Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.
vom Hundert, und setzte sie in Stand, mit einem jährlichen Einkommen von funfzehnhundert Tha- lern ihre Tage in sorgenloser Ruhe zu genießen. Sie gaben nie mehr aus, als sie einnehmen konn- ten, aber sie ersparten auch nichts von ihrer Ein- nahme, verwandten oft den Ueberfluß zu guten Werken, sie beschäftigten sich bloß mit ihrer Lie- be und fühlten sich dann nur ganz glücklich, wenn sie von dieser ungehindert sprechen, einander ewige Dauer und auch jenseitige Treue versichern konnten. Selten wird ein Paar sich so innig lie- ben, selten im stärksten Grade der Zärtlichkeit so lange ausgeharret haben. Wilhelmine hatte ihrem Gatten schon vier Kinder gebohren, und erzog sie mit der größten Sorgfalt, als Franz einst verzweiflungsvoll nach Hause kam, und durch seine tiefen Seufzer, durch den gebrochnen Ton seiner Stimme der Gattin Argwohn weckte. Er war beim Bankier gewesen, wollte, wie gewöhnlich, die halbjährigen Inter- essen heben, und erfuhr zu seinem größten Er- staunen, daß dieser schon vor Monatsfrist Ban- kerot gemacht, und der Ahndung seiner Gläubiger entflohen sei. Wilhelmine hörte diese Schreckens- post mit standhaftem Muthe. Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Ewigen sei gelobt! sprach sie zwar wehmü- thig, aber doch nicht verzweifelnd, und sank in die Arme ihres Gatten. Dieser ermannte sich wie- der, eilte zu einem Advokaten, und übergab ihm
vom Hundert, und ſetzte ſie in Stand, mit einem jaͤhrlichen Einkommen von funfzehnhundert Tha- lern ihre Tage in ſorgenloſer Ruhe zu genießen. Sie gaben nie mehr aus, als ſie einnehmen konn- ten, aber ſie erſparten auch nichts von ihrer Ein- nahme, verwandten oft den Ueberfluß zu guten Werken, ſie beſchaͤftigten ſich bloß mit ihrer Lie- be und fuͤhlten ſich dann nur ganz gluͤcklich, wenn ſie von dieſer ungehindert ſprechen, einander ewige Dauer und auch jenſeitige Treue verſichern konnten. Selten wird ein Paar ſich ſo innig lie- ben, ſelten im ſtaͤrkſten Grade der Zaͤrtlichkeit ſo lange ausgeharret haben. Wilhelmine hatte ihrem Gatten ſchon vier Kinder gebohren, und erzog ſie mit der groͤßten Sorgfalt, als Franz einſt verzweiflungsvoll nach Hauſe kam, und durch ſeine tiefen Seufzer, durch den gebrochnen Ton ſeiner Stimme der Gattin Argwohn weckte. Er war beim Bankier geweſen, wollte, wie gewoͤhnlich, die halbjaͤhrigen Inter- eſſen heben, und erfuhr zu ſeinem groͤßten Er- ſtaunen, daß dieſer ſchon vor Monatsfriſt Ban- kerot gemacht, und der Ahndung ſeiner Glaͤubiger entflohen ſei. Wilhelmine hoͤrte dieſe Schreckens- poſt mit ſtandhaftem Muthe. Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Ewigen ſei gelobt! ſprach ſie zwar wehmuͤ- thig, aber doch nicht verzweifelnd, und ſank in die Arme ihres Gatten. Dieſer ermannte ſich wie- der, eilte zu einem Advokaten, und uͤbergab ihm <TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp who="#WILH"> <p><pb facs="#f0092" n="84"/> vom Hundert, und ſetzte ſie in Stand, mit einem<lb/> jaͤhrlichen Einkommen von funfzehnhundert Tha-<lb/> lern ihre Tage in ſorgenloſer Ruhe zu genießen.<lb/> Sie gaben nie mehr aus, als ſie einnehmen konn-<lb/> ten, aber ſie erſparten auch nichts von ihrer Ein-<lb/> nahme, verwandten oft den Ueberfluß zu guten<lb/> Werken, ſie beſchaͤftigten ſich bloß mit ihrer Lie-<lb/> be und fuͤhlten ſich dann nur ganz gluͤcklich,<lb/> wenn ſie von dieſer ungehindert ſprechen, einander<lb/> ewige Dauer und auch jenſeitige Treue verſichern<lb/> konnten. Selten wird ein Paar ſich ſo innig lie-<lb/> ben, ſelten im ſtaͤrkſten Grade der Zaͤrtlichkeit ſo<lb/> lange ausgeharret haben.</p><lb/> <p>Wilhelmine hatte ihrem Gatten ſchon vier<lb/> Kinder gebohren, und erzog ſie mit der groͤßten<lb/> Sorgfalt, als Franz einſt verzweiflungsvoll nach<lb/> Hauſe kam, und durch ſeine tiefen Seufzer, durch<lb/> den gebrochnen Ton ſeiner Stimme der Gattin<lb/> Argwohn weckte. Er war beim Bankier geweſen,<lb/> wollte, wie gewoͤhnlich, die halbjaͤhrigen Inter-<lb/> eſſen heben, und erfuhr zu ſeinem groͤßten Er-<lb/> ſtaunen, daß dieſer ſchon vor Monatsfriſt Ban-<lb/> kerot gemacht, und der Ahndung ſeiner Glaͤubiger<lb/> entflohen ſei. Wilhelmine hoͤrte dieſe Schreckens-<lb/> poſt mit ſtandhaftem Muthe. Der Herr hat's<lb/> gegeben, der Herr hat's genommen, der Name<lb/> des Ewigen ſei gelobt! ſprach ſie zwar wehmuͤ-<lb/> thig, aber doch nicht verzweifelnd, und ſank in<lb/> die Arme ihres Gatten. Dieſer ermannte ſich wie-<lb/> der, eilte zu einem Advokaten, und uͤbergab ihm<lb/></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [84/0092]
vom Hundert, und ſetzte ſie in Stand, mit einem
jaͤhrlichen Einkommen von funfzehnhundert Tha-
lern ihre Tage in ſorgenloſer Ruhe zu genießen.
Sie gaben nie mehr aus, als ſie einnehmen konn-
ten, aber ſie erſparten auch nichts von ihrer Ein-
nahme, verwandten oft den Ueberfluß zu guten
Werken, ſie beſchaͤftigten ſich bloß mit ihrer Lie-
be und fuͤhlten ſich dann nur ganz gluͤcklich,
wenn ſie von dieſer ungehindert ſprechen, einander
ewige Dauer und auch jenſeitige Treue verſichern
konnten. Selten wird ein Paar ſich ſo innig lie-
ben, ſelten im ſtaͤrkſten Grade der Zaͤrtlichkeit ſo
lange ausgeharret haben.
Wilhelmine hatte ihrem Gatten ſchon vier
Kinder gebohren, und erzog ſie mit der groͤßten
Sorgfalt, als Franz einſt verzweiflungsvoll nach
Hauſe kam, und durch ſeine tiefen Seufzer, durch
den gebrochnen Ton ſeiner Stimme der Gattin
Argwohn weckte. Er war beim Bankier geweſen,
wollte, wie gewoͤhnlich, die halbjaͤhrigen Inter-
eſſen heben, und erfuhr zu ſeinem groͤßten Er-
ſtaunen, daß dieſer ſchon vor Monatsfriſt Ban-
kerot gemacht, und der Ahndung ſeiner Glaͤubiger
entflohen ſei. Wilhelmine hoͤrte dieſe Schreckens-
poſt mit ſtandhaftem Muthe. Der Herr hat's
gegeben, der Herr hat's genommen, der Name
des Ewigen ſei gelobt! ſprach ſie zwar wehmuͤ-
thig, aber doch nicht verzweifelnd, und ſank in
die Arme ihres Gatten. Dieſer ermannte ſich wie-
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