Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.

Bild:
<< vorherige Seite

kam er um sein reichliches Mittagsmahl, und dann waren
die Gaißen so störrig an diesen Tagen, daß er die doppelte
Mühe mit ihnen hatte; denn die waren nun auch so an
Heidi's Gesellschaft gewöhnt, daß sie nicht vorwärts wollten,
wenn es nicht dabei war, und auf alle Seiten rannten.
Heidi wurde niemals unglücklich, denn es sah immer irgend
etwas Erfreuliches vor sich; am liebsten ging es schon mit
Hirt und Gaißen auf die Weide zu den Blumen und zum
Raubvogel hinauf, wo so mannigfaltige Dinge zu erleben
waren mit all' den verschieden gearteten Gaißen, aber auch
das Hämmern und Sägen und Zimmern des Großvaters
war sehr unterhaltend für Heidi; und traf es sich, daß er
gerade die schönen runden Gaißkäschen zubereitete, wenn es
daheimbleiben mußte, so war das ein ganz besonderes
Vergnügen, dieser merkwürdigen Thätigkeit zuzuschauen, wobei
der Großvater beide Arme bloß machte und damit in dem
großen Kessel herumrührte. Aber vor Allem anziehend
war für das Heidi an solchen Windtagen das Wogen und
Rauschen in den drei alten Tannen hinter der Hütte. Da
mußte es immer von Zeit zu Zeit hinlaufen von allem
Andern weg, was es auch sein mochte, denn so schön und
wunderbar war gar Nichts, wie dieses tiefe, geheimnißvolle
Tosen in den Wipfeln da droben; da stand Heidi unten
und lauschte hinauf und konnte niemals genug bekommen zu
sehen und zu hören, wie das wehte und wogte und rauschte
in den Bäumen mit großer Macht. Jetzt gab die Sonne

kam er um ſein reichliches Mittagsmahl, und dann waren
die Gaißen ſo ſtörrig an dieſen Tagen, daß er die doppelte
Mühe mit ihnen hatte; denn die waren nun auch ſo an
Heidi's Geſellſchaft gewöhnt, daß ſie nicht vorwärts wollten,
wenn es nicht dabei war, und auf alle Seiten rannten.
Heidi wurde niemals unglücklich, denn es ſah immer irgend
etwas Erfreuliches vor ſich; am liebſten ging es ſchon mit
Hirt und Gaißen auf die Weide zu den Blumen und zum
Raubvogel hinauf, wo ſo mannigfaltige Dinge zu erleben
waren mit all' den verſchieden gearteten Gaißen, aber auch
das Hämmern und Sägen und Zimmern des Großvaters
war ſehr unterhaltend für Heidi; und traf es ſich, daß er
gerade die ſchönen runden Gaißkäschen zubereitete, wenn es
daheimbleiben mußte, ſo war das ein ganz beſonderes
Vergnügen, dieſer merkwürdigen Thätigkeit zuzuſchauen, wobei
der Großvater beide Arme bloß machte und damit in dem
großen Keſſel herumrührte. Aber vor Allem anziehend
war für das Heidi an ſolchen Windtagen das Wogen und
Rauſchen in den drei alten Tannen hinter der Hütte. Da
mußte es immer von Zeit zu Zeit hinlaufen von allem
Andern weg, was es auch ſein mochte, denn ſo ſchön und
wunderbar war gar Nichts, wie dieſes tiefe, geheimnißvolle
Toſen in den Wipfeln da droben; da ſtand Heidi unten
und lauſchte hinauf und konnte niemals genug bekommen zu
ſehen und zu hören, wie das wehte und wogte und rauſchte
in den Bäumen mit großer Macht. Jetzt gab die Sonne

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0062" n="52"/>
kam er um &#x017F;ein reichliches Mittagsmahl, und dann waren<lb/>
die Gaißen &#x017F;o &#x017F;törrig an die&#x017F;en Tagen, daß er die doppelte<lb/>
Mühe mit ihnen hatte; denn die waren nun auch &#x017F;o an<lb/>
Heidi's Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft gewöhnt, daß &#x017F;ie nicht vorwärts wollten,<lb/>
wenn es nicht dabei war, und auf alle Seiten rannten.<lb/>
Heidi wurde niemals unglücklich, denn es &#x017F;ah immer irgend<lb/>
etwas Erfreuliches vor &#x017F;ich; am lieb&#x017F;ten ging es &#x017F;chon mit<lb/>
Hirt und Gaißen auf die Weide zu den Blumen und zum<lb/>
Raubvogel hinauf, wo &#x017F;o mannigfaltige Dinge zu erleben<lb/>
waren mit all' den ver&#x017F;chieden gearteten Gaißen, aber auch<lb/>
das Hämmern und Sägen und Zimmern des Großvaters<lb/>
war &#x017F;ehr unterhaltend für Heidi; und traf es &#x017F;ich, daß er<lb/>
gerade die &#x017F;chönen runden Gaißkäschen zubereitete, wenn es<lb/>
daheimbleiben mußte, &#x017F;o war das ein ganz be&#x017F;onderes<lb/>
Vergnügen, die&#x017F;er merkwürdigen Thätigkeit zuzu&#x017F;chauen, wobei<lb/>
der Großvater beide Arme bloß machte und damit in dem<lb/>
großen Ke&#x017F;&#x017F;el herumrührte. Aber vor Allem anziehend<lb/>
war für das Heidi an &#x017F;olchen Windtagen das Wogen und<lb/>
Rau&#x017F;chen in den drei alten Tannen hinter der Hütte. Da<lb/>
mußte es immer von Zeit zu Zeit hinlaufen von allem<lb/>
Andern weg, was es auch &#x017F;ein mochte, denn &#x017F;o &#x017F;chön und<lb/>
wunderbar war gar Nichts, wie die&#x017F;es tiefe, geheimnißvolle<lb/>
To&#x017F;en in den Wipfeln da droben; da &#x017F;tand Heidi unten<lb/>
und lau&#x017F;chte hinauf und konnte niemals genug bekommen zu<lb/>
&#x017F;ehen und zu hören, wie das wehte und wogte und rau&#x017F;chte<lb/>
in den Bäumen mit großer Macht. Jetzt gab die Sonne<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0062] kam er um ſein reichliches Mittagsmahl, und dann waren die Gaißen ſo ſtörrig an dieſen Tagen, daß er die doppelte Mühe mit ihnen hatte; denn die waren nun auch ſo an Heidi's Geſellſchaft gewöhnt, daß ſie nicht vorwärts wollten, wenn es nicht dabei war, und auf alle Seiten rannten. Heidi wurde niemals unglücklich, denn es ſah immer irgend etwas Erfreuliches vor ſich; am liebſten ging es ſchon mit Hirt und Gaißen auf die Weide zu den Blumen und zum Raubvogel hinauf, wo ſo mannigfaltige Dinge zu erleben waren mit all' den verſchieden gearteten Gaißen, aber auch das Hämmern und Sägen und Zimmern des Großvaters war ſehr unterhaltend für Heidi; und traf es ſich, daß er gerade die ſchönen runden Gaißkäschen zubereitete, wenn es daheimbleiben mußte, ſo war das ein ganz beſonderes Vergnügen, dieſer merkwürdigen Thätigkeit zuzuſchauen, wobei der Großvater beide Arme bloß machte und damit in dem großen Keſſel herumrührte. Aber vor Allem anziehend war für das Heidi an ſolchen Windtagen das Wogen und Rauſchen in den drei alten Tannen hinter der Hütte. Da mußte es immer von Zeit zu Zeit hinlaufen von allem Andern weg, was es auch ſein mochte, denn ſo ſchön und wunderbar war gar Nichts, wie dieſes tiefe, geheimnißvolle Toſen in den Wipfeln da droben; da ſtand Heidi unten und lauſchte hinauf und konnte niemals genug bekommen zu ſehen und zu hören, wie das wehte und wogte und rauſchte in den Bäumen mit großer Macht. Jetzt gab die Sonne

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/62
Zitationshilfe: Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/62>, abgerufen am 27.11.2024.