Sprengel, Christian Konrad: Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin, 1793.[Spaltenumbruch]
Parnassia. 13. und 17. Die bey nasser Witterung verschlossene Sa- Ob ich mir gleich viel Mühe gegeben habe, den Bau dieser Die größte Schwierigkeit verursachen die fünf Saftmaschinen, Nachdem sich die Blume geöffnet hat, so haben anfänglich Noch weniger aber ist weder ihm, noch irgend einem andern Parnassia. Antheren vom Pistill entfernt haben, sich in vier Theile zu spal-ten und zu blühen anfängt. Da also die Antheren, so lange sie blühen, ihren Staub dem Stigma nicht mittheilen können, weil noch kein Stigma vorhanden ist, und wiederum das Stigma, wann es blühet, von den Antheren keinen Staub erhalten kann, da sie selbst keinen Stäub mehr haben: so muß diese Einrichtung demjenigen, welcher von der Befruchtung durch Insekten nichts weiß, ungereimt vorkommen. Er muß glauben, daß die Be- fruchtung ganz und gar unterbleibt. Und dennoch zeigt ihm die Erfahrung grade das Gegentheil, indem aus allen Blumen Kap- seln entstehen, welche mit einer Menge guter Samenkörner ange- füllt sind. Man muß also, man mag wollen oder nicht, zu den Insekten seine Zuflucht nehmen. Und sobald man dies gethan hat, so wird man jene Einrichtung, welche man vorher für ungereimt hielt, sehr schicklich und zweckmäßig finden. Ein gewisses mir noch unbekanntes grösseres Insekt befruchtet die Blume, und zwar so, daß es den Staub von der blühenden Authere einer jün- geren Blume auf das Stigma einer älteren bringt. Es kann nemlich in der jüngeren Blume nicht zum Saft gelangen, ohne mit einem gewissen Theil seines Körpers, vermuthlich dem Un- terleibe, die oberste Seite der Anthere zu berühren, und ihren Staub abzustreifen. Fliegt es nun von dieser auf eine ältere Blume, so kann es eben so wenig den Saft derselben verzehren, ohne mit eben diesem Theil seines Körpers die oberste Oberfläche des Stigma, als das eigentliche Stigma, zu berühren, und dem- selben den mitgebrachten Staub mitzutheilen, weil das Stigma eben die Stelle einnimmt, welche in der jüngeren Blume die An- there einnimmt. Nach dieser Vorstellung von der Befruchtung wird man den 1. Die Staubgefäße befinden sich in drey verschiedenen Zu- [Spaltenumbruch]
Parnaſſia. 13. und 17. Die bey naſſer Witterung verſchloſſene Sa- Ob ich mir gleich viel Muͤhe gegeben habe, den Bau dieſer Die groͤßte Schwierigkeit verurſachen die fuͤnf Saftmaſchinen, Nachdem ſich die Blume geoͤffnet hat, ſo haben anfaͤnglich Noch weniger aber iſt weder ihm, noch irgend einem andern Parnaſſia. Antheren vom Piſtill entfernt haben, ſich in vier Theile zu ſpal-ten und zu bluͤhen anfaͤngt. Da alſo die Antheren, ſo lange ſie bluͤhen, ihren Staub dem Stigma nicht mittheilen koͤnnen, weil noch kein Stigma vorhanden iſt, und wiederum das Stigma, wann es bluͤhet, von den Antheren keinen Staub erhalten kann, da ſie ſelbſt keinen Staͤub mehr haben: ſo muß dieſe Einrichtung demjenigen, welcher von der Befruchtung durch Inſekten nichts weiß, ungereimt vorkommen. Er muß glauben, daß die Be- fruchtung ganz und gar unterbleibt. Und dennoch zeigt ihm die Erfahrung grade das Gegentheil, indem aus allen Blumen Kap- ſeln entſtehen, welche mit einer Menge guter Samenkoͤrner ange- fuͤllt ſind. Man muß alſo, man mag wollen oder nicht, zu den Inſekten ſeine Zuflucht nehmen. Und ſobald man dies gethan hat, ſo wird man jene Einrichtung, welche man vorher fuͤr ungereimt hielt, ſehr ſchicklich und zweckmaͤßig finden. Ein gewiſſes mir noch unbekanntes groͤſſeres Inſekt befruchtet die Blume, und zwar ſo, daß es den Staub von der bluͤhenden Authere einer juͤn- geren Blume auf das Stigma einer aͤlteren bringt. Es kann nemlich in der juͤngeren Blume nicht zum Saft gelangen, ohne mit einem gewiſſen Theil ſeines Koͤrpers, vermuthlich dem Un- terleibe, die oberſte Seite der Anthere zu beruͤhren, und ihren Staub abzuſtreifen. Fliegt es nun von dieſer auf eine aͤltere Blume, ſo kann es eben ſo wenig den Saft derſelben verzehren, ohne mit eben dieſem Theil ſeines Koͤrpers die oberſte Oberflaͤche des Stigma, als das eigentliche Stigma, zu beruͤhren, und dem- ſelben den mitgebrachten Staub mitzutheilen, weil das Stigma eben die Stelle einnimmt, welche in der juͤngeren Blume die An- there einnimmt. Nach dieſer Vorſtellung von der Befruchtung wird man den 1. Die Staubgefaͤße befinden ſich in drey verſchiedenen Zu- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0096" n="[96]"/> <cb n="167"/><lb/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#aq">Parnaſſia.</hi> </fw><lb/> <p>13. und 17. Die bey naſſer Witterung verſchloſſene Sa-<lb/> menkapſel.</p><lb/> <p>Ob ich mir gleich viel Muͤhe gegeben habe, den Bau dieſer<lb/> Blume, und die eigentliche Art, wie ſie befruchtet wird, zu er-<lb/> forſchen: ſo iſt dennoch beides bisher fuͤr mich ein Geheimniß ge-<lb/> blieben. 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Schon hieraus folgt, daß die Be-<lb/> fruchtung nicht auf eine mechaniſche Art geſchehen koͤnne. Denn<lb/> geſetzt, das Piſtill haͤtte nun ſchon ein Stigma, welches es doch<lb/> nicht hat: ſo muͤßte die uͤber demſelben befindliche Anthere nicht<lb/> auf der oberen, ſondern auf der unteren Seite den Staub haben,<lb/> weil dieſe dem Stigma zugekehrt, jene aber von demſelben abge-<lb/> wendet iſt. Nachdem das erſte Staubgefaͤß in dieſer Stellung<lb/> ungefaͤhr einen Tag lang geblieben iſt, ſo wendet es ſich vom<lb/> Piſtill ab, und naͤhert ſich der Krone, und erhaͤlt alſo, anſtatt<lb/> der bisherigen aufrechten, eine horizontale Stellung. Seine<lb/> Anthere iſt alsdenn welk, unanſehnlich und ohne Staub. Un-<lb/> terdeſſen faͤngt das zweyte Staubgefaͤß an, eben das, und in<lb/> eben der Ordnung zu thun, was und in welcher es das erſte ge-<lb/> than hatte. Und eben ſo nach und nach die uͤbrigen. Nach fuͤnf,<lb/> ſechs oder ſieben Tagen findet man alſo alle Staubgefaͤße in hori-<lb/> zontaler Stellung, und ihre Antheren verwelkt und ohne Staub.<lb/> Dieſe Ordnung, in welcher die Staubgefaͤße einander abloͤſen,<lb/> iſt dem Verfaſſer der Diſſertation: <hi rendition="#aq">Sponſalia plantarum</hi>, nicht<lb/> unbekannt geweſen. 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Parnaſſia.
Parnaſſia.
13. und 17. Die bey naſſer Witterung verſchloſſene Sa-
menkapſel.
Ob ich mir gleich viel Muͤhe gegeben habe, den Bau dieſer
Blume, und die eigentliche Art, wie ſie befruchtet wird, zu er-
forſchen: ſo iſt dennoch beides bisher fuͤr mich ein Geheimniß ge-
blieben. Ganz vergebens aber iſt meine Bemuͤhung auch nicht
geweſen, indem ich wenigſtens entdeckt habe, und beweiſen kann,
daß die Blume von einem Inſekt befruchtet wird.
Die groͤßte Schwierigkeit verurſachen die fuͤnf Saftmaſchinen,
welche, mit den Staubgefaͤßen abwechſelnd, das Piſtill umge-
ben, und deren Struktur ganz originell und in ihrer Art einzig
iſt. Der Saft iſt auf der inneren Seite derſelben befindlich.
Nachdem ſich die Blume geoͤffnet hat, ſo haben anfaͤnglich
alle Staubgefaͤße die Stellung und Geſtalt des 4. Die Filamente
ſind kurz, die Antheren groß, weiß, und noch geſchloſſen. Hier-
auf faͤngt ein Staubgefaͤß an, das Filament zu verlaͤngern, bis
endlich die Anthere ſich uͤber das Piſtill hinlegt, ſich oͤffnet, und
einen gelblichen Staub zeigt. Hier iſt nun der Umſtand merk-
wuͤrdig, daß die Anthere bloß auf der oberſten Seite ſich oͤffnet,
und mit Staub verſehen iſt. Schon hieraus folgt, daß die Be-
fruchtung nicht auf eine mechaniſche Art geſchehen koͤnne. Denn
geſetzt, das Piſtill haͤtte nun ſchon ein Stigma, welches es doch
nicht hat: ſo muͤßte die uͤber demſelben befindliche Anthere nicht
auf der oberen, ſondern auf der unteren Seite den Staub haben,
weil dieſe dem Stigma zugekehrt, jene aber von demſelben abge-
wendet iſt. Nachdem das erſte Staubgefaͤß in dieſer Stellung
ungefaͤhr einen Tag lang geblieben iſt, ſo wendet es ſich vom
Piſtill ab, und naͤhert ſich der Krone, und erhaͤlt alſo, anſtatt
der bisherigen aufrechten, eine horizontale Stellung. Seine
Anthere iſt alsdenn welk, unanſehnlich und ohne Staub. Un-
terdeſſen faͤngt das zweyte Staubgefaͤß an, eben das, und in
eben der Ordnung zu thun, was und in welcher es das erſte ge-
than hatte. Und eben ſo nach und nach die uͤbrigen. Nach fuͤnf,
ſechs oder ſieben Tagen findet man alſo alle Staubgefaͤße in hori-
zontaler Stellung, und ihre Antheren verwelkt und ohne Staub.
Dieſe Ordnung, in welcher die Staubgefaͤße einander abloͤſen,
iſt dem Verfaſſer der Diſſertation: Sponſalia plantarum, nicht
unbekannt geweſen. Daß aber die bluͤhende Anthere bloß auf der
oberſten Seite den Staub hat, hat er entweder nicht bemerkt,
oder fuͤr etwas unbedeutendes gehalten.
Noch weniger aber iſt weder ihm, noch irgend einem andern
der noch wichtigere Umſtand bekannt geweſen, daß das Stigma
waͤhrend der ganzen Zeit, in welcher die Antheren eine nach der
andern bluͤhen, noch nicht bluͤhet, ſondern geſchloſſen iſt, und
nur erſt alsdenn, wann alle Staubgefaͤße ſich mit ihren ſtaubloſen
Antheren vom Piſtill entfernt haben, ſich in vier Theile zu ſpal-
ten und zu bluͤhen anfaͤngt. Da alſo die Antheren, ſo lange ſie
bluͤhen, ihren Staub dem Stigma nicht mittheilen koͤnnen, weil
noch kein Stigma vorhanden iſt, und wiederum das Stigma,
wann es bluͤhet, von den Antheren keinen Staub erhalten kann,
da ſie ſelbſt keinen Staͤub mehr haben: ſo muß dieſe Einrichtung
demjenigen, welcher von der Befruchtung durch Inſekten nichts
weiß, ungereimt vorkommen. Er muß glauben, daß die Be-
fruchtung ganz und gar unterbleibt. Und dennoch zeigt ihm die
Erfahrung grade das Gegentheil, indem aus allen Blumen Kap-
ſeln entſtehen, welche mit einer Menge guter Samenkoͤrner ange-
fuͤllt ſind. Man muß alſo, man mag wollen oder nicht, zu den
Inſekten ſeine Zuflucht nehmen. Und ſobald man dies gethan hat,
ſo wird man jene Einrichtung, welche man vorher fuͤr ungereimt
hielt, ſehr ſchicklich und zweckmaͤßig finden. Ein gewiſſes mir
noch unbekanntes groͤſſeres Inſekt befruchtet die Blume, und
zwar ſo, daß es den Staub von der bluͤhenden Authere einer juͤn-
geren Blume auf das Stigma einer aͤlteren bringt. Es kann
nemlich in der juͤngeren Blume nicht zum Saft gelangen, ohne
mit einem gewiſſen Theil ſeines Koͤrpers, vermuthlich dem Un-
terleibe, die oberſte Seite der Anthere zu beruͤhren, und ihren
Staub abzuſtreifen. Fliegt es nun von dieſer auf eine aͤltere
Blume, ſo kann es eben ſo wenig den Saft derſelben verzehren,
ohne mit eben dieſem Theil ſeines Koͤrpers die oberſte Oberflaͤche
des Stigma, als das eigentliche Stigma, zu beruͤhren, und dem-
ſelben den mitgebrachten Staub mitzutheilen, weil das Stigma
eben die Stelle einnimmt, welche in der juͤngeren Blume die An-
there einnimmt.
Nach dieſer Vorſtellung von der Befruchtung wird man den
Bau und die ganze Einrichtung dieſer Blume, ſoweit jener und
dieſe von Andern und von mir entdeckt worden iſt, ſehr wohl aus-
gedacht und ſehr zweckmaͤßig finden.
1. Die Staubgefaͤße befinden ſich in drey verſchiedenen Zu-
ſtaͤnden, nemlich vor dem Bluͤhen der Antheren, waͤhrend deſſel-
ben und nach demſelben. Ein Umſtand, welcher in der Folge
noch oͤfter vorkommen wird, und weicher, wenn ich nicht irre,
jedesmal ein Kennzeichen der Dichogamie iſt. Dieſe Einrichtung
war unumgaͤnglich noͤthig. Die bluͤhende Anthere muß eben die
Stelle haben, welche hernach das bluͤhende Stigma hat. Das
Filament muß ſich alſo dicht an das Piſtill anlehnen, und eben ſo
lang, oder vielmehr ein klein wenig laͤnger ſeyn, als daſſelbe.
Die Filamente der noch nicht bluͤhenden Antheren koͤnnen zwar
eben dieſelbe Stellung haben, ſie muͤſſen aber weit kuͤrzer ſeyn.
Denn wenn ſie eben ſo lang waͤren, als jenes, ſo wuͤrden die noch
nicht bluͤhenden Autheren eben ſo hoch, oder vielmehr, weil ſie
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