Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.nehmen. Sie machten sich hierauf alsbald auf den Weg, der an fetten Alpen vorüber in die felsige Einöde des Wildkirchleins führt. Hagenbach, kaum erstanden von der schweren Alteration, der er beinahe zum Opfer gefallen, schritt langsam, von der Tochter unterstützt. Aber je höher ihn seine Füße trugen, um so freier wurde ihm Kopf und Brust, um so kräftiger sein Gang. Als die Wanderer endlich um die Ecke der hochgethürmten Felsen bogen, in deren Höhlen das Wildkirchlein und des Klausners Wohnung ruhen, wie Adlernester, als vor ihnen plötzlich der Säntis riesig aufstieg in wilder Eisespracht, während tief unter ihnen der Smaragd des Alpsees blitzte, da wurden Beide, Vater und Tochter, von den kräftigen Schauern jener Wunderwelt ergriffen und mit Schnelligkeit über die gefährliche Brücke, die nach der Felsenkirche führt, als wie von eifrigen Engelhänden gezogen und geleitet. -- Wahrlich! sprach Hagenbach mit tiefer Andacht, hätte Gottes Majestät dazumal wie heute mein Herz erfüllt, ich hätte mich nicht vom Versucher, vom Teufel des Kleinmuths hinreißen lassen und nicht gestrebt, mein unsterblich Theil mit der sterblichen Hülle zugleich zu vernichten. -- Denkt nicht mehr daran; redet nicht mehr davon, bat die Tochter flehentlich. Der Vater fuhr mit einer gewissen Heiterkeit fort: Das Uebel schlägt jedoch immer zum Guten aus. Ohne meine verdammliche Vermessenheit hätte ich auch den wackersten Menschen nicht kennen gelernt, der mir jemals vor- nehmen. Sie machten sich hierauf alsbald auf den Weg, der an fetten Alpen vorüber in die felsige Einöde des Wildkirchleins führt. Hagenbach, kaum erstanden von der schweren Alteration, der er beinahe zum Opfer gefallen, schritt langsam, von der Tochter unterstützt. Aber je höher ihn seine Füße trugen, um so freier wurde ihm Kopf und Brust, um so kräftiger sein Gang. Als die Wanderer endlich um die Ecke der hochgethürmten Felsen bogen, in deren Höhlen das Wildkirchlein und des Klausners Wohnung ruhen, wie Adlernester, als vor ihnen plötzlich der Säntis riesig aufstieg in wilder Eisespracht, während tief unter ihnen der Smaragd des Alpsees blitzte, da wurden Beide, Vater und Tochter, von den kräftigen Schauern jener Wunderwelt ergriffen und mit Schnelligkeit über die gefährliche Brücke, die nach der Felsenkirche führt, als wie von eifrigen Engelhänden gezogen und geleitet. — Wahrlich! sprach Hagenbach mit tiefer Andacht, hätte Gottes Majestät dazumal wie heute mein Herz erfüllt, ich hätte mich nicht vom Versucher, vom Teufel des Kleinmuths hinreißen lassen und nicht gestrebt, mein unsterblich Theil mit der sterblichen Hülle zugleich zu vernichten. — Denkt nicht mehr daran; redet nicht mehr davon, bat die Tochter flehentlich. Der Vater fuhr mit einer gewissen Heiterkeit fort: Das Uebel schlägt jedoch immer zum Guten aus. Ohne meine verdammliche Vermessenheit hätte ich auch den wackersten Menschen nicht kennen gelernt, der mir jemals vor- <TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0042"/> nehmen. Sie machten sich hierauf alsbald auf den Weg, der an fetten Alpen vorüber in die felsige Einöde des Wildkirchleins führt. Hagenbach, kaum erstanden von der schweren Alteration, der er beinahe zum Opfer gefallen, schritt langsam, von der Tochter unterstützt. Aber je höher ihn seine Füße trugen, um so freier wurde ihm Kopf und Brust, um so kräftiger sein Gang. Als die Wanderer endlich um die Ecke der hochgethürmten Felsen bogen, in deren Höhlen das Wildkirchlein und des Klausners Wohnung ruhen, wie Adlernester, als vor ihnen plötzlich der Säntis riesig aufstieg in wilder Eisespracht, während tief unter ihnen der Smaragd des Alpsees blitzte, da wurden Beide, Vater und Tochter, von den kräftigen Schauern jener Wunderwelt ergriffen und mit Schnelligkeit über die gefährliche Brücke, die nach der Felsenkirche führt, als wie von eifrigen Engelhänden gezogen und geleitet. — Wahrlich! sprach Hagenbach mit tiefer Andacht, hätte Gottes Majestät dazumal wie heute mein Herz erfüllt, ich hätte mich nicht vom Versucher, vom Teufel des Kleinmuths hinreißen lassen und nicht gestrebt, mein unsterblich Theil mit der sterblichen Hülle zugleich zu vernichten. — Denkt nicht mehr daran; redet nicht mehr davon, bat die Tochter flehentlich. Der Vater fuhr mit einer gewissen Heiterkeit fort: Das Uebel schlägt jedoch immer zum Guten aus. Ohne meine verdammliche Vermessenheit hätte ich auch den wackersten Menschen nicht kennen gelernt, der mir jemals vor-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0042]
nehmen. Sie machten sich hierauf alsbald auf den Weg, der an fetten Alpen vorüber in die felsige Einöde des Wildkirchleins führt. Hagenbach, kaum erstanden von der schweren Alteration, der er beinahe zum Opfer gefallen, schritt langsam, von der Tochter unterstützt. Aber je höher ihn seine Füße trugen, um so freier wurde ihm Kopf und Brust, um so kräftiger sein Gang. Als die Wanderer endlich um die Ecke der hochgethürmten Felsen bogen, in deren Höhlen das Wildkirchlein und des Klausners Wohnung ruhen, wie Adlernester, als vor ihnen plötzlich der Säntis riesig aufstieg in wilder Eisespracht, während tief unter ihnen der Smaragd des Alpsees blitzte, da wurden Beide, Vater und Tochter, von den kräftigen Schauern jener Wunderwelt ergriffen und mit Schnelligkeit über die gefährliche Brücke, die nach der Felsenkirche führt, als wie von eifrigen Engelhänden gezogen und geleitet. — Wahrlich! sprach Hagenbach mit tiefer Andacht, hätte Gottes Majestät dazumal wie heute mein Herz erfüllt, ich hätte mich nicht vom Versucher, vom Teufel des Kleinmuths hinreißen lassen und nicht gestrebt, mein unsterblich Theil mit der sterblichen Hülle zugleich zu vernichten. — Denkt nicht mehr daran; redet nicht mehr davon, bat die Tochter flehentlich. Der Vater fuhr mit einer gewissen Heiterkeit fort: Das Uebel schlägt jedoch immer zum Guten aus. Ohne meine verdammliche Vermessenheit hätte ich auch den wackersten Menschen nicht kennen gelernt, der mir jemals vor-
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Zitationshilfe: | Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spindler_engel_1910/42>, abgerufen am 16.02.2025. |