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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796.

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ihre Sehnsucht sah, da warf sie sich schon
am andern Morgen mit ihrer Freundin in
einen leichten Reisewagen, und eilte mit
ihr der unnennbaren Freude entgegen. Um
schneller reisen zu können, hatte die Für-
stin aller gewöhnlichen Begleitung eutsagt,
nur eine Kammerfrau sas mit den Kindern
der Gräfin in einem zweiten Wagen, nur
zwei Bediente begleiteten sie. Es ging rasch
vorwärts, aber es ging der Harrenden doch
viel zu langsam, jede Schaafheerde, die
oft auf den nahen oder fernen Bergen um-
her kletterte, machte den stärksten Eindruck
auf ihr Herz, sie strekte dann immer ihre
Arme aus, und glaubte, in dem Hirten
ihren Gatten zu erblicken.

Endlich lag die wüste, öde Berggegend
vor ihrem Blicke. Endlich sahen sie zwischen
den hohen Buchen und Eichen die Schäferei
vom Ferne glänzen, endlich stand der Wa-

ihre Sehnſucht ſah, da warf ſie ſich ſchon
am andern Morgen mit ihrer Freundin in
einen leichten Reiſewagen, und eilte mit
ihr der unnennbaren Freude entgegen. Um
ſchneller reiſen zu koͤnnen, hatte die Fuͤr-
ſtin aller gewoͤhnlichen Begleitung eutſagt,
nur eine Kammerfrau ſas mit den Kindern
der Graͤfin in einem zweiten Wagen, nur
zwei Bediente begleiteten ſie. Es ging raſch
vorwaͤrts, aber es ging der Harrenden doch
viel zu langſam, jede Schaafheerde, die
oft auf den nahen oder fernen Bergen um-
her kletterte, machte den ſtaͤrkſten Eindruck
auf ihr Herz, ſie ſtrekte dann immer ihre
Arme aus, und glaubte, in dem Hirten
ihren Gatten zu erblicken.

Endlich lag die wuͤſte, oͤde Berggegend
vor ihrem Blicke. Endlich ſahen ſie zwiſchen
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[168/0178] ihre Sehnſucht ſah, da warf ſie ſich ſchon am andern Morgen mit ihrer Freundin in einen leichten Reiſewagen, und eilte mit ihr der unnennbaren Freude entgegen. Um ſchneller reiſen zu koͤnnen, hatte die Fuͤr- ſtin aller gewoͤhnlichen Begleitung eutſagt, nur eine Kammerfrau ſas mit den Kindern der Graͤfin in einem zweiten Wagen, nur zwei Bediente begleiteten ſie. Es ging raſch vorwaͤrts, aber es ging der Harrenden doch viel zu langſam, jede Schaafheerde, die oft auf den nahen oder fernen Bergen um- her kletterte, machte den ſtaͤrkſten Eindruck auf ihr Herz, ſie ſtrekte dann immer ihre Arme aus, und glaubte, in dem Hirten ihren Gatten zu erblicken. Endlich lag die wuͤſte, oͤde Berggegend vor ihrem Blicke. Endlich ſahen ſie zwiſchen den hohen Buchen und Eichen die Schaͤferei vom Ferne glaͤnzen, endlich ſtand der Wa-

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Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/178>, abgerufen am 02.05.2024.