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Spindler, Christian Gotthold: Unschuldige Jugend-Früchte. Leipzig, 1745.

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Vermischte Send-Schreiben.
30) Schreiben an eine Freundin,
die sich den Tod ohne Ursache wünschte.
So wilt du von der Welt, und gantz von hinnen
scheiden?
Dich quält ja keine Noth, dich quält kein banges
Leiden!
Ach, Phyllis! was ist dir? was seuffzst und ächzest du?
Du suchest allzufrüh des Grabes düstre Ruh,
Du wilt von hier, warum? wohin aus dieser Hütten?
Das heisset allzufrüh die Todes-Grufft beschritten;
Nein, lebe ferner noch! sag, was gebricht denn dir?
Nein, Freundin! bleibe doch, o! bleibe lieber hier!
Du warst ja sonsten nur zur Fröhlichkeit gebohren,
Hast du denn allen Muth nun auf einmahl verlohren?
Gewiß, es wäre Schad um deine frühe Leiche,
Was machst du in dem Sarg, und in der Todten
Reiche?
Jch glaub es kaum von dir, die Reden sind nur
Schertz,
Ein anders redt dein Mund, ein anders denckt dein
Hertz.
Du wünschest nicht den Tod, vielmehr ein länger
Leben,
Jch wünsche dir es auch, der Himmel wird es geben.
Gesetzt, du stürbest denn, so hieß dein Leichen-Stein:
Die Phyllis liegt erblaßt, warum? sie wolt es seyn.


Thea-
Vermiſchte Send-Schreiben.
30) Schreiben an eine Freundin,
die ſich den Tod ohne Urſache wuͤnſchte.
So wilt du von der Welt, und gantz von hinnen
ſcheiden?
Dich quaͤlt ja keine Noth, dich quaͤlt kein banges
Leiden!
Ach, Phyllis! was iſt dir? was ſeuffzſt und aͤchzeſt du?
Du ſucheſt allzufruͤh des Grabes duͤſtre Ruh,
Du wilt von hier, warum? wohin aus dieſer Huͤtten?
Das heiſſet allzufruͤh die Todes-Grufft beſchritten;
Nein, lebe ferner noch! ſag, was gebricht denn dir?
Nein, Freundin! bleibe doch, o! bleibe lieber hier!
Du warſt ja ſonſten nur zur Froͤhlichkeit gebohren,
Haſt du deñ allen Muth nun auf einmahl verlohren?
Gewiß, es waͤre Schad um deine fruͤhe Leiche,
Was machſt du in dem Sarg, und in der Todten
Reiche?
Jch glaub es kaum von dir, die Reden ſind nur
Schertz,
Ein anders redt dein Mund, ein anders denckt dein
Hertz.
Du wuͤnſcheſt nicht den Tod, vielmehr ein laͤnger
Leben,
Jch wuͤnſche dir es auch, der Himmel wird es geben.
Geſetzt, du ſtuͤrbeſt denn, ſo hieß dein Leichen-Stein:
Die Phyllis liegt erblaßt, warum? ſie wolt es ſeyn.


Thea-
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[162/0186] Vermiſchte Send-Schreiben. 30) Schreiben an eine Freundin, die ſich den Tod ohne Urſache wuͤnſchte. So wilt du von der Welt, und gantz von hinnen ſcheiden? Dich quaͤlt ja keine Noth, dich quaͤlt kein banges Leiden! Ach, Phyllis! was iſt dir? was ſeuffzſt und aͤchzeſt du? Du ſucheſt allzufruͤh des Grabes duͤſtre Ruh, Du wilt von hier, warum? wohin aus dieſer Huͤtten? Das heiſſet allzufruͤh die Todes-Grufft beſchritten; Nein, lebe ferner noch! ſag, was gebricht denn dir? Nein, Freundin! bleibe doch, o! bleibe lieber hier! Du warſt ja ſonſten nur zur Froͤhlichkeit gebohren, Haſt du deñ allen Muth nun auf einmahl verlohren? Gewiß, es waͤre Schad um deine fruͤhe Leiche, Was machſt du in dem Sarg, und in der Todten Reiche? Jch glaub es kaum von dir, die Reden ſind nur Schertz, Ein anders redt dein Mund, ein anders denckt dein Hertz. Du wuͤnſcheſt nicht den Tod, vielmehr ein laͤnger Leben, Jch wuͤnſche dir es auch, der Himmel wird es geben. Geſetzt, du ſtuͤrbeſt denn, ſo hieß dein Leichen-Stein: Die Phyllis liegt erblaßt, warum? ſie wolt es ſeyn. Thea-

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Zitationshilfe: Spindler, Christian Gotthold: Unschuldige Jugend-Früchte. Leipzig, 1745, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spindler_jugendfruechte_1745/186>, abgerufen am 23.11.2024.