnte, verstimmt auch hier.
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Das ist es, was die Übertragung in fremde Sprachen pst_017.016 erschwert oder ausschließt. Bei Lautmalereien mag sich pst_017.017 ein findiger Übersetzer vielleicht behelfen. Ganz unwahrscheinlich pst_017.018 ist es aber, daß gleichbedeutende Wörter pst_017.019 verschiedener Sprachen dieselbe lyrische Einheit der pst_017.020 Laute und ihrer Bedeutung ergeben. Ein Beispiel führt pst_017.021 Ernst Jünger im «Lobe der Vokale»1 an. Es ist die lateinische pst_017.022 Strophe:
pst_017.023
«Nulla undapst_017.024 Tam profundapst_017.025 Quam vis amorispst_017.026 Furibunda.»
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richtig, sofern sie aus tiefer Versenkung, aus einer pst_017.011
weltabgeschiedenen Stille neu erstehen – selbst wenn es pst_017.012
heitere Verse sind. Sie brauchen den Zauber der Eingebung, pst_017.013
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Das ist es, was die Übertragung in fremde Sprachen pst_017.016
erschwert oder ausschließt. Bei Lautmalereien mag sich pst_017.017
ein findiger Übersetzer vielleicht behelfen. Ganz unwahrscheinlich pst_017.018
ist es aber, daß gleichbedeutende Wörter pst_017.019
verschiedener Sprachen dieselbe lyrische Einheit der pst_017.020
Laute und ihrer Bedeutung ergeben. Ein Beispiel führt pst_017.021
Ernst Jünger im «Lobe der Vokale» 1 an. Es ist die lateinische pst_017.022
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«Nulla unda pst_017.024
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wird, so beschwören die Reimworte «unda,
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Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/staiger_poetik_1946/21>, abgerufen am 16.02.2025.
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