und am Ende desselben erblickte ich hie und da die Ruinen einer breiten Garnirung, welche von eben so feinem Mousselin ausgenäht war. Sie hatte ein kleines Leibchen von eben diesem Zeuge an, das vorne mit einer alten seidnen Schleife gebun- den war, über diesem Leibchen trug sie eine Art von Korsette, das einst aus Taffet bestand, nun aber mit wollnen und leinenen Flecken von aller- hand Farben beinahe überzogen war. An ihren Füssen erblickte ich zerrissne, seidne Strümpfe und alte Pantoffeln von seidnem Zeuge. Ihre schon ziemlich grauen Haare waren mit einem feinen, aber sehr zerrißnen Strohhute bedeckt, an welchem noch hie und da ein Stückchen Band oder Flor zu sehen war. Der etwas fremde und beinahe schwä- bische Dialekt ihrer Sprache fiel mir gleich An- fangs auf, jetzt wirkte ihre Kleidung noch stärker auf meine Neugierde, sie schien mir ein deutlicher Beweiß zu seyn, daß die arme Alte einst bessere Tage genossen hatte. Gerne hätte ich dies alles näher erfahren, da aber Neugierde einen Unglück- lichen immer beleidigt, und dieser am meisten Schonung verdient, so würde ich sie ganz unter- drückt haben, wenn mir die treuherzige Alte nicht selbst den Faden zum Gespräche überreicht hätte. Ach Gott, sprach sie eben seufzend, wo sind die Zeiten?
Ich. Welche Zeiten?
Die Alte. Wo ich in schönen Kutschen mit
und am Ende deſſelben erblickte ich hie und da die Ruinen einer breiten Garnirung, welche von eben ſo feinem Mouſſelin ausgenaͤht war. Sie hatte ein kleines Leibchen von eben dieſem Zeuge an, das vorne mit einer alten ſeidnen Schleife gebun- den war, uͤber dieſem Leibchen trug ſie eine Art von Korſette, das einſt aus Taffet beſtand, nun aber mit wollnen und leinenen Flecken von aller- hand Farben beinahe uͤberzogen war. An ihren Fuͤſſen erblickte ich zerriſſne, ſeidne Struͤmpfe und alte Pantoffeln von ſeidnem Zeuge. Ihre ſchon ziemlich grauen Haare waren mit einem feinen, aber ſehr zerrißnen Strohhute bedeckt, an welchem noch hie und da ein Stuͤckchen Band oder Flor zu ſehen war. Der etwas fremde und beinahe ſchwaͤ- biſche Dialekt ihrer Sprache fiel mir gleich An- fangs auf, jetzt wirkte ihre Kleidung noch ſtaͤrker auf meine Neugierde, ſie ſchien mir ein deutlicher Beweiß zu ſeyn, daß die arme Alte einſt beſſere Tage genoſſen hatte. Gerne haͤtte ich dies alles naͤher erfahren, da aber Neugierde einen Ungluͤck- lichen immer beleidigt, und dieſer am meiſten Schonung verdient, ſo wuͤrde ich ſie ganz unter- druͤckt haben, wenn mir die treuherzige Alte nicht ſelbſt den Faden zum Geſpraͤche uͤberreicht haͤtte. Ach Gott, ſprach ſie eben ſeufzend, wo ſind die Zeiten?
Ich. Welche Zeiten?
Die Alte. Wo ich in ſchoͤnen Kutſchen mit
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0171"n="157"/>
und am Ende deſſelben erblickte ich hie und da die<lb/>
Ruinen einer breiten Garnirung, welche von eben<lb/>ſo feinem Mouſſelin ausgenaͤht war. Sie hatte<lb/>
ein kleines Leibchen von eben dieſem Zeuge an,<lb/>
das vorne mit einer alten ſeidnen Schleife gebun-<lb/>
den war, uͤber dieſem Leibchen trug ſie eine Art<lb/>
von Korſette, das einſt aus Taffet beſtand, nun<lb/>
aber mit wollnen und leinenen Flecken von aller-<lb/>
hand Farben beinahe uͤberzogen war. An ihren<lb/>
Fuͤſſen erblickte ich zerriſſne, ſeidne Struͤmpfe und<lb/>
alte Pantoffeln von ſeidnem Zeuge. Ihre ſchon<lb/>
ziemlich grauen Haare waren mit einem feinen,<lb/>
aber ſehr zerrißnen Strohhute bedeckt, an welchem<lb/>
noch hie und da ein Stuͤckchen Band oder Flor zu<lb/>ſehen war. Der etwas fremde und beinahe ſchwaͤ-<lb/>
biſche Dialekt ihrer Sprache fiel mir gleich An-<lb/>
fangs auf, jetzt wirkte ihre Kleidung noch ſtaͤrker<lb/>
auf meine Neugierde, ſie ſchien mir ein deutlicher<lb/>
Beweiß zu ſeyn, daß die arme Alte einſt beſſere<lb/>
Tage genoſſen hatte. Gerne haͤtte ich dies alles<lb/>
naͤher erfahren, da aber Neugierde einen Ungluͤck-<lb/>
lichen immer beleidigt, und dieſer am meiſten<lb/>
Schonung verdient, ſo wuͤrde ich ſie ganz unter-<lb/>
druͤckt haben, wenn mir die treuherzige Alte nicht<lb/>ſelbſt den Faden zum Geſpraͤche uͤberreicht haͤtte.<lb/>
Ach Gott, ſprach ſie eben ſeufzend, wo ſind die<lb/>
Zeiten?</p><lb/><p><hirendition="#g">Ich</hi>. Welche Zeiten?</p><lb/><p><hirendition="#g">Die Alte</hi>. Wo ich in ſchoͤnen Kutſchen mit<lb/></p></div></body></text></TEI>
[157/0171]
und am Ende deſſelben erblickte ich hie und da die
Ruinen einer breiten Garnirung, welche von eben
ſo feinem Mouſſelin ausgenaͤht war. Sie hatte
ein kleines Leibchen von eben dieſem Zeuge an,
das vorne mit einer alten ſeidnen Schleife gebun-
den war, uͤber dieſem Leibchen trug ſie eine Art
von Korſette, das einſt aus Taffet beſtand, nun
aber mit wollnen und leinenen Flecken von aller-
hand Farben beinahe uͤberzogen war. An ihren
Fuͤſſen erblickte ich zerriſſne, ſeidne Struͤmpfe und
alte Pantoffeln von ſeidnem Zeuge. Ihre ſchon
ziemlich grauen Haare waren mit einem feinen,
aber ſehr zerrißnen Strohhute bedeckt, an welchem
noch hie und da ein Stuͤckchen Band oder Flor zu
ſehen war. Der etwas fremde und beinahe ſchwaͤ-
biſche Dialekt ihrer Sprache fiel mir gleich An-
fangs auf, jetzt wirkte ihre Kleidung noch ſtaͤrker
auf meine Neugierde, ſie ſchien mir ein deutlicher
Beweiß zu ſeyn, daß die arme Alte einſt beſſere
Tage genoſſen hatte. Gerne haͤtte ich dies alles
naͤher erfahren, da aber Neugierde einen Ungluͤck-
lichen immer beleidigt, und dieſer am meiſten
Schonung verdient, ſo wuͤrde ich ſie ganz unter-
druͤckt haben, wenn mir die treuherzige Alte nicht
ſelbſt den Faden zum Geſpraͤche uͤberreicht haͤtte.
Ach Gott, ſprach ſie eben ſeufzend, wo ſind die
Zeiten?
Ich. Welche Zeiten?
Die Alte. Wo ich in ſchoͤnen Kutſchen mit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/171>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.