lichsten aller Menschen kennen. Gern wollte ich ihnen einen Stuhl anbieten, aber ich ha- be keinen. Sehen sie nur, sehen sie! (in- dem er im Zimmer umherzeigte) Eine kleine Bettstelle, ein angenagelter Tisch und Stuhl! Das ist mein ganzer Hausrath! Ge- nug für einen Wahnsinnigen, aber viel zu wenig für einen Unglücklichen, der sich besse- rer Zeiten erinnert, und bei der größten Selbstverläugnung dies Gefühl nicht unter- drücken kann. Eben saß ich hier, und hader- te mit Gott: Warum er nur mir allein täg- lich, fast stündlich einen vollen Leidensbecher reiche, mich mit allmächtiger Hand zwinge, ihn bis auf den lezten Tropfen zu leeren? Ich wollte, aber ich konnte nicht beten, meine Seele murrte, ich war der Verzweiflung na- he! -- -- Aber izt, izt ist mir wieder wohl und leicht! Wenn ich nur einen Menschen er- blicke, der Antheil an meinem Jammer nimmt, der nur mit einer mitleidigen Miene mich trö-
lichſten aller Menſchen kennen. Gern wollte ich ihnen einen Stuhl anbieten, aber ich ha- be keinen. Sehen ſie nur, ſehen ſie! (in- dem er im Zimmer umherzeigte) Eine kleine Bettſtelle, ein angenagelter Tiſch und Stuhl! Das iſt mein ganzer Hausrath! Ge- nug fuͤr einen Wahnſinnigen, aber viel zu wenig fuͤr einen Ungluͤcklichen, der ſich beſſe- rer Zeiten erinnert, und bei der groͤßten Selbſtverlaͤugnung dies Gefuͤhl nicht unter- druͤcken kann. Eben ſaß ich hier, und hader- te mit Gott: Warum er nur mir allein taͤg- lich, faſt ſtuͤndlich einen vollen Leidensbecher reiche, mich mit allmaͤchtiger Hand zwinge, ihn bis auf den lezten Tropfen zu leeren? Ich wollte, aber ich konnte nicht beten, meine Seele murrte, ich war der Verzweiflung na- he! — — Aber izt, izt iſt mir wieder wohl und leicht! Wenn ich nur einen Menſchen er- blicke, der Antheil an meinem Jammer nimmt, der nur mit einer mitleidigen Miene mich troͤ-
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lichſten aller Menſchen kennen. Gern wollte
ich ihnen einen Stuhl anbieten, aber ich ha-
be keinen. Sehen ſie nur, ſehen ſie! (in-
dem er im Zimmer umherzeigte) Eine
kleine Bettſtelle, ein angenagelter Tiſch und
Stuhl! Das iſt mein ganzer Hausrath! Ge-
nug fuͤr einen Wahnſinnigen, aber viel zu
wenig fuͤr einen Ungluͤcklichen, der ſich beſſe-
rer Zeiten erinnert, und bei der groͤßten
Selbſtverlaͤugnung dies Gefuͤhl nicht unter-
druͤcken kann. Eben ſaß ich hier, und hader-
te mit Gott: Warum er nur mir allein taͤg-
lich, faſt ſtuͤndlich einen vollen Leidensbecher
reiche, mich mit allmaͤchtiger Hand zwinge,
ihn bis auf den lezten Tropfen zu leeren? Ich
wollte, aber ich konnte nicht beten, meine
Seele murrte, ich war der Verzweiflung na-
he! — — Aber izt, izt iſt mir wieder wohl
und leicht! Wenn ich nur einen Menſchen er-
blicke, der Antheil an meinem Jammer nimmt,
der nur mit einer mitleidigen Miene mich troͤ-
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/262>, abgerufen am 25.11.2024.
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