Bei einer ähnlichen Gelegenheit stieg sie bis ans Ufer der Elbe hinab; gegen über lag eine kleine Insel, welche hohe Weiden und Erlen beschatteten, ihr wohlthätiger Schat- ten, ihre melancholisch umher schwankenden Aeste luden sie zum Genusse ein. Ein kleines Schifchen lag am Ufer, sie rufte die nahen Fischer herbei, und ließ sich nach der Insel führen. Versunken in süßen Träumen, um- herschweifend im reizenden, oft aber auch ge- fahrvollen Irrgarten der Liebe -- denn Ama- lie liebte schon wirklich -- vergaß sie die be- stimmte Rückkehr, sah nicht, daß schwarze Gewitterwolken sich über die Berge herab ins Thal senkten, und fürchterlichen Sturm ver- kündigten. Zu spät erwachten die schlafen- den Fischer, machten Amalien die drohende Gefahr kund, und hoften mit Gottes Bei- stande in schneller Eile noch überzuschiffen, ehe der Sturm zu wüthen beginne. Wahr- scheinlich würde sich Amalie zu der gefahrvol-
Bei einer aͤhnlichen Gelegenheit ſtieg ſie bis ans Ufer der Elbe hinab; gegen uͤber lag eine kleine Inſel, welche hohe Weiden und Erlen beſchatteten, ihr wohlthaͤtiger Schat- ten, ihre melancholiſch umher ſchwankenden Aeſte luden ſie zum Genuſſe ein. Ein kleines Schifchen lag am Ufer, ſie rufte die nahen Fiſcher herbei, und ließ ſich nach der Inſel fuͤhren. Verſunken in ſuͤßen Traͤumen, um- herſchweifend im reizenden, oft aber auch ge- fahrvollen Irrgarten der Liebe — denn Ama- lie liebte ſchon wirklich — vergaß ſie die be- ſtimmte Ruͤckkehr, ſah nicht, daß ſchwarze Gewitterwolken ſich uͤber die Berge herab ins Thal ſenkten, und fuͤrchterlichen Sturm ver- kuͤndigten. Zu ſpaͤt erwachten die ſchlafen- den Fiſcher, machten Amalien die drohende Gefahr kund, und hoften mit Gottes Bei- ſtande in ſchneller Eile noch uͤberzuſchiffen, ehe der Sturm zu wuͤthen beginne. Wahr- ſcheinlich wuͤrde ſich Amalie zu der gefahrvol-
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Bei einer aͤhnlichen Gelegenheit ſtieg ſie
bis ans Ufer der Elbe hinab; gegen uͤber lag
eine kleine Inſel, welche hohe Weiden und
Erlen beſchatteten, ihr wohlthaͤtiger Schat-
ten, ihre melancholiſch umher ſchwankenden
Aeſte luden ſie zum Genuſſe ein. Ein kleines
Schifchen lag am Ufer, ſie rufte die nahen
Fiſcher herbei, und ließ ſich nach der Inſel
fuͤhren. Verſunken in ſuͤßen Traͤumen, um-
herſchweifend im reizenden, oft aber auch ge-
fahrvollen Irrgarten der Liebe — denn Ama-
lie liebte ſchon wirklich — vergaß ſie die be-
ſtimmte Ruͤckkehr, ſah nicht, daß ſchwarze
Gewitterwolken ſich uͤber die Berge herab ins
Thal ſenkten, und fuͤrchterlichen Sturm ver-
kuͤndigten. Zu ſpaͤt erwachten die ſchlafen-
den Fiſcher, machten Amalien die drohende
Gefahr kund, und hoften mit Gottes Bei-
ſtande in ſchneller Eile noch uͤberzuſchiffen,
ehe der Sturm zu wuͤthen beginne. Wahr-
ſcheinlich wuͤrde ſich Amalie zu der gefahrvol-
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/43>, abgerufen am 21.11.2024.
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