spatzieren, grüßte jeden mit einem gnädigen Kopfnicken, machte sich aus einem breiten Blatte einen Fächer, und sah es sehr gerne, wenn die losen Dorfjungen als Bediente hinter ihr her schritten, oder gar den Schlepp ihres Kleides trugen.
Einst kam sie athemlos mit einem grossen beschriebenen Papiere nach Hause, und machte es allen Anwesenden kund, daß ihr Geliebter sich im Kriege hervorgethan habe, General ge- worden sei, und nächstens im Dorfe erscheinen würde, um sie als seine Gemahlin nach der Stadt zu führen. Diese Idee, welche sie wahr- scheinlich schon lange im Stillen beschäftigte, blieb nun unauslöschbar vor ihrer Seele ste- hen, war der Urstoff aller ihrer Reden und Handlungen. Sie stand jeden Tag mit der Gewißheit auf, daß ihr Gemahl heute an- kommen würde, und legte sich mit der festen Ueberzeugung nieder, daß er morgen erschei-
ſpatzieren, gruͤßte jeden mit einem gnaͤdigen Kopfnicken, machte ſich aus einem breiten Blatte einen Faͤcher, und ſah es ſehr gerne, wenn die loſen Dorfjungen als Bediente hinter ihr her ſchritten, oder gar den Schlepp ihres Kleides trugen.
Einſt kam ſie athemlos mit einem groſſen beſchriebenen Papiere nach Hauſe, und machte es allen Anweſenden kund, daß ihr Geliebter ſich im Kriege hervorgethan habe, General ge- worden ſei, und naͤchſtens im Dorfe erſcheinen wuͤrde, um ſie als ſeine Gemahlin nach der Stadt zu fuͤhren. Dieſe Idee, welche ſie wahr- ſcheinlich ſchon lange im Stillen beſchaͤftigte, blieb nun unausloͤſchbar vor ihrer Seele ſte- hen, war der Urſtoff aller ihrer Reden und Handlungen. Sie ſtand jeden Tag mit der Gewißheit auf, daß ihr Gemahl heute an- kommen wuͤrde, und legte ſich mit der feſten Ueberzeugung nieder, daß er morgen erſchei-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0214"n="216[200]"/>ſpatzieren, gruͤßte jeden mit einem gnaͤdigen<lb/>
Kopfnicken, machte ſich aus einem breiten<lb/>
Blatte einen Faͤcher, und ſah es ſehr gerne,<lb/>
wenn die loſen Dorfjungen als Bediente hinter<lb/>
ihr her ſchritten, oder gar den Schlepp ihres<lb/>
Kleides trugen.</p><lb/><p>Einſt kam ſie athemlos mit einem groſſen<lb/>
beſchriebenen Papiere nach Hauſe, und machte<lb/>
es allen Anweſenden kund, daß ihr Geliebter<lb/>ſich im Kriege hervorgethan habe, General ge-<lb/>
worden ſei, und naͤchſtens im Dorfe erſcheinen<lb/>
wuͤrde, um ſie als ſeine Gemahlin nach der<lb/>
Stadt zu fuͤhren. Dieſe Idee, welche ſie wahr-<lb/>ſcheinlich ſchon lange im Stillen beſchaͤftigte,<lb/>
blieb nun unausloͤſchbar vor ihrer Seele ſte-<lb/>
hen, war der Urſtoff aller ihrer Reden und<lb/>
Handlungen. Sie ſtand jeden Tag mit der<lb/>
Gewißheit auf, daß ihr Gemahl heute an-<lb/>
kommen wuͤrde, und legte ſich mit der feſten<lb/>
Ueberzeugung nieder, daß er morgen erſchei-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[216[200]/0214]
ſpatzieren, gruͤßte jeden mit einem gnaͤdigen
Kopfnicken, machte ſich aus einem breiten
Blatte einen Faͤcher, und ſah es ſehr gerne,
wenn die loſen Dorfjungen als Bediente hinter
ihr her ſchritten, oder gar den Schlepp ihres
Kleides trugen.
Einſt kam ſie athemlos mit einem groſſen
beſchriebenen Papiere nach Hauſe, und machte
es allen Anweſenden kund, daß ihr Geliebter
ſich im Kriege hervorgethan habe, General ge-
worden ſei, und naͤchſtens im Dorfe erſcheinen
wuͤrde, um ſie als ſeine Gemahlin nach der
Stadt zu fuͤhren. Dieſe Idee, welche ſie wahr-
ſcheinlich ſchon lange im Stillen beſchaͤftigte,
blieb nun unausloͤſchbar vor ihrer Seele ſte-
hen, war der Urſtoff aller ihrer Reden und
Handlungen. Sie ſtand jeden Tag mit der
Gewißheit auf, daß ihr Gemahl heute an-
kommen wuͤrde, und legte ſich mit der feſten
Ueberzeugung nieder, daß er morgen erſchei-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 216[200]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/214>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.