Verzweiflung, darum flehe und bitte ich ihn, mehr vermag ich nicht, mehr kannst du nicht fordern! (Lottchen will ihm auf's neue zu Füßen fallen) Weg! Weg! Sonst wirst du auch Vatermörderin!
Lottchen wankte zur Thüre hinaus, eine vor- übergehende Magd fand sie ohnmächtig am Bo- den, sie rufte mehrere herbei, sie trugen sie in ihr Bette, weckten endlich ihre Sinne, und wach- ten die ganze Nacht an ihrem Lager. Es war eben Sonnabend, als diese schreckliche Szene sich ereignete; am andern Morgen, wie Lottchen zu beten versuchte, trat der alte Vater in ihre Kam- mer. Er war im Priesterrocke gekleidet, und trug die Bibel unter dem Arme. Lottchen, sprach er im ernsten, aber gefaßten Tone, du mußt heute in die Kirche gehen.
Lottchen. Wie vermag ich's?
Vater. (ihr gerührt die Hand rei- chend) Dein Vater fordert's, er will dich und ihn mit Gott versöhnen! Kannst du ihm den Gehorsam verweigern?
Lottchen. (ihm die Hand küssend) Ich folge! Gott gebe, daß es mein letzter Gang sei.
Vater. Versündige dich nicht auf's neue durch thörichte Wünsche, flehe zu ihm, nur er kann Kraft zur Besserung verleihen!
Der Vater gieng standhaft fort, und Lottchen
Verzweiflung, darum flehe und bitte ich ihn, mehr vermag ich nicht, mehr kannſt du nicht fordern! (Lottchen will ihm auf's neue zu Fuͤßen fallen) Weg! Weg! Sonſt wirſt du auch Vatermoͤrderin!
Lottchen wankte zur Thuͤre hinaus, eine vor- uͤbergehende Magd fand ſie ohnmaͤchtig am Bo- den, ſie rufte mehrere herbei, ſie trugen ſie in ihr Bette, weckten endlich ihre Sinne, und wach- ten die ganze Nacht an ihrem Lager. Es war eben Sonnabend, als dieſe ſchreckliche Szene ſich ereignete; am andern Morgen, wie Lottchen zu beten verſuchte, trat der alte Vater in ihre Kam- mer. Er war im Prieſterrocke gekleidet, und trug die Bibel unter dem Arme. Lottchen, ſprach er im ernſten, aber gefaßten Tone, du mußt heute in die Kirche gehen.
Lottchen. Wie vermag ich's?
Vater. (ihr geruͤhrt die Hand rei- chend) Dein Vater fordert's, er will dich und ihn mit Gott verſoͤhnen! Kannſt du ihm den Gehorſam verweigern?
Lottchen. (ihm die Hand kuͤſſend) Ich folge! Gott gebe, daß es mein letzter Gang ſei.
Vater. Verſuͤndige dich nicht auf's neue durch thoͤrichte Wuͤnſche, flehe zu ihm, nur er kann Kraft zur Beſſerung verleihen!
Der Vater gieng ſtandhaft fort, und Lottchen
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Verzweiflung, darum flehe und bitte ich ihn,
mehr vermag ich nicht, mehr kannſt du nicht
fordern! (Lottchen will ihm auf's neue
zu Fuͤßen fallen) Weg! Weg! Sonſt wirſt
du auch Vatermoͤrderin!
Lottchen wankte zur Thuͤre hinaus, eine vor-
uͤbergehende Magd fand ſie ohnmaͤchtig am Bo-
den, ſie rufte mehrere herbei, ſie trugen ſie in
ihr Bette, weckten endlich ihre Sinne, und wach-
ten die ganze Nacht an ihrem Lager. Es war
eben Sonnabend, als dieſe ſchreckliche Szene ſich
ereignete; am andern Morgen, wie Lottchen zu
beten verſuchte, trat der alte Vater in ihre Kam-
mer. Er war im Prieſterrocke gekleidet, und trug
die Bibel unter dem Arme. Lottchen, ſprach er
im ernſten, aber gefaßten Tone, du mußt heute
in die Kirche gehen.
Lottchen. Wie vermag ich's?
Vater. (ihr geruͤhrt die Hand rei-
chend) Dein Vater fordert's, er will dich und
ihn mit Gott verſoͤhnen! Kannſt du ihm den
Gehorſam verweigern?
Lottchen. (ihm die Hand kuͤſſend)
Ich folge! Gott gebe, daß es mein letzter Gang
ſei.
Vater. Verſuͤndige dich nicht auf's neue
durch thoͤrichte Wuͤnſche, flehe zu ihm, nur er
kann Kraft zur Beſſerung verleihen!
Der Vater gieng ſtandhaft fort, und Lottchen
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/86>, abgerufen am 16.02.2025.
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