Spitzer, Daniel: Das Herrenrecht. Eine Novelle in Briefen. Wien, 1877.hatte, und sie erzählte mir, noch erfreut über den frommen Sinn der Braut Severins, dass diese das Bild sofort geküsst habe. Der Oheim dagegen war im hohen Grade aufgebracht, er machte seinem Grimm gegen die moderne Schule Luft, deren einziger Zweck nur mehr sei, die Jugend zum Unglauben zu erziehen, gegen die Naturwissenschaften und insbesondere gegen die medicinische Wissenschaft, die die Grundsätze des politischen Liberalismus angenommen habe, nur niederzureissen, ohne aufzubauen, nur zu leugnen, ohne eine Wahrheit dafür zu geben, nur zu experimentiren, ohne Resultate zu erreichen. Der Arzt nämlich, den man an das Krankenbett Severins aus dem nächsten Städtchen berufen hatte, entpuppte sich, nachdem er die Zunge des Patienten besehen und ihn einige Male prüfend in den Leib gekniffen hatte, als Erzliberaler. Er war erst vor einigen Tagen aus Wien nach dem Städtchen gezogen, war noch nicht vertraut mit den Verhältnissen des Landes und kannte daher auch noch nicht die Gesinnungen des Oheims. Er liess unvorsichtig seiner Zunge freien Lauf, zog fürchterlich hatte, und sie erzählte mir, noch erfreut über den frommen Sinn der Braut Severins, dass diese das Bild sofort geküsst habe. Der Oheim dagegen war im hohen Grade aufgebracht, er machte seinem Grimm gegen die moderne Schule Luft, deren einziger Zweck nur mehr sei, die Jugend zum Unglauben zu erziehen, gegen die Naturwissenschaften und insbesondere gegen die medicinische Wissenschaft, die die Grundsätze des politischen Liberalismus angenommen habe, nur niederzureissen, ohne aufzubauen, nur zu leugnen, ohne eine Wahrheit dafür zu geben, nur zu experimentiren, ohne Resultate zu erreichen. Der Arzt nämlich, den man an das Krankenbett Severins aus dem nächsten Städtchen berufen hatte, entpuppte sich, nachdem er die Zunge des Patienten besehen und ihn einige Male prüfend in den Leib gekniffen hatte, als Erzliberaler. Er war erst vor einigen Tagen aus Wien nach dem Städtchen gezogen, war noch nicht vertraut mit den Verhältnissen des Landes und kannte daher auch noch nicht die Gesinnungen des Oheims. Er liess unvorsichtig seiner Zunge freien Lauf, zog fürchterlich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0048" n="46"/> hatte, und sie erzählte mir, noch erfreut über den frommen Sinn der Braut Severins, dass diese das Bild sofort geküsst habe. Der Oheim dagegen war im hohen Grade aufgebracht, er machte seinem Grimm gegen die moderne Schule Luft, deren einziger Zweck nur mehr sei, die Jugend zum Unglauben zu erziehen, gegen die Naturwissenschaften und insbesondere gegen die medicinische Wissenschaft, die die Grundsätze des politischen Liberalismus angenommen habe, nur niederzureissen, ohne aufzubauen, nur zu leugnen, ohne eine Wahrheit dafür zu geben, nur zu experimentiren, ohne Resultate zu erreichen. Der Arzt nämlich, den man an das Krankenbett Severins aus dem nächsten Städtchen berufen hatte, entpuppte sich, nachdem er die Zunge des Patienten besehen und ihn einige Male prüfend in den Leib gekniffen hatte, als Erzliberaler. Er war erst vor einigen Tagen aus Wien nach dem Städtchen gezogen, war noch nicht vertraut mit den Verhältnissen des Landes und kannte daher auch noch nicht die Gesinnungen des Oheims. Er liess unvorsichtig seiner Zunge freien Lauf, zog fürchterlich </p> </div> </body> </text> </TEI> [46/0048]
hatte, und sie erzählte mir, noch erfreut über den frommen Sinn der Braut Severins, dass diese das Bild sofort geküsst habe. Der Oheim dagegen war im hohen Grade aufgebracht, er machte seinem Grimm gegen die moderne Schule Luft, deren einziger Zweck nur mehr sei, die Jugend zum Unglauben zu erziehen, gegen die Naturwissenschaften und insbesondere gegen die medicinische Wissenschaft, die die Grundsätze des politischen Liberalismus angenommen habe, nur niederzureissen, ohne aufzubauen, nur zu leugnen, ohne eine Wahrheit dafür zu geben, nur zu experimentiren, ohne Resultate zu erreichen. Der Arzt nämlich, den man an das Krankenbett Severins aus dem nächsten Städtchen berufen hatte, entpuppte sich, nachdem er die Zunge des Patienten besehen und ihn einige Male prüfend in den Leib gekniffen hatte, als Erzliberaler. Er war erst vor einigen Tagen aus Wien nach dem Städtchen gezogen, war noch nicht vertraut mit den Verhältnissen des Landes und kannte daher auch noch nicht die Gesinnungen des Oheims. Er liess unvorsichtig seiner Zunge freien Lauf, zog fürchterlich
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Zitationshilfe: | Spitzer, Daniel: Das Herrenrecht. Eine Novelle in Briefen. Wien, 1877, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spitzer_herrenrecht_1877/48>, abgerufen am 16.07.2024. |