Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Meinung, die Sache beim rechten Ende an und lief zum Pfarrer und erzählte ihm Alles, was sie erhorcht und erlauscht, und beschwor bei ihrer Seligkeit, Landenberger's Kind sei nicht Verena's, und die Kirche wie die Obrigkeit müsse das Aergerniß bestrafen. -- Der Pfarrer, wenn gleich zweifelnd, stutzend und zögernd, wenn gleich die verächtliche Horcherin derb abkanzelnd, hielt es für seine Pflicht, der argwöhnischen Gemeinde gegenüber, einen dreisten Blick in Landenberger's Familie zu thun; und darum begab er sich am selben Abend in das ihm als verdächtig bezeichnete Haus. Sein ungewohnter Besuch befremdete natürlich. -- Landenberger empfing ihn jedoch mit Zuvorkommenheit; Verena bewillkommte ihn herzlich. Längere Zeit drehte sich das Gespräch um gleichgültige Gegenstände. Der Pfarrer glaubte zu bemerken, daß die Eheleute sich gegenseitig mit Blicken der Erwartung ansahen. -- Aber weder auf der Stirn des Mannes, noch auf dem Antlitz der Frau war eine Spur von bösem Gewissen zu erforschen. Der Pfarrer wußte daher nicht recht, wie er sein kitzliches Verhör zu beginnen habe. -- In derselben Minute trat die Amme mit dem Kinde auf dem Arm herein und meldete, es sei Jemand da und frage nach Herrn Landenberger. Um des Pfarrers Besuch abzukürzen oder zu seinem eigentlichen Ziel und Resultat so geschwind als möglich zu führen, antwortete Landenberger, der Fremde möchte indessen beim Vater eintreten und warten. Er Meinung, die Sache beim rechten Ende an und lief zum Pfarrer und erzählte ihm Alles, was sie erhorcht und erlauscht, und beschwor bei ihrer Seligkeit, Landenberger's Kind sei nicht Verena's, und die Kirche wie die Obrigkeit müsse das Aergerniß bestrafen. — Der Pfarrer, wenn gleich zweifelnd, stutzend und zögernd, wenn gleich die verächtliche Horcherin derb abkanzelnd, hielt es für seine Pflicht, der argwöhnischen Gemeinde gegenüber, einen dreisten Blick in Landenberger's Familie zu thun; und darum begab er sich am selben Abend in das ihm als verdächtig bezeichnete Haus. Sein ungewohnter Besuch befremdete natürlich. — Landenberger empfing ihn jedoch mit Zuvorkommenheit; Verena bewillkommte ihn herzlich. Längere Zeit drehte sich das Gespräch um gleichgültige Gegenstände. Der Pfarrer glaubte zu bemerken, daß die Eheleute sich gegenseitig mit Blicken der Erwartung ansahen. — Aber weder auf der Stirn des Mannes, noch auf dem Antlitz der Frau war eine Spur von bösem Gewissen zu erforschen. Der Pfarrer wußte daher nicht recht, wie er sein kitzliches Verhör zu beginnen habe. — In derselben Minute trat die Amme mit dem Kinde auf dem Arm herein und meldete, es sei Jemand da und frage nach Herrn Landenberger. Um des Pfarrers Besuch abzukürzen oder zu seinem eigentlichen Ziel und Resultat so geschwind als möglich zu führen, antwortete Landenberger, der Fremde möchte indessen beim Vater eintreten und warten. Er <TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0062"/> Meinung, die Sache beim rechten Ende an und lief zum Pfarrer und erzählte ihm Alles, was sie erhorcht und erlauscht, und beschwor bei ihrer Seligkeit, Landenberger's Kind sei nicht Verena's, und die Kirche wie die Obrigkeit müsse das Aergerniß bestrafen. — Der Pfarrer, wenn gleich zweifelnd, stutzend und zögernd, wenn gleich die verächtliche Horcherin derb abkanzelnd, hielt es für seine Pflicht, der argwöhnischen Gemeinde gegenüber, einen dreisten Blick in Landenberger's Familie zu thun; und darum begab er sich am selben Abend in das ihm als verdächtig bezeichnete Haus.</p><lb/> <p>Sein ungewohnter Besuch befremdete natürlich. — Landenberger empfing ihn jedoch mit Zuvorkommenheit; Verena bewillkommte ihn herzlich. Längere Zeit drehte sich das Gespräch um gleichgültige Gegenstände. Der Pfarrer glaubte zu bemerken, daß die Eheleute sich gegenseitig mit Blicken der Erwartung ansahen. — Aber weder auf der Stirn des Mannes, noch auf dem Antlitz der Frau war eine Spur von bösem Gewissen zu erforschen. Der Pfarrer wußte daher nicht recht, wie er sein kitzliches Verhör zu beginnen habe. — In derselben Minute trat die Amme mit dem Kinde auf dem Arm herein und meldete, es sei Jemand da und frage nach Herrn Landenberger. Um des Pfarrers Besuch abzukürzen oder zu seinem eigentlichen Ziel und Resultat so geschwind als möglich zu führen, antwortete Landenberger, der Fremde möchte indessen beim Vater eintreten und warten. Er<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0062]
Meinung, die Sache beim rechten Ende an und lief zum Pfarrer und erzählte ihm Alles, was sie erhorcht und erlauscht, und beschwor bei ihrer Seligkeit, Landenberger's Kind sei nicht Verena's, und die Kirche wie die Obrigkeit müsse das Aergerniß bestrafen. — Der Pfarrer, wenn gleich zweifelnd, stutzend und zögernd, wenn gleich die verächtliche Horcherin derb abkanzelnd, hielt es für seine Pflicht, der argwöhnischen Gemeinde gegenüber, einen dreisten Blick in Landenberger's Familie zu thun; und darum begab er sich am selben Abend in das ihm als verdächtig bezeichnete Haus.
Sein ungewohnter Besuch befremdete natürlich. — Landenberger empfing ihn jedoch mit Zuvorkommenheit; Verena bewillkommte ihn herzlich. Längere Zeit drehte sich das Gespräch um gleichgültige Gegenstände. Der Pfarrer glaubte zu bemerken, daß die Eheleute sich gegenseitig mit Blicken der Erwartung ansahen. — Aber weder auf der Stirn des Mannes, noch auf dem Antlitz der Frau war eine Spur von bösem Gewissen zu erforschen. Der Pfarrer wußte daher nicht recht, wie er sein kitzliches Verhör zu beginnen habe. — In derselben Minute trat die Amme mit dem Kinde auf dem Arm herein und meldete, es sei Jemand da und frage nach Herrn Landenberger. Um des Pfarrers Besuch abzukürzen oder zu seinem eigentlichen Ziel und Resultat so geschwind als möglich zu führen, antwortete Landenberger, der Fremde möchte indessen beim Vater eintreten und warten. Er
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Zitationshilfe: | Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spindler_engel_1910/62>, abgerufen am 16.02.2025. |