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Spindler, Christian Gotthold: Unschuldige Jugend-Früchte. Leipzig, 1745.

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Trauer-Briefe.
Blasser Freund, was vor ein Schrecken jagt
uns dein Erbleichen ein!
Jeder kan ein wahres Bildniß deiner blassen Leiche
seyn.
Ach! ist diß der Weißheit Lohn, den sie ihren Kin-
dern zollet,
Daß die bängste Zähren-Fluth über ihre Wan-
gen rollet?
Heist diß den Altar betreten? wird die Cantzel dir
zum Sarg?
Wem wirst du erstorben nützen? dein Fall kränckt
uns gar zu arg.
Kan denn Weißheit und Verdienst keinen bessern
Lohn erwerben?
Hilfft gelehrt seyn weiter nichts, als nur zeitiger zu
sterben?
Hier, erblaßter Freund und Bruder! haben
stumme Seuffzer Platz,
Freund! bey deiner Todten-Baare hemmet Weh-
muth Kiel und Satz.
Ob gleich Zung und Ader starrt, soll mein Geist
doch seine Pflichten,
Soll doch mein bethräntes Blatt dir den letzten
Dienst entrichten.
Du hast Jacob gleich gekämpffet, o! mehr als
geprüfter Geist!
Der nun in dem stillen Zion seinen Heiland sieht
und preißt.
Kan ich dich zu guter letzt gleich nicht auf der Baare
schauen,
So will ich doch deine Grufft dir in meinem Her-
tzen bauen.
Freund!
Trauer-Briefe.
Blaſſer Freund, was vor ein Schrecken jagt
uns dein Erbleichen ein!
Jeder kan ein wahres Bildniß deiner blaſſen Leiche
ſeyn.
Ach! iſt diß der Weißheit Lohn, den ſie ihren Kin-
dern zollet,
Daß die baͤngſte Zaͤhren-Fluth uͤber ihre Wan-
gen rollet?
Heiſt diß den Altar betreten? wird die Cantzel dir
zum Sarg?
Wem wirſt du erſtorben nuͤtzen? dein Fall kraͤnckt
uns gar zu arg.
Kan denn Weißheit und Verdienſt keinen beſſern
Lohn erwerben?
Hilfft gelehrt ſeyn weiter nichts, als nur zeitiger zu
ſterben?
Hier, erblaßter Freund und Bruder! haben
ſtumme Seuffzer Platz,
Freund! bey deiner Todten-Baare hemmet Weh-
muth Kiel und Satz.
Ob gleich Zung und Ader ſtarrt, ſoll mein Geiſt
doch ſeine Pflichten,
Soll doch mein bethraͤntes Blatt dir den letzten
Dienſt entrichten.
Du haſt Jacob gleich gekaͤmpffet, o! mehr als
gepruͤfter Geiſt!
Der nun in dem ſtillen Zion ſeinen Heiland ſieht
und preißt.
Kan ich dich zu guter letzt gleich nicht auf der Baare
ſchauen,
So will ich doch deine Grufft dir in meinem Her-
tzen bauen.
Freund!
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[72/0092] Trauer-Briefe. Blaſſer Freund, was vor ein Schrecken jagt uns dein Erbleichen ein! Jeder kan ein wahres Bildniß deiner blaſſen Leiche ſeyn. Ach! iſt diß der Weißheit Lohn, den ſie ihren Kin- dern zollet, Daß die baͤngſte Zaͤhren-Fluth uͤber ihre Wan- gen rollet? Heiſt diß den Altar betreten? wird die Cantzel dir zum Sarg? Wem wirſt du erſtorben nuͤtzen? dein Fall kraͤnckt uns gar zu arg. Kan denn Weißheit und Verdienſt keinen beſſern Lohn erwerben? Hilfft gelehrt ſeyn weiter nichts, als nur zeitiger zu ſterben? Hier, erblaßter Freund und Bruder! haben ſtumme Seuffzer Platz, Freund! bey deiner Todten-Baare hemmet Weh- muth Kiel und Satz. Ob gleich Zung und Ader ſtarrt, ſoll mein Geiſt doch ſeine Pflichten, Soll doch mein bethraͤntes Blatt dir den letzten Dienſt entrichten. Du haſt Jacob gleich gekaͤmpffet, o! mehr als gepruͤfter Geiſt! Der nun in dem ſtillen Zion ſeinen Heiland ſieht und preißt. Kan ich dich zu guter letzt gleich nicht auf der Baare ſchauen, So will ich doch deine Grufft dir in meinem Her- tzen bauen. Freund!

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Zitationshilfe: Spindler, Christian Gotthold: Unschuldige Jugend-Früchte. Leipzig, 1745, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spindler_jugendfruechte_1745/92>, abgerufen am 27.04.2024.