Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

lien vom schmähligen Tode gerettet, sie nicht
eher, als bis die Einwohner des Dorfs zu
ihrer Unterstützung herbei eilten, verlassen.
Es war daher kein Wunder, daß die Gestalt
des edlen und schönen Retters tiefen Ein-
druck auf ihr Herz machte, es mit Wünschen
füllte, die sie bisher noch nicht gekannt hatte.

Noch staunte sie dem Entflohenen in die
weite Ferne nach, hofte vergebens, daß er
rückkehren würde; als ein Greis ihr eine
Schreibtafel überreichte, welche er in dem Gra-
ben gefunden hatte. Sie war geöfnet, nicht
unedle Neugierde des Weibes, sondern sehn-
liches Verlangen, den Retter durch diesen
glücklichen Zufall näher kennen zu lernen, ver-
leitete Amalie, solche zu durchblättern. Sie
war leer, nur zwei Seiten waren beschrieben,
es schienen flüchtige Gedanken, welche der
Verfasser eben entworfen hatte, als Amaliens
ängstliches Geschrei ihn zu Hülfe rief. Ama-

lien vom ſchmaͤhligen Tode gerettet, ſie nicht
eher, als bis die Einwohner des Dorfs zu
ihrer Unterſtuͤtzung herbei eilten, verlaſſen.
Es war daher kein Wunder, daß die Geſtalt
des edlen und ſchoͤnen Retters tiefen Ein-
druck auf ihr Herz machte, es mit Wuͤnſchen
fuͤllte, die ſie bisher noch nicht gekannt hatte.

Noch ſtaunte ſie dem Entflohenen in die
weite Ferne nach, hofte vergebens, daß er
ruͤckkehren wuͤrde; als ein Greis ihr eine
Schreibtafel uͤberreichte, welche er in dem Gra-
ben gefunden hatte. Sie war geoͤfnet, nicht
unedle Neugierde des Weibes, ſondern ſehn-
liches Verlangen, den Retter durch dieſen
gluͤcklichen Zufall naͤher kennen zu lernen, ver-
leitete Amalie, ſolche zu durchblaͤttern. Sie
war leer, nur zwei Seiten waren beſchrieben,
es ſchienen fluͤchtige Gedanken, welche der
Verfaſſer eben entworfen hatte, als Amaliens
aͤngſtliches Geſchrei ihn zu Huͤlfe rief. Ama-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0035" n="21"/>
lien vom &#x017F;chma&#x0364;hligen Tode gerettet, &#x017F;ie nicht<lb/>
eher, als bis die Einwohner des Dorfs zu<lb/>
ihrer Unter&#x017F;tu&#x0364;tzung herbei eilten, verla&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Es war daher kein Wunder, daß die Ge&#x017F;talt<lb/>
des edlen und &#x017F;cho&#x0364;nen Retters tiefen Ein-<lb/>
druck auf ihr Herz machte, es mit Wu&#x0364;n&#x017F;chen<lb/>
fu&#x0364;llte, die &#x017F;ie bisher noch nicht gekannt hatte.</p><lb/>
        <p>Noch &#x017F;taunte &#x017F;ie dem Entflohenen in die<lb/>
weite Ferne nach, hofte vergebens, daß er<lb/>
ru&#x0364;ckkehren wu&#x0364;rde; als ein Greis ihr eine<lb/>
Schreibtafel u&#x0364;berreichte, welche er in dem Gra-<lb/>
ben gefunden hatte. Sie war geo&#x0364;fnet, nicht<lb/>
unedle Neugierde des Weibes, &#x017F;ondern &#x017F;ehn-<lb/>
liches Verlangen, den Retter durch die&#x017F;en<lb/>
glu&#x0364;cklichen Zufall na&#x0364;her kennen zu lernen, ver-<lb/>
leitete Amalie, &#x017F;olche zu durchbla&#x0364;ttern. Sie<lb/>
war leer, nur zwei Seiten waren be&#x017F;chrieben,<lb/>
es &#x017F;chienen flu&#x0364;chtige Gedanken, welche der<lb/>
Verfa&#x017F;&#x017F;er eben entworfen hatte, als Amaliens<lb/>
a&#x0364;ng&#x017F;tliches Ge&#x017F;chrei ihn zu Hu&#x0364;lfe rief. Ama-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0035] lien vom ſchmaͤhligen Tode gerettet, ſie nicht eher, als bis die Einwohner des Dorfs zu ihrer Unterſtuͤtzung herbei eilten, verlaſſen. Es war daher kein Wunder, daß die Geſtalt des edlen und ſchoͤnen Retters tiefen Ein- druck auf ihr Herz machte, es mit Wuͤnſchen fuͤllte, die ſie bisher noch nicht gekannt hatte. Noch ſtaunte ſie dem Entflohenen in die weite Ferne nach, hofte vergebens, daß er ruͤckkehren wuͤrde; als ein Greis ihr eine Schreibtafel uͤberreichte, welche er in dem Gra- ben gefunden hatte. Sie war geoͤfnet, nicht unedle Neugierde des Weibes, ſondern ſehn- liches Verlangen, den Retter durch dieſen gluͤcklichen Zufall naͤher kennen zu lernen, ver- leitete Amalie, ſolche zu durchblaͤttern. Sie war leer, nur zwei Seiten waren beſchrieben, es ſchienen fluͤchtige Gedanken, welche der Verfaſſer eben entworfen hatte, als Amaliens aͤngſtliches Geſchrei ihn zu Huͤlfe rief. Ama-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/35
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/35>, abgerufen am 21.11.2024.