Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stählein, Johann Michael: Der reisende Schneidergesell. Erfurt, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

mich verlassen, der Herr hat mein vergessen."
Oft seufzete ich: Jst denn die Hand des Herrn
zu kurz, daß er nicht helfen könne? Schon
im Anfang meines Elends, als ich und mei-
ne andere Mitsklaven von dem Renegaten
zweymal einige Streiche auf die Fußsolen
bekam, welche mir darnach aufgeschnitten,
Salz und Pfeffer hinein gestreuet, und zuge-
rufen wurde: Jch sollte mir nun meinen
Gott helfen lassen
-- litte mein Glaube an
meinem getreuen Gott und Heiland schier
Schiffbruch; ich zweifelte schon, ich könne
bey Gott nicht mehr zu Gnaden kommen. --
Aber nun kann ich -- wie wohl ganz be-
schämt -- sagen: "Wie hat der Herr die
Leute so lieb." Er weiß es allein, was uns
nutz und gut ist. Ließe er uns schon so harte
Plage fühlen, so ward er um so vielmehr be-
dacht, uns durch dieselbe von jener ewigen
Höllenpein zu befreyen.

Wir waren unserer 16 Personen. Eine
Gräfin, welche auch in die Sklaverey ge-
rathen war, kochte uns das Essen. Zum
Trunk bekamen wir Wasser, welches wir mit
sehr vieler Mühe erlangen mußten, um das
Wasser mit dem Munde herauszuziehen.
Wenn wir essen wollten, sassen wir um eine
Grube herum, aus welcher wir ohne Messer
und Gabel die Gedärme vom Vieh zu uns
nahmen. Während dieser trostlosen Verfas-

sung

mich verlaſſen, der Herr hat mein vergeſſen.“
Oft ſeufzete ich: Jſt denn die Hand des Herrn
zu kurz, daß er nicht helfen koͤnne? Schon
im Anfang meines Elends, als ich und mei-
ne andere Mitſklaven von dem Renegaten
zweymal einige Streiche auf die Fußſolen
bekam, welche mir darnach aufgeſchnitten,
Salz und Pfeffer hinein geſtreuet, und zuge-
rufen wurde: Jch ſollte mir nun meinen
Gott helfen laſſen
— litte mein Glaube an
meinem getreuen Gott und Heiland ſchier
Schiffbruch; ich zweifelte ſchon, ich koͤnne
bey Gott nicht mehr zu Gnaden kommen. —
Aber nun kann ich — wie wohl ganz be-
ſchaͤmt — ſagen: „Wie hat der Herr die
Leute ſo lieb.“ Er weiß es allein, was uns
nutz und gut iſt. Ließe er uns ſchon ſo harte
Plage fuͤhlen, ſo ward er um ſo vielmehr be-
dacht, uns durch dieſelbe von jener ewigen
Hoͤllenpein zu befreyen.

Wir waren unſerer 16 Perſonen. Eine
Graͤfin, welche auch in die Sklaverey ge-
rathen war, kochte uns das Eſſen. Zum
Trunk bekamen wir Waſſer, welches wir mit
ſehr vieler Muͤhe erlangen mußten, um das
Waſſer mit dem Munde herauszuziehen.
Wenn wir eſſen wollten, ſaſſen wir um eine
Grube herum, aus welcher wir ohne Meſſer
und Gabel die Gedaͤrme vom Vieh zu uns
nahmen. Waͤhrend dieſer troſtloſen Verfaſ-

ſung
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0012" n="10"/>
mich verla&#x017F;&#x017F;en, der Herr hat mein verge&#x017F;&#x017F;en.&#x201C;<lb/>
Oft &#x017F;eufzete ich: J&#x017F;t denn die Hand des Herrn<lb/>
zu kurz, daß er nicht helfen ko&#x0364;nne? Schon<lb/>
im Anfang meines Elends, als ich und mei-<lb/>
ne andere Mit&#x017F;klaven von dem Renegaten<lb/>
zweymal einige Streiche auf die Fuß&#x017F;olen<lb/>
bekam, welche mir darnach aufge&#x017F;chnitten,<lb/>
Salz und Pfeffer hinein ge&#x017F;treuet, und zuge-<lb/>
rufen wurde: <hi rendition="#fr">Jch &#x017F;ollte mir nun meinen<lb/>
Gott helfen la&#x017F;&#x017F;en</hi> &#x2014; litte mein Glaube an<lb/>
meinem getreuen Gott und Heiland &#x017F;chier<lb/>
Schiffbruch; ich zweifelte &#x017F;chon, ich ko&#x0364;nne<lb/>
bey Gott nicht mehr zu Gnaden kommen. &#x2014;<lb/>
Aber nun kann ich &#x2014; wie wohl ganz be-<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;mt &#x2014; &#x017F;agen: &#x201E;Wie hat der Herr die<lb/>
Leute &#x017F;o lieb.&#x201C; Er weiß es allein, was uns<lb/>
nutz und gut i&#x017F;t. Ließe er uns &#x017F;chon &#x017F;o harte<lb/>
Plage fu&#x0364;hlen, &#x017F;o ward er um &#x017F;o vielmehr be-<lb/>
dacht, uns durch die&#x017F;elbe von jener ewigen<lb/>
Ho&#x0364;llenpein zu befreyen.</p><lb/>
        <p>Wir waren un&#x017F;erer 16 Per&#x017F;onen. Eine<lb/>
Gra&#x0364;fin, welche auch in die Sklaverey ge-<lb/>
rathen war, kochte uns das E&#x017F;&#x017F;en. Zum<lb/>
Trunk bekamen wir Wa&#x017F;&#x017F;er, welches wir mit<lb/>
&#x017F;ehr vieler Mu&#x0364;he erlangen mußten, um das<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er mit dem Munde herauszuziehen.<lb/>
Wenn wir e&#x017F;&#x017F;en wollten, &#x017F;a&#x017F;&#x017F;en wir um eine<lb/>
Grube herum, aus welcher wir ohne Me&#x017F;&#x017F;er<lb/>
und Gabel die Geda&#x0364;rme vom Vieh zu uns<lb/>
nahmen. Wa&#x0364;hrend die&#x017F;er tro&#x017F;tlo&#x017F;en Verfa&#x017F;-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ung</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[10/0012] mich verlaſſen, der Herr hat mein vergeſſen.“ Oft ſeufzete ich: Jſt denn die Hand des Herrn zu kurz, daß er nicht helfen koͤnne? Schon im Anfang meines Elends, als ich und mei- ne andere Mitſklaven von dem Renegaten zweymal einige Streiche auf die Fußſolen bekam, welche mir darnach aufgeſchnitten, Salz und Pfeffer hinein geſtreuet, und zuge- rufen wurde: Jch ſollte mir nun meinen Gott helfen laſſen — litte mein Glaube an meinem getreuen Gott und Heiland ſchier Schiffbruch; ich zweifelte ſchon, ich koͤnne bey Gott nicht mehr zu Gnaden kommen. — Aber nun kann ich — wie wohl ganz be- ſchaͤmt — ſagen: „Wie hat der Herr die Leute ſo lieb.“ Er weiß es allein, was uns nutz und gut iſt. Ließe er uns ſchon ſo harte Plage fuͤhlen, ſo ward er um ſo vielmehr be- dacht, uns durch dieſelbe von jener ewigen Hoͤllenpein zu befreyen. Wir waren unſerer 16 Perſonen. Eine Graͤfin, welche auch in die Sklaverey ge- rathen war, kochte uns das Eſſen. Zum Trunk bekamen wir Waſſer, welches wir mit ſehr vieler Muͤhe erlangen mußten, um das Waſſer mit dem Munde herauszuziehen. Wenn wir eſſen wollten, ſaſſen wir um eine Grube herum, aus welcher wir ohne Meſſer und Gabel die Gedaͤrme vom Vieh zu uns nahmen. Waͤhrend dieſer troſtloſen Verfaſ- ſung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/staehlein_schneidergesell_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/staehlein_schneidergesell_1783/12
Zitationshilfe: Stählein, Johann Michael: Der reisende Schneidergesell. Erfurt, 1783, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/staehlein_schneidergesell_1783/12>, abgerufen am 26.04.2024.