erschrecklich sieht mir das Kind nicht aus", bemerkte ruhig Herr Sesemann.
"Sie sollten nur Eines wissen, Herr Sesemann, nur das Eine, mit was für Menschen und Thieren dieses Wesen Ihr Haus in Ihrer Abwesenheit bevölkert hat; davon könnte der Herr Candidat erzählen."
"Mit Thieren? Wie muß ich das verstehen, Fräulein Rottenmeier?"
"Es ist eben nicht zu verstehen; die ganze Aufführung dieses Wesens wäre nicht zu verstehen, wenn nicht aus dem Einen Punkte, daß es Anfälle von völliger Verstandes¬ gestörtheit hat."
Bis hierher hatte Herr Sesemann die Sache nicht für wichtig gehalten; aber Gestörtheit des Verstandes? eine solche konnte ja für seine Tochter die bedenklichsten Folgen haben. Herr Sesemann schaute Fräulein Rottenmeier sehr genau an, so als wollte er sich erst versichern, ob nicht etwa bei ihr eine derartige Störung zu bemerken sei. In diesem Augenblick wurde die Thüre aufgethan und der Herr Can¬ didat angemeldet.
"Ach da kommt unser Herr Candidat, der wird uns Aufschluß geben", rief ihm Herr Sesemann entgegen. "Kommen Sie, kommen Sie, setzen Sie sich zu mir!" Herr Sesemann streckte dem Eintretenden die Hand ent¬ gegen. "Der Herr Candidat trinkt eine Tasse schwarzen Kaffee mit mir, Fräulein Rottenmeier! Setzen Sie sich,
erſchrecklich ſieht mir das Kind nicht aus“, bemerkte ruhig Herr Seſemann.
„Sie ſollten nur Eines wiſſen, Herr Seſemann, nur das Eine, mit was für Menſchen und Thieren dieſes Weſen Ihr Haus in Ihrer Abweſenheit bevölkert hat; davon könnte der Herr Candidat erzählen.“
„Mit Thieren? Wie muß ich das verſtehen, Fräulein Rottenmeier?“
„Es iſt eben nicht zu verſtehen; die ganze Aufführung dieſes Weſens wäre nicht zu verſtehen, wenn nicht aus dem Einen Punkte, daß es Anfälle von völliger Verſtandes¬ geſtörtheit hat.“
Bis hierher hatte Herr Seſemann die Sache nicht für wichtig gehalten; aber Geſtörtheit des Verſtandes? eine ſolche konnte ja für ſeine Tochter die bedenklichſten Folgen haben. Herr Seſemann ſchaute Fräulein Rottenmeier ſehr genau an, ſo als wollte er ſich erſt verſichern, ob nicht etwa bei ihr eine derartige Störung zu bemerken ſei. In dieſem Augenblick wurde die Thüre aufgethan und der Herr Can¬ didat angemeldet.
„Ach da kommt unſer Herr Candidat, der wird uns Aufſchluß geben“, rief ihm Herr Seſemann entgegen. „Kommen Sie, kommen Sie, ſetzen Sie ſich zu mir!“ Herr Seſemann ſtreckte dem Eintretenden die Hand ent¬ gegen. „Der Herr Candidat trinkt eine Taſſe ſchwarzen Kaffee mit mir, Fräulein Rottenmeier! Setzen Sie ſich,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0153"n="143"/>
erſchrecklich ſieht mir das Kind nicht aus“, bemerkte ruhig<lb/>
Herr Seſemann.</p><lb/><p>„Sie ſollten nur Eines wiſſen, Herr Seſemann, nur<lb/>
das Eine, mit was für Menſchen und Thieren dieſes Weſen<lb/>
Ihr Haus in Ihrer Abweſenheit bevölkert hat; davon könnte<lb/>
der Herr Candidat erzählen.“</p><lb/><p>„Mit Thieren? Wie muß ich das verſtehen, Fräulein<lb/>
Rottenmeier?“</p><lb/><p>„Es iſt eben nicht zu verſtehen; die ganze Aufführung<lb/>
dieſes Weſens wäre nicht zu verſtehen, wenn nicht aus dem<lb/>
Einen Punkte, daß es Anfälle von völliger Verſtandes¬<lb/>
geſtörtheit hat.“</p><lb/><p>Bis hierher hatte Herr Seſemann die Sache nicht für<lb/>
wichtig gehalten; aber Geſtörtheit des Verſtandes? eine ſolche<lb/>
konnte ja für ſeine Tochter die bedenklichſten Folgen haben.<lb/>
Herr Seſemann ſchaute Fräulein Rottenmeier ſehr genau<lb/>
an, ſo als wollte er ſich erſt verſichern, ob nicht etwa bei<lb/>
ihr eine derartige Störung zu bemerken ſei. In dieſem<lb/>
Augenblick wurde die Thüre aufgethan und der Herr Can¬<lb/>
didat angemeldet.</p><lb/><p>„Ach da kommt unſer Herr Candidat, der wird uns<lb/>
Aufſchluß geben“, rief ihm Herr Seſemann entgegen.<lb/>„Kommen Sie, kommen Sie, ſetzen Sie ſich zu mir!“<lb/>
Herr Seſemann ſtreckte dem Eintretenden die Hand ent¬<lb/>
gegen. „Der Herr Candidat trinkt eine Taſſe ſchwarzen<lb/>
Kaffee mit mir, Fräulein Rottenmeier! Setzen Sie ſich,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[143/0153]
erſchrecklich ſieht mir das Kind nicht aus“, bemerkte ruhig
Herr Seſemann.
„Sie ſollten nur Eines wiſſen, Herr Seſemann, nur
das Eine, mit was für Menſchen und Thieren dieſes Weſen
Ihr Haus in Ihrer Abweſenheit bevölkert hat; davon könnte
der Herr Candidat erzählen.“
„Mit Thieren? Wie muß ich das verſtehen, Fräulein
Rottenmeier?“
„Es iſt eben nicht zu verſtehen; die ganze Aufführung
dieſes Weſens wäre nicht zu verſtehen, wenn nicht aus dem
Einen Punkte, daß es Anfälle von völliger Verſtandes¬
geſtörtheit hat.“
Bis hierher hatte Herr Seſemann die Sache nicht für
wichtig gehalten; aber Geſtörtheit des Verſtandes? eine ſolche
konnte ja für ſeine Tochter die bedenklichſten Folgen haben.
Herr Seſemann ſchaute Fräulein Rottenmeier ſehr genau
an, ſo als wollte er ſich erſt verſichern, ob nicht etwa bei
ihr eine derartige Störung zu bemerken ſei. In dieſem
Augenblick wurde die Thüre aufgethan und der Herr Can¬
didat angemeldet.
„Ach da kommt unſer Herr Candidat, der wird uns
Aufſchluß geben“, rief ihm Herr Seſemann entgegen.
„Kommen Sie, kommen Sie, ſetzen Sie ſich zu mir!“
Herr Seſemann ſtreckte dem Eintretenden die Hand ent¬
gegen. „Der Herr Candidat trinkt eine Taſſe ſchwarzen
Kaffee mit mir, Fräulein Rottenmeier! Setzen Sie ſich,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/153>, abgerufen am 17.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.