Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

ben konnte. Kleta begleitete ihn bis an die
Stufen der Treppe, er stammlete einige Wor-
te der tiefsten Verehrung; die Jungfrau lä-
chelte, und stand noch an der Treppe, wie
er schon wieder auf seinem Rosse saß. Wie
sie ins Gemach rückkehrte, fand sie ihre Mut-
ter in Thränen, sie forschte nach der Ursache,
und fragte offenherzig: Ob sie sich vielleicht
nicht geziemend betragen, sie durch irgend
etwas beleidigt habe?

Die Mutter trocknete ihre Thränen, und
versicherte, daß diese nur einer traurigen
Rückerinnerung wegen flössen. Du hast,
schrieb sie, dich wohl und anständig betragen.
So sehr ich's wünschte, konnte ich doch die
Einladung nicht ablehnen. Es ist eine große
Ehre, in Turnierlogen Sitz nehmen zu dür-
fen; wer sie ausschlägt, beweißt deutlich,
daß er sie nicht verdient. Wärst du einige
Jahre älter, so würde mir diese Einladung

ben konnte. Kleta begleitete ihn bis an die
Stufen der Treppe, er ſtammlete einige Wor-
te der tiefſten Verehrung; die Jungfrau laͤ-
chelte, und ſtand noch an der Treppe, wie
er ſchon wieder auf ſeinem Roſſe ſaß. Wie
ſie ins Gemach ruͤckkehrte, fand ſie ihre Mut-
ter in Thraͤnen, ſie forſchte nach der Urſache,
und fragte offenherzig: Ob ſie ſich vielleicht
nicht geziemend betragen, ſie durch irgend
etwas beleidigt habe?

Die Mutter trocknete ihre Thraͤnen, und
verſicherte, daß dieſe nur einer traurigen
Ruͤckerinnerung wegen floͤſſen. Du haſt,
ſchrieb ſie, dich wohl und anſtaͤndig betragen.
So ſehr ich's wuͤnſchte, konnte ich doch die
Einladung nicht ablehnen. Es iſt eine große
Ehre, in Turnierlogen Sitz nehmen zu duͤr-
fen; wer ſie ausſchlaͤgt, beweißt deutlich,
daß er ſie nicht verdient. Waͤrſt du einige
Jahre aͤlter, ſo wuͤrde mir dieſe Einladung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0345" n="331"/>
ben konnte. Kleta begleitete ihn bis an die<lb/>
Stufen der Treppe, er &#x017F;tammlete einige Wor-<lb/>
te der tief&#x017F;ten Verehrung; die Jungfrau la&#x0364;-<lb/>
chelte, und &#x017F;tand noch an der Treppe, wie<lb/>
er &#x017F;chon wieder auf &#x017F;einem Ro&#x017F;&#x017F;e &#x017F;aß. Wie<lb/>
&#x017F;ie ins Gemach ru&#x0364;ckkehrte, fand &#x017F;ie ihre Mut-<lb/>
ter in Thra&#x0364;nen, &#x017F;ie for&#x017F;chte nach der Ur&#x017F;ache,<lb/>
und fragte offenherzig: Ob &#x017F;ie &#x017F;ich vielleicht<lb/>
nicht geziemend betragen, &#x017F;ie durch irgend<lb/>
etwas beleidigt habe?</p><lb/>
        <p>Die Mutter trocknete ihre Thra&#x0364;nen, und<lb/>
ver&#x017F;icherte, daß die&#x017F;e nur einer traurigen<lb/>
Ru&#x0364;ckerinnerung wegen flo&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Du ha&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;chrieb &#x017F;ie, dich wohl und an&#x017F;ta&#x0364;ndig betragen.<lb/>
So &#x017F;ehr ich's wu&#x0364;n&#x017F;chte, konnte ich doch die<lb/>
Einladung nicht ablehnen. Es i&#x017F;t eine große<lb/>
Ehre, in Turnierlogen Sitz nehmen zu du&#x0364;r-<lb/>
fen; wer &#x017F;ie aus&#x017F;chla&#x0364;gt, beweißt deutlich,<lb/>
daß er &#x017F;ie nicht verdient. Wa&#x0364;r&#x017F;t du einige<lb/>
Jahre a&#x0364;lter, &#x017F;o wu&#x0364;rde mir die&#x017F;e Einladung<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[331/0345] ben konnte. Kleta begleitete ihn bis an die Stufen der Treppe, er ſtammlete einige Wor- te der tiefſten Verehrung; die Jungfrau laͤ- chelte, und ſtand noch an der Treppe, wie er ſchon wieder auf ſeinem Roſſe ſaß. Wie ſie ins Gemach ruͤckkehrte, fand ſie ihre Mut- ter in Thraͤnen, ſie forſchte nach der Urſache, und fragte offenherzig: Ob ſie ſich vielleicht nicht geziemend betragen, ſie durch irgend etwas beleidigt habe? Die Mutter trocknete ihre Thraͤnen, und verſicherte, daß dieſe nur einer traurigen Ruͤckerinnerung wegen floͤſſen. Du haſt, ſchrieb ſie, dich wohl und anſtaͤndig betragen. So ſehr ich's wuͤnſchte, konnte ich doch die Einladung nicht ablehnen. Es iſt eine große Ehre, in Turnierlogen Sitz nehmen zu duͤr- fen; wer ſie ausſchlaͤgt, beweißt deutlich, daß er ſie nicht verdient. Waͤrſt du einige Jahre aͤlter, ſo wuͤrde mir dieſe Einladung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/345
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/345>, abgerufen am 25.11.2024.