Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.So ging der Winter dahin. In das freudlose Leben Heidi hatte auch eine große Anhänglichkeit an die alte So ging der Winter dahin. In das freudloſe Leben Heidi hatte auch eine große Anhänglichkeit an die alte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0080" n="70"/> <p>So ging der Winter dahin. In das freudloſe Leben<lb/> der blinden Großmutter war nach langen Jahren eine<lb/> Freude gefallen und ihre Tage waren nicht mehr lang und<lb/> dunkel, einer wie der andere, denn nun hatte ſie immer<lb/> Etwas in Ausſicht, nach dem ſie verlangen konnte. Vom<lb/> frühen Morgen an lauſchte ſie auch ſchon auf den trippelnden<lb/> Schritt, und ging dann die Thüre auf und das Kind kam<lb/> wirklich daher geſprungen, dann rief ſie jedes Mal in lauter<lb/> Freude: „Gott Lob, da kommt's wieder!“ Und Heidi<lb/> ſetzte ſich zu ihr und plauderte und erzählte ſo luſtig von<lb/> Allem, was es wußte, daß es der Großmutter ganz wohl<lb/> machte und ihr die Stunden dahin gingen, ſie merkte es<lb/> nicht, und kein einziges Mal fragte ſie mehr ſo wie früher:<lb/> „Brigitte, iſt der Tag noch nicht um?“ Sondern jedes<lb/> Mal, wenn Heidi die Thür hinter ſich ſchloß, ſagte ſie:<lb/> „Wie war doch der Nachmittag ſo kurz, iſt es nicht wahr,<lb/> Brigitte?“ Und dieſe ſagte: „Doch ſicher, es iſt mir, wir<lb/> haben erſt die Teller vom Eſſen weggeſtellt.“ Und die<lb/> Großmutter ſagte wieder: „Wenn mir nur der Herr Gott<lb/> das Kind erhält und dem Alm-Oehi den guten Willen! Sieht<lb/> es auch geſund aus, Brigitte?“ Und jedes Mal erwiderte<lb/> dieſe: „Es ſieht aus wie ein Erdbeerapfel.“</p><lb/> <p>Heidi hatte auch eine große Anhänglichkeit an die alte<lb/> Großmutter, und wenn es ihm wieder in den Sinn kam,<lb/> daß ihr gar Niemand, auch der Großvater nicht mehr hell<lb/> machen konnte, überkam es immer wieder eine große Be¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [70/0080]
So ging der Winter dahin. In das freudloſe Leben
der blinden Großmutter war nach langen Jahren eine
Freude gefallen und ihre Tage waren nicht mehr lang und
dunkel, einer wie der andere, denn nun hatte ſie immer
Etwas in Ausſicht, nach dem ſie verlangen konnte. Vom
frühen Morgen an lauſchte ſie auch ſchon auf den trippelnden
Schritt, und ging dann die Thüre auf und das Kind kam
wirklich daher geſprungen, dann rief ſie jedes Mal in lauter
Freude: „Gott Lob, da kommt's wieder!“ Und Heidi
ſetzte ſich zu ihr und plauderte und erzählte ſo luſtig von
Allem, was es wußte, daß es der Großmutter ganz wohl
machte und ihr die Stunden dahin gingen, ſie merkte es
nicht, und kein einziges Mal fragte ſie mehr ſo wie früher:
„Brigitte, iſt der Tag noch nicht um?“ Sondern jedes
Mal, wenn Heidi die Thür hinter ſich ſchloß, ſagte ſie:
„Wie war doch der Nachmittag ſo kurz, iſt es nicht wahr,
Brigitte?“ Und dieſe ſagte: „Doch ſicher, es iſt mir, wir
haben erſt die Teller vom Eſſen weggeſtellt.“ Und die
Großmutter ſagte wieder: „Wenn mir nur der Herr Gott
das Kind erhält und dem Alm-Oehi den guten Willen! Sieht
es auch geſund aus, Brigitte?“ Und jedes Mal erwiderte
dieſe: „Es ſieht aus wie ein Erdbeerapfel.“
Heidi hatte auch eine große Anhänglichkeit an die alte
Großmutter, und wenn es ihm wieder in den Sinn kam,
daß ihr gar Niemand, auch der Großvater nicht mehr hell
machen konnte, überkam es immer wieder eine große Be¬
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