Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sprengel, Christian Konrad: Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

[Spaltenumbruch]

Ophrys.
und diese blieben an jenen hangen. Ueber diesem Insekt sieht
man das kleinere, welches Ein Staubkölbchenpaar auf seinem
Kopf hat, eben so stark vergrössert.

Im Sommer des gegenwärtigen Jahres habe ich nicht un-
terlassen, meine Pflanzen, so lange sie blüheten, einigemal zu
beobachten. Ich traf wieder einige Schlupfwespen auf denselben
an, welche an ihrem Kopf ein Staubkölbchenpaar sitzen hatten,
desgleichen einen kleinen Käfer mit schwarzem Kopf und Brust-
schild und braunen Flügeldecken, welcher sich auch einen solchen
Kopfschmuck aus einer Blume geholt hatte. Diese Insekten habe
ich gefangen, und sie befinden sich in meiner Sammlung, und
sind bis diese Stunde mit den Staubkölbchen versehen. Auch
fand ich die schwarzen Gartenameisen in den Blumen. Diese
krochen zwar auf eben die Art, wie die übrigen Insekten, an der
Saftdrüse hinauf; wann sie aber bis an an das Ende derselben
gekommen waren, so berührten sie die Staubkölbchen nicht, weil
sie zu klein waren, und ihr Kopf zu niedrig stand. Einstmals
war ich so glücklich, es mit anzusehen, wie eine Blume von einem
Insekt von der ersten Gattung befruchtet wurde. Dasselbe war
mit Staubkölbchen versehen, und nachdem es auf der Unterlippe
der Blume ganz hinaufgekrochen war, so berührte es mit den
Staubkölbchen das Stigma. Als es hierauf eine kleine Bewe-
gung machte, so blieb ein Theil der Staubkölbchen am Stigma
kleben, den grössern Theil aber behielt das Insekt. Es ist aber
nicht zu zweifeln, daß der zurückgebliebene Theil schon im Stande
gewesen ist, den Fruchtknoten zu befruchten.

Gleichwie ein geschickter Brettspieler es so zu veranstalten
weiß, daß sein minder geübter Gegner irgend einen das Spiel
entscheidenden Stein mit eigener Hand, jedoch ohne es zu wissen
und zu wollen, nach und nach grade dahin ziehen muß, wohin
er denselben gezogen wissen will, und der Gegner, wann nun
sein Stein richtig an dem Ort seiner Bestimmung angekommen
ist, weil er zwar die nahe Gefahr gewahr wird, aber nicht ein-
mal eine Ahndung davon hat, daß jener hieran Schuld sey, nach
einem kurzen Staunen voller Verwunderung ausrust: Wie in
aller Welt ist es zugegangen, daß ich den Stein hierher gezogen
habe? bey welcher Ausrufung denn jener zwar ein inniges Ver-
gnügen empfindet, jedoch, obgleich dieselbe auch als eine Frage
angesehen werden kann, ein geheimnißvolles Stillschweigen be-
obachtet: eben so besteht die bewundernswürdige Kunst, welche
die an Erfindungen unerschöpfliche Natur in der Struktur dieser
Blume bewiesen hat, vornehmlich darin, daß alles so veranstal-
tet und eingerichtet ist, daß das Insekt, bloß auf sein Vergnü-
gen bedacht, und nichts wissend von der Absicht, zu deren Be-
förderung es von seinem Schöpfer bestimmt ist, zuletzt immer
[Spaltenumbruch]

Ophrys.
mit dem Kopf entweder grade an die Staubkölbchen, wenn die
Blume dieselben noch hat, oder, wenn dieselben schon von einem
andern Insekt abgeholt worden sind, grade an das Stigma ge-
rathen muß. Wer mehrere dergleichen mit diesen Staubkölbchen
versehene Insekten auf den Blumen antrifft, der könnte wohl
glauben, daß die Insekten dieselben mit Fleiß aufsuchen und ab-
holen, so wie den Saft. Und doch thun sie nichts weniger, als
dieses, und sind höchst unzufrieden mit einer solchen Bürde. In
diesem Stück hat die Blume eine große Aehnlichkeit mit der
Asclepias fruticosa. Wenn man auf dieser mehrere Insekten
antrifft, welche Kölbchen an ihren Füßen sitzen haben, so sollte
man glauben, daß sie die Käppchen, an welchen dieselben han-
gen, geflissentlich aufgesucht und herausgezogen hätten. Denn
da die Käppchen so außerordentlich klein sind, so scheint es,
daß es sich nur höchst selten zutragen könne, daß eine Wespe
einen Fuß grade auf ein solches Käppchen setzt. Folglich müßte
die Erscheinung, daß ein solches Insekt Kölbchen an einem Fuß
sitzen hat, auch etwas höchst seltenes, keinesweges aber, welches
doch wirklich der Fall ist, etwas häufig vorkommendes seyn.
So wie ich nun oben gezeigt habe, daß bey der Asclepias alles
so eingerichtet ist und dahin abzielet, daß die Füße des Insekts
in den mehresten Fällen herabgleiten, und endlich an das Käpp-
chen gerathen müssen: eben so läßt sich auch zeigen, daß hier
alles so veranstaltet ist, daß der Kopf der Schlupfwespe zuletzt
nothwendig an die Staubkölbchen oder das Stigma gerathen
muß. Zu demjenigen, was ich schon oben gesagt habe, will ich
noch dieses hinzufügen. Man sieht in Fig. XXVIII., daß die
lange Unterlippe der Krone zur Hälfte in zwey Lappen getheilt
ist, welche ziemlich weit von einander abstehen, und daß sie
unterwärts breit ist, nach oben zu aber immer schmäler wird.
Dieser Umstand trägt nicht wenig zur Erreichung jenes End-
zwecks bey. Dieses wird man leicht einsehen, wenn man die
II. Figur aufmerksam betrachtet. Denn wenn die Unterlippe
nicht diesen tiefen und breiten Ausschnitt hätte, sondern ganz
wäre, und folglich der dreyeckichte Raum zwischen den beiden
Lappen mit zur Unterlippe gehörte: so würde das Insekt an-
fänglich, da es sich auf die Unterlippe setzte, sich leicht so ha-
ben setzen können, daß sein rechter Hinterfuß auf diesem drey-
eckichten Stück wäre zu stehen gekommen. Alsdenn aber hätte
es eine in Ansehung der Blume schiefe Richtung gehabt, und
wenn es im Hinaufkriechen diese Richtung behalten hätte, so
würde sein Kopf nicht grade vor dem klebrichten Ende der
Staubkölbchen, sondern etwas seitwärts von demselben rechter
Hand zu stehen gekommen seyn, und dieses würde noch leichter
geschehen seyn, wenn die Unterlippe oberwärts so breit wäre,

[Spaltenumbruch]

Ophrys.
und dieſe blieben an jenen hangen. Ueber dieſem Inſekt ſieht
man das kleinere, welches Ein Staubkoͤlbchenpaar auf ſeinem
Kopf hat, eben ſo ſtark vergroͤſſert.

Im Sommer des gegenwaͤrtigen Jahres habe ich nicht un-
terlaſſen, meine Pflanzen, ſo lange ſie bluͤheten, einigemal zu
beobachten. Ich traf wieder einige Schlupfwespen auf denſelben
an, welche an ihrem Kopf ein Staubkoͤlbchenpaar ſitzen hatten,
desgleichen einen kleinen Kaͤfer mit ſchwarzem Kopf und Bruſt-
ſchild und braunen Fluͤgeldecken, welcher ſich auch einen ſolchen
Kopfſchmuck aus einer Blume geholt hatte. Dieſe Inſekten habe
ich gefangen, und ſie befinden ſich in meiner Sammlung, und
ſind bis dieſe Stunde mit den Staubkoͤlbchen verſehen. Auch
fand ich die ſchwarzen Gartenameiſen in den Blumen. Dieſe
krochen zwar auf eben die Art, wie die uͤbrigen Inſekten, an der
Saftdruͤſe hinauf; wann ſie aber bis an an das Ende derſelben
gekommen waren, ſo beruͤhrten ſie die Staubkoͤlbchen nicht, weil
ſie zu klein waren, und ihr Kopf zu niedrig ſtand. Einſtmals
war ich ſo gluͤcklich, es mit anzuſehen, wie eine Blume von einem
Inſekt von der erſten Gattung befruchtet wurde. Daſſelbe war
mit Staubkoͤlbchen verſehen, und nachdem es auf der Unterlippe
der Blume ganz hinaufgekrochen war, ſo beruͤhrte es mit den
Staubkoͤlbchen das Stigma. Als es hierauf eine kleine Bewe-
gung machte, ſo blieb ein Theil der Staubkoͤlbchen am Stigma
kleben, den groͤſſern Theil aber behielt das Inſekt. Es iſt aber
nicht zu zweifeln, daß der zuruͤckgebliebene Theil ſchon im Stande
geweſen iſt, den Fruchtknoten zu befruchten.

Gleichwie ein geſchickter Brettſpieler es ſo zu veranſtalten
weiß, daß ſein minder geuͤbter Gegner irgend einen das Spiel
entſcheidenden Stein mit eigener Hand, jedoch ohne es zu wiſſen
und zu wollen, nach und nach grade dahin ziehen muß, wohin
er denſelben gezogen wiſſen will, und der Gegner, wann nun
ſein Stein richtig an dem Ort ſeiner Beſtimmung angekommen
iſt, weil er zwar die nahe Gefahr gewahr wird, aber nicht ein-
mal eine Ahndung davon hat, daß jener hieran Schuld ſey, nach
einem kurzen Staunen voller Verwunderung ausruſt: Wie in
aller Welt iſt es zugegangen, daß ich den Stein hierher gezogen
habe? bey welcher Ausrufung denn jener zwar ein inniges Ver-
gnuͤgen empfindet, jedoch, obgleich dieſelbe auch als eine Frage
angeſehen werden kann, ein geheimnißvolles Stillſchweigen be-
obachtet: eben ſo beſteht die bewundernswuͤrdige Kunſt, welche
die an Erfindungen unerſchoͤpfliche Natur in der Struktur dieſer
Blume bewieſen hat, vornehmlich darin, daß alles ſo veranſtal-
tet und eingerichtet iſt, daß das Inſekt, bloß auf ſein Vergnuͤ-
gen bedacht, und nichts wiſſend von der Abſicht, zu deren Be-
foͤrderung es von ſeinem Schoͤpfer beſtimmt iſt, zuletzt immer
[Spaltenumbruch]

Ophrys.
mit dem Kopf entweder grade an die Staubkoͤlbchen, wenn die
Blume dieſelben noch hat, oder, wenn dieſelben ſchon von einem
andern Inſekt abgeholt worden ſind, grade an das Stigma ge-
rathen muß. Wer mehrere dergleichen mit dieſen Staubkoͤlbchen
verſehene Inſekten auf den Blumen antrifft, der koͤnnte wohl
glauben, daß die Inſekten dieſelben mit Fleiß aufſuchen und ab-
holen, ſo wie den Saft. Und doch thun ſie nichts weniger, als
dieſes, und ſind hoͤchſt unzufrieden mit einer ſolchen Buͤrde. In
dieſem Stuͤck hat die Blume eine große Aehnlichkeit mit der
Aſclepias fruticoſa. Wenn man auf dieſer mehrere Inſekten
antrifft, welche Koͤlbchen an ihren Fuͤßen ſitzen haben, ſo ſollte
man glauben, daß ſie die Kaͤppchen, an welchen dieſelben han-
gen, gefliſſentlich aufgeſucht und herausgezogen haͤtten. Denn
da die Kaͤppchen ſo außerordentlich klein ſind, ſo ſcheint es,
daß es ſich nur hoͤchſt ſelten zutragen koͤnne, daß eine Wespe
einen Fuß grade auf ein ſolches Kaͤppchen ſetzt. Folglich muͤßte
die Erſcheinung, daß ein ſolches Inſekt Koͤlbchen an einem Fuß
ſitzen hat, auch etwas hoͤchſt ſeltenes, keinesweges aber, welches
doch wirklich der Fall iſt, etwas haͤufig vorkommendes ſeyn.
So wie ich nun oben gezeigt habe, daß bey der Aſclepias alles
ſo eingerichtet iſt und dahin abzielet, daß die Fuͤße des Inſekts
in den mehreſten Faͤllen herabgleiten, und endlich an das Kaͤpp-
chen gerathen muͤſſen: eben ſo laͤßt ſich auch zeigen, daß hier
alles ſo veranſtaltet iſt, daß der Kopf der Schlupfwespe zuletzt
nothwendig an die Staubkoͤlbchen oder das Stigma gerathen
muß. Zu demjenigen, was ich ſchon oben geſagt habe, will ich
noch dieſes hinzufuͤgen. Man ſieht in Fig. XXVIII., daß die
lange Unterlippe der Krone zur Haͤlfte in zwey Lappen getheilt
iſt, welche ziemlich weit von einander abſtehen, und daß ſie
unterwaͤrts breit iſt, nach oben zu aber immer ſchmaͤler wird.
Dieſer Umſtand traͤgt nicht wenig zur Erreichung jenes End-
zwecks bey. Dieſes wird man leicht einſehen, wenn man die
II. Figur aufmerkſam betrachtet. Denn wenn die Unterlippe
nicht dieſen tiefen und breiten Ausſchnitt haͤtte, ſondern ganz
waͤre, und folglich der dreyeckichte Raum zwiſchen den beiden
Lappen mit zur Unterlippe gehoͤrte: ſo wuͤrde das Inſekt an-
faͤnglich, da es ſich auf die Unterlippe ſetzte, ſich leicht ſo ha-
ben ſetzen koͤnnen, daß ſein rechter Hinterfuß auf dieſem drey-
eckichten Stuͤck waͤre zu ſtehen gekommen. Alsdenn aber haͤtte
es eine in Anſehung der Blume ſchiefe Richtung gehabt, und
wenn es im Hinaufkriechen dieſe Richtung behalten haͤtte, ſo
wuͤrde ſein Kopf nicht grade vor dem klebrichten Ende der
Staubkoͤlbchen, ſondern etwas ſeitwaͤrts von demſelben rechter
Hand zu ſtehen gekommen ſeyn, und dieſes wuͤrde noch leichter
geſchehen ſeyn, wenn die Unterlippe oberwaͤrts ſo breit waͤre,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0217" n="[217]"/><cb n="409"/><lb/>
<fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">Ophrys.</hi></fw><lb/>
und die&#x017F;e blieben an jenen hangen. Ueber die&#x017F;em In&#x017F;ekt &#x017F;ieht<lb/>
man das kleinere, welches Ein Staubko&#x0364;lbchenpaar auf &#x017F;einem<lb/>
Kopf hat, eben &#x017F;o &#x017F;tark vergro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ert.</p><lb/>
          <p>Im Sommer des gegenwa&#x0364;rtigen Jahres habe ich nicht un-<lb/>
terla&#x017F;&#x017F;en, meine Pflanzen, &#x017F;o lange &#x017F;ie blu&#x0364;heten, einigemal zu<lb/>
beobachten. Ich traf wieder einige Schlupfwespen auf den&#x017F;elben<lb/>
an, welche an ihrem Kopf ein Staubko&#x0364;lbchenpaar &#x017F;itzen hatten,<lb/>
desgleichen einen kleinen Ka&#x0364;fer mit &#x017F;chwarzem Kopf und Bru&#x017F;t-<lb/>
&#x017F;child und braunen Flu&#x0364;geldecken, welcher &#x017F;ich auch einen &#x017F;olchen<lb/>
Kopf&#x017F;chmuck aus einer Blume geholt hatte. Die&#x017F;e In&#x017F;ekten habe<lb/>
ich gefangen, und &#x017F;ie befinden &#x017F;ich in meiner Sammlung, und<lb/>
&#x017F;ind bis die&#x017F;e Stunde mit den Staubko&#x0364;lbchen ver&#x017F;ehen. Auch<lb/>
fand ich die &#x017F;chwarzen Gartenamei&#x017F;en in den Blumen. Die&#x017F;e<lb/>
krochen zwar auf eben die Art, wie die u&#x0364;brigen In&#x017F;ekten, an der<lb/>
Saftdru&#x0364;&#x017F;e hinauf; wann &#x017F;ie aber bis an an das Ende der&#x017F;elben<lb/>
gekommen waren, &#x017F;o beru&#x0364;hrten &#x017F;ie die Staubko&#x0364;lbchen nicht, weil<lb/>
&#x017F;ie zu klein waren, und ihr Kopf zu niedrig &#x017F;tand. Ein&#x017F;tmals<lb/>
war ich &#x017F;o glu&#x0364;cklich, es mit anzu&#x017F;ehen, wie eine Blume von einem<lb/>
In&#x017F;ekt von der er&#x017F;ten Gattung befruchtet wurde. Da&#x017F;&#x017F;elbe war<lb/>
mit Staubko&#x0364;lbchen ver&#x017F;ehen, und nachdem es auf der Unterlippe<lb/>
der Blume ganz hinaufgekrochen war, &#x017F;o beru&#x0364;hrte es mit den<lb/>
Staubko&#x0364;lbchen das Stigma. Als es hierauf eine kleine Bewe-<lb/>
gung machte, &#x017F;o blieb ein Theil der Staubko&#x0364;lbchen am Stigma<lb/>
kleben, den gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ern Theil aber behielt das In&#x017F;ekt. Es i&#x017F;t aber<lb/>
nicht zu zweifeln, daß der zuru&#x0364;ckgebliebene Theil &#x017F;chon im Stande<lb/>
gewe&#x017F;en i&#x017F;t, den Fruchtknoten zu befruchten.</p><lb/>
          <p>Gleichwie ein ge&#x017F;chickter Brett&#x017F;pieler es &#x017F;o zu veran&#x017F;talten<lb/>
weiß, daß &#x017F;ein minder geu&#x0364;bter Gegner irgend einen das Spiel<lb/>
ent&#x017F;cheidenden Stein mit eigener Hand, jedoch ohne es zu wi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
und zu wollen, nach und nach grade dahin ziehen muß, wohin<lb/>
er den&#x017F;elben gezogen wi&#x017F;&#x017F;en will, und der Gegner, wann nun<lb/>
&#x017F;ein Stein richtig an dem Ort &#x017F;einer Be&#x017F;timmung angekommen<lb/>
i&#x017F;t, weil er zwar die nahe Gefahr gewahr wird, aber nicht ein-<lb/>
mal eine Ahndung davon hat, daß jener hieran Schuld &#x017F;ey, nach<lb/>
einem kurzen Staunen voller Verwunderung ausru&#x017F;t: Wie in<lb/>
aller Welt i&#x017F;t es zugegangen, daß ich den Stein hierher gezogen<lb/>
habe? bey welcher Ausrufung denn jener zwar ein inniges Ver-<lb/>
gnu&#x0364;gen empfindet, jedoch, obgleich die&#x017F;elbe auch als eine Frage<lb/>
ange&#x017F;ehen werden kann, ein geheimnißvolles Still&#x017F;chweigen be-<lb/>
obachtet: eben &#x017F;o be&#x017F;teht die bewundernswu&#x0364;rdige Kun&#x017F;t, welche<lb/>
die an Erfindungen uner&#x017F;cho&#x0364;pfliche Natur in der Struktur die&#x017F;er<lb/>
Blume bewie&#x017F;en hat, vornehmlich darin, daß alles &#x017F;o veran&#x017F;tal-<lb/>
tet und eingerichtet i&#x017F;t, daß das In&#x017F;ekt, bloß auf &#x017F;ein Vergnu&#x0364;-<lb/>
gen bedacht, und nichts wi&#x017F;&#x017F;end von der Ab&#x017F;icht, zu deren Be-<lb/>
fo&#x0364;rderung es von &#x017F;einem Scho&#x0364;pfer be&#x017F;timmt i&#x017F;t, zuletzt immer<lb/><cb n="410"/><lb/>
<fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">Ophrys.</hi></fw><lb/>
mit dem Kopf entweder grade an die Staubko&#x0364;lbchen, wenn die<lb/>
Blume die&#x017F;elben noch hat, oder, wenn die&#x017F;elben &#x017F;chon von einem<lb/>
andern In&#x017F;ekt abgeholt worden &#x017F;ind, grade an das Stigma ge-<lb/>
rathen muß. Wer mehrere dergleichen mit die&#x017F;en Staubko&#x0364;lbchen<lb/>
ver&#x017F;ehene In&#x017F;ekten auf den Blumen antrifft, der ko&#x0364;nnte wohl<lb/>
glauben, daß die In&#x017F;ekten die&#x017F;elben mit Fleiß auf&#x017F;uchen und ab-<lb/>
holen, &#x017F;o wie den Saft. Und doch thun &#x017F;ie nichts weniger, als<lb/>
die&#x017F;es, und &#x017F;ind ho&#x0364;ch&#x017F;t unzufrieden mit einer &#x017F;olchen Bu&#x0364;rde. In<lb/>
die&#x017F;em Stu&#x0364;ck hat die Blume eine große Aehnlichkeit mit der<lb/><hi rendition="#aq">A&#x017F;clepias frutico&#x017F;a.</hi> Wenn man auf die&#x017F;er mehrere In&#x017F;ekten<lb/>
antrifft, welche Ko&#x0364;lbchen an ihren Fu&#x0364;ßen &#x017F;itzen haben, &#x017F;o &#x017F;ollte<lb/>
man glauben, daß &#x017F;ie die Ka&#x0364;ppchen, an welchen die&#x017F;elben han-<lb/>
gen, gefli&#x017F;&#x017F;entlich aufge&#x017F;ucht und herausgezogen ha&#x0364;tten. Denn<lb/>
da die Ka&#x0364;ppchen &#x017F;o außerordentlich klein &#x017F;ind, &#x017F;o &#x017F;cheint es,<lb/>
daß es &#x017F;ich nur ho&#x0364;ch&#x017F;t &#x017F;elten zutragen ko&#x0364;nne, daß eine Wespe<lb/>
einen Fuß grade auf ein &#x017F;olches Ka&#x0364;ppchen &#x017F;etzt. Folglich mu&#x0364;ßte<lb/>
die Er&#x017F;cheinung, daß ein &#x017F;olches In&#x017F;ekt Ko&#x0364;lbchen an einem Fuß<lb/>
&#x017F;itzen hat, auch etwas ho&#x0364;ch&#x017F;t &#x017F;eltenes, keinesweges aber, welches<lb/>
doch wirklich der Fall i&#x017F;t, etwas ha&#x0364;ufig vorkommendes &#x017F;eyn.<lb/>
So wie ich nun oben gezeigt habe, daß bey der <hi rendition="#aq">A&#x017F;clepias</hi> alles<lb/>
&#x017F;o eingerichtet i&#x017F;t und dahin abzielet, daß die Fu&#x0364;ße des In&#x017F;ekts<lb/>
in den mehre&#x017F;ten Fa&#x0364;llen herabgleiten, und endlich an das Ka&#x0364;pp-<lb/>
chen gerathen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en: eben &#x017F;o la&#x0364;ßt &#x017F;ich auch zeigen, daß hier<lb/>
alles &#x017F;o veran&#x017F;taltet i&#x017F;t, daß der Kopf der Schlupfwespe zuletzt<lb/>
nothwendig an die Staubko&#x0364;lbchen oder das Stigma gerathen<lb/>
muß. Zu demjenigen, was ich &#x017F;chon oben ge&#x017F;agt habe, will ich<lb/>
noch die&#x017F;es hinzufu&#x0364;gen. Man &#x017F;ieht in Fig. <hi rendition="#aq">XXVIII.</hi>, daß die<lb/>
lange Unterlippe der Krone zur Ha&#x0364;lfte in zwey Lappen getheilt<lb/>
i&#x017F;t, welche ziemlich weit von einander ab&#x017F;tehen, und daß &#x017F;ie<lb/>
unterwa&#x0364;rts breit i&#x017F;t, nach oben zu aber immer &#x017F;chma&#x0364;ler wird.<lb/>
Die&#x017F;er Um&#x017F;tand tra&#x0364;gt nicht wenig zur Erreichung jenes End-<lb/>
zwecks bey. Die&#x017F;es wird man leicht ein&#x017F;ehen, wenn man die<lb/><hi rendition="#aq">II.</hi> Figur aufmerk&#x017F;am betrachtet. Denn wenn die Unterlippe<lb/>
nicht die&#x017F;en tiefen und breiten Aus&#x017F;chnitt ha&#x0364;tte, &#x017F;ondern ganz<lb/>
wa&#x0364;re, und folglich der dreyeckichte Raum zwi&#x017F;chen den beiden<lb/>
Lappen mit zur Unterlippe geho&#x0364;rte: &#x017F;o wu&#x0364;rde das In&#x017F;ekt an-<lb/>
fa&#x0364;nglich, da es &#x017F;ich auf die Unterlippe &#x017F;etzte, &#x017F;ich leicht &#x017F;o ha-<lb/>
ben &#x017F;etzen ko&#x0364;nnen, daß &#x017F;ein rechter Hinterfuß auf die&#x017F;em drey-<lb/>
eckichten Stu&#x0364;ck wa&#x0364;re zu &#x017F;tehen gekommen. Alsdenn aber ha&#x0364;tte<lb/>
es eine in An&#x017F;ehung der Blume &#x017F;chiefe Richtung gehabt, und<lb/>
wenn es im Hinaufkriechen die&#x017F;e Richtung behalten ha&#x0364;tte, &#x017F;o<lb/>
wu&#x0364;rde &#x017F;ein Kopf nicht grade vor dem klebrichten Ende der<lb/>
Staubko&#x0364;lbchen, &#x017F;ondern etwas &#x017F;eitwa&#x0364;rts von dem&#x017F;elben rechter<lb/>
Hand zu &#x017F;tehen gekommen &#x017F;eyn, und die&#x017F;es wu&#x0364;rde noch leichter<lb/>
ge&#x017F;chehen &#x017F;eyn, wenn die Unterlippe oberwa&#x0364;rts &#x017F;o breit wa&#x0364;re,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[217]/0217] Ophrys. Ophrys. und dieſe blieben an jenen hangen. Ueber dieſem Inſekt ſieht man das kleinere, welches Ein Staubkoͤlbchenpaar auf ſeinem Kopf hat, eben ſo ſtark vergroͤſſert. Im Sommer des gegenwaͤrtigen Jahres habe ich nicht un- terlaſſen, meine Pflanzen, ſo lange ſie bluͤheten, einigemal zu beobachten. Ich traf wieder einige Schlupfwespen auf denſelben an, welche an ihrem Kopf ein Staubkoͤlbchenpaar ſitzen hatten, desgleichen einen kleinen Kaͤfer mit ſchwarzem Kopf und Bruſt- ſchild und braunen Fluͤgeldecken, welcher ſich auch einen ſolchen Kopfſchmuck aus einer Blume geholt hatte. Dieſe Inſekten habe ich gefangen, und ſie befinden ſich in meiner Sammlung, und ſind bis dieſe Stunde mit den Staubkoͤlbchen verſehen. Auch fand ich die ſchwarzen Gartenameiſen in den Blumen. Dieſe krochen zwar auf eben die Art, wie die uͤbrigen Inſekten, an der Saftdruͤſe hinauf; wann ſie aber bis an an das Ende derſelben gekommen waren, ſo beruͤhrten ſie die Staubkoͤlbchen nicht, weil ſie zu klein waren, und ihr Kopf zu niedrig ſtand. Einſtmals war ich ſo gluͤcklich, es mit anzuſehen, wie eine Blume von einem Inſekt von der erſten Gattung befruchtet wurde. Daſſelbe war mit Staubkoͤlbchen verſehen, und nachdem es auf der Unterlippe der Blume ganz hinaufgekrochen war, ſo beruͤhrte es mit den Staubkoͤlbchen das Stigma. Als es hierauf eine kleine Bewe- gung machte, ſo blieb ein Theil der Staubkoͤlbchen am Stigma kleben, den groͤſſern Theil aber behielt das Inſekt. Es iſt aber nicht zu zweifeln, daß der zuruͤckgebliebene Theil ſchon im Stande geweſen iſt, den Fruchtknoten zu befruchten. Gleichwie ein geſchickter Brettſpieler es ſo zu veranſtalten weiß, daß ſein minder geuͤbter Gegner irgend einen das Spiel entſcheidenden Stein mit eigener Hand, jedoch ohne es zu wiſſen und zu wollen, nach und nach grade dahin ziehen muß, wohin er denſelben gezogen wiſſen will, und der Gegner, wann nun ſein Stein richtig an dem Ort ſeiner Beſtimmung angekommen iſt, weil er zwar die nahe Gefahr gewahr wird, aber nicht ein- mal eine Ahndung davon hat, daß jener hieran Schuld ſey, nach einem kurzen Staunen voller Verwunderung ausruſt: Wie in aller Welt iſt es zugegangen, daß ich den Stein hierher gezogen habe? bey welcher Ausrufung denn jener zwar ein inniges Ver- gnuͤgen empfindet, jedoch, obgleich dieſelbe auch als eine Frage angeſehen werden kann, ein geheimnißvolles Stillſchweigen be- obachtet: eben ſo beſteht die bewundernswuͤrdige Kunſt, welche die an Erfindungen unerſchoͤpfliche Natur in der Struktur dieſer Blume bewieſen hat, vornehmlich darin, daß alles ſo veranſtal- tet und eingerichtet iſt, daß das Inſekt, bloß auf ſein Vergnuͤ- gen bedacht, und nichts wiſſend von der Abſicht, zu deren Be- foͤrderung es von ſeinem Schoͤpfer beſtimmt iſt, zuletzt immer mit dem Kopf entweder grade an die Staubkoͤlbchen, wenn die Blume dieſelben noch hat, oder, wenn dieſelben ſchon von einem andern Inſekt abgeholt worden ſind, grade an das Stigma ge- rathen muß. Wer mehrere dergleichen mit dieſen Staubkoͤlbchen verſehene Inſekten auf den Blumen antrifft, der koͤnnte wohl glauben, daß die Inſekten dieſelben mit Fleiß aufſuchen und ab- holen, ſo wie den Saft. Und doch thun ſie nichts weniger, als dieſes, und ſind hoͤchſt unzufrieden mit einer ſolchen Buͤrde. In dieſem Stuͤck hat die Blume eine große Aehnlichkeit mit der Aſclepias fruticoſa. Wenn man auf dieſer mehrere Inſekten antrifft, welche Koͤlbchen an ihren Fuͤßen ſitzen haben, ſo ſollte man glauben, daß ſie die Kaͤppchen, an welchen dieſelben han- gen, gefliſſentlich aufgeſucht und herausgezogen haͤtten. Denn da die Kaͤppchen ſo außerordentlich klein ſind, ſo ſcheint es, daß es ſich nur hoͤchſt ſelten zutragen koͤnne, daß eine Wespe einen Fuß grade auf ein ſolches Kaͤppchen ſetzt. Folglich muͤßte die Erſcheinung, daß ein ſolches Inſekt Koͤlbchen an einem Fuß ſitzen hat, auch etwas hoͤchſt ſeltenes, keinesweges aber, welches doch wirklich der Fall iſt, etwas haͤufig vorkommendes ſeyn. So wie ich nun oben gezeigt habe, daß bey der Aſclepias alles ſo eingerichtet iſt und dahin abzielet, daß die Fuͤße des Inſekts in den mehreſten Faͤllen herabgleiten, und endlich an das Kaͤpp- chen gerathen muͤſſen: eben ſo laͤßt ſich auch zeigen, daß hier alles ſo veranſtaltet iſt, daß der Kopf der Schlupfwespe zuletzt nothwendig an die Staubkoͤlbchen oder das Stigma gerathen muß. Zu demjenigen, was ich ſchon oben geſagt habe, will ich noch dieſes hinzufuͤgen. Man ſieht in Fig. XXVIII., daß die lange Unterlippe der Krone zur Haͤlfte in zwey Lappen getheilt iſt, welche ziemlich weit von einander abſtehen, und daß ſie unterwaͤrts breit iſt, nach oben zu aber immer ſchmaͤler wird. Dieſer Umſtand traͤgt nicht wenig zur Erreichung jenes End- zwecks bey. Dieſes wird man leicht einſehen, wenn man die II. Figur aufmerkſam betrachtet. Denn wenn die Unterlippe nicht dieſen tiefen und breiten Ausſchnitt haͤtte, ſondern ganz waͤre, und folglich der dreyeckichte Raum zwiſchen den beiden Lappen mit zur Unterlippe gehoͤrte: ſo wuͤrde das Inſekt an- faͤnglich, da es ſich auf die Unterlippe ſetzte, ſich leicht ſo ha- ben ſetzen koͤnnen, daß ſein rechter Hinterfuß auf dieſem drey- eckichten Stuͤck waͤre zu ſtehen gekommen. Alsdenn aber haͤtte es eine in Anſehung der Blume ſchiefe Richtung gehabt, und wenn es im Hinaufkriechen dieſe Richtung behalten haͤtte, ſo wuͤrde ſein Kopf nicht grade vor dem klebrichten Ende der Staubkoͤlbchen, ſondern etwas ſeitwaͤrts von demſelben rechter Hand zu ſtehen gekommen ſeyn, und dieſes wuͤrde noch leichter geſchehen ſeyn, wenn die Unterlippe oberwaͤrts ſo breit waͤre,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sprengel_blumen_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sprengel_blumen_1793/217
Zitationshilfe: Sprengel, Christian Konrad: Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin, 1793, S. [217]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sprengel_blumen_1793/217>, abgerufen am 20.05.2024.