Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ihr die Vorstellung einer Heirath mit Georg weniger unangenehm, als es die Aussicht, dem rohen Bläsi anzugehören, gewesen war. In die Verhängnisse, die ihr Gott schicken würde, ergeben, betrat sie die Kapelle, verrichtete sie ihr Gebet. Da Hagenbach noch längere Zeit vor dem Altar verweilte, setzte sich Verena alsdann in den Sonnenschein vor der heiligen Grotte nieder und hing, in die Wildniß des Abgrundes niedersehend, ihren Träumen nach. Sie hörte nicht, daß eilige Füße über die Brücke schritten, daß der Klausner einen Ankömmling begrüßte; sie blickte erst auf, als Georg's Stimme sie anredete: Find' ich Euch doch endlich hier, liebste Jungfer? -- Schönen Dank. Woher des Wegs, Georg? -- Der verlegene Bursche versetzte: Da ich auf der Trümpy Alp gewesen, sah ich Euch des Wegs ziehen, den Vater und Euch, und dachte, Euch guten Tag zu sagen. Wenn's Euch freut, will ich Euch heimbegleiten und zum erstenmal unter Euerm Dache schlafen. Ich bin schon aus dem Dienst der Nachbarin. -- Das ging schnell, Georg. -- Wär's Euch allzu schnell? Dann thät' mir's leid. Ich konnte kaum erwarten, um Euch zu sein, Vreneli. -- Wie redet Ihr? Habt Ihr die glatten Worte unter den Soldaten gelernt? Laßt das für Andere, die Euch glauben. -- Ihr macht mir Schmerz , wenn Ihr mir nicht glaubt. -- Thut doch nicht verliebt, wie ein Herr aus der Stadt. -- Verliebt? Hm, ich bin nicht verliebt in Euch, Vreneli. Ich hab' Euch gern, lieb von Herzen, ihr die Vorstellung einer Heirath mit Georg weniger unangenehm, als es die Aussicht, dem rohen Bläsi anzugehören, gewesen war. In die Verhängnisse, die ihr Gott schicken würde, ergeben, betrat sie die Kapelle, verrichtete sie ihr Gebet. Da Hagenbach noch längere Zeit vor dem Altar verweilte, setzte sich Verena alsdann in den Sonnenschein vor der heiligen Grotte nieder und hing, in die Wildniß des Abgrundes niedersehend, ihren Träumen nach. Sie hörte nicht, daß eilige Füße über die Brücke schritten, daß der Klausner einen Ankömmling begrüßte; sie blickte erst auf, als Georg's Stimme sie anredete: Find' ich Euch doch endlich hier, liebste Jungfer? — Schönen Dank. Woher des Wegs, Georg? — Der verlegene Bursche versetzte: Da ich auf der Trümpy Alp gewesen, sah ich Euch des Wegs ziehen, den Vater und Euch, und dachte, Euch guten Tag zu sagen. Wenn's Euch freut, will ich Euch heimbegleiten und zum erstenmal unter Euerm Dache schlafen. Ich bin schon aus dem Dienst der Nachbarin. — Das ging schnell, Georg. — Wär's Euch allzu schnell? Dann thät' mir's leid. Ich konnte kaum erwarten, um Euch zu sein, Vreneli. — Wie redet Ihr? Habt Ihr die glatten Worte unter den Soldaten gelernt? Laßt das für Andere, die Euch glauben. — Ihr macht mir Schmerz , wenn Ihr mir nicht glaubt. — Thut doch nicht verliebt, wie ein Herr aus der Stadt. — Verliebt? Hm, ich bin nicht verliebt in Euch, Vreneli. Ich hab' Euch gern, lieb von Herzen, <TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0044"/> ihr die Vorstellung einer Heirath mit Georg weniger unangenehm, als es die Aussicht, dem rohen Bläsi anzugehören, gewesen war. In die Verhängnisse, die ihr Gott schicken würde, ergeben, betrat sie die Kapelle, verrichtete sie ihr Gebet. Da Hagenbach noch längere Zeit vor dem Altar verweilte, setzte sich Verena alsdann in den Sonnenschein vor der heiligen Grotte nieder und hing, in die Wildniß des Abgrundes niedersehend, ihren Träumen nach. Sie hörte nicht, daß eilige Füße über die Brücke schritten, daß der Klausner einen Ankömmling begrüßte; sie blickte erst auf, als Georg's Stimme sie anredete: Find' ich Euch doch endlich hier, liebste Jungfer? — Schönen Dank. Woher des Wegs, Georg? — Der verlegene Bursche versetzte: Da ich auf der Trümpy Alp gewesen, sah ich Euch des Wegs ziehen, den Vater und Euch, und dachte, Euch guten Tag zu sagen. Wenn's Euch freut, will ich Euch heimbegleiten und zum erstenmal unter Euerm Dache schlafen. Ich bin schon aus dem Dienst der Nachbarin. — Das ging schnell, Georg. — Wär's Euch allzu schnell? Dann thät' mir's leid. Ich konnte kaum erwarten, um Euch zu sein, Vreneli. — Wie redet Ihr? Habt Ihr die glatten Worte unter den Soldaten gelernt? Laßt das für Andere, die Euch glauben. — Ihr macht mir Schmerz , wenn Ihr mir nicht glaubt. — Thut doch nicht verliebt, wie ein Herr aus der Stadt. — Verliebt? Hm, ich bin nicht verliebt in Euch, Vreneli. Ich hab' Euch gern, lieb von Herzen,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0044]
ihr die Vorstellung einer Heirath mit Georg weniger unangenehm, als es die Aussicht, dem rohen Bläsi anzugehören, gewesen war. In die Verhängnisse, die ihr Gott schicken würde, ergeben, betrat sie die Kapelle, verrichtete sie ihr Gebet. Da Hagenbach noch längere Zeit vor dem Altar verweilte, setzte sich Verena alsdann in den Sonnenschein vor der heiligen Grotte nieder und hing, in die Wildniß des Abgrundes niedersehend, ihren Träumen nach. Sie hörte nicht, daß eilige Füße über die Brücke schritten, daß der Klausner einen Ankömmling begrüßte; sie blickte erst auf, als Georg's Stimme sie anredete: Find' ich Euch doch endlich hier, liebste Jungfer? — Schönen Dank. Woher des Wegs, Georg? — Der verlegene Bursche versetzte: Da ich auf der Trümpy Alp gewesen, sah ich Euch des Wegs ziehen, den Vater und Euch, und dachte, Euch guten Tag zu sagen. Wenn's Euch freut, will ich Euch heimbegleiten und zum erstenmal unter Euerm Dache schlafen. Ich bin schon aus dem Dienst der Nachbarin. — Das ging schnell, Georg. — Wär's Euch allzu schnell? Dann thät' mir's leid. Ich konnte kaum erwarten, um Euch zu sein, Vreneli. — Wie redet Ihr? Habt Ihr die glatten Worte unter den Soldaten gelernt? Laßt das für Andere, die Euch glauben. — Ihr macht mir Schmerz , wenn Ihr mir nicht glaubt. — Thut doch nicht verliebt, wie ein Herr aus der Stadt. — Verliebt? Hm, ich bin nicht verliebt in Euch, Vreneli. Ich hab' Euch gern, lieb von Herzen,
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Zitationshilfe: | Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spindler_engel_1910/44>, abgerufen am 16.07.2024. |