Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Friedrich. (noch mehr lachend) Nein,
ich bin's nicht.

M. Freund. (zum Sohn) Glaubt er
dies wirklich?

Der Sohn. Gewiß, denn er kennt uns sel-
ten, nennt uns aber stets die Söhne des Staf-
fiers. Früh morgens, wenn er erwacht, oder
wenn er, welches aber selten geschieht, anhaltend
nießt, so erkennt er uns gemeiniglich, erinnert sich
auch oft mit vieler Genauigkeit vergangner Din-
ge; aber ehe eine halbe Stunde vergeht, ist er
wieder der Alte, und fühlt sich in seinem Wahn-
sinne glücklich.

Indeß der alte Vater sich einen kleinen Teich
baute, und in seinen Händen Wasser herbei trug,
sprach mein Freund noch lange mit seinen Söh-
nen. Sie glaubten, daß die allzu große Freude
über die schnelle und so glückliche Errettung der
Grundstoff seines Wahnsinnes war. Vielleicht,
meinten sie, hätte eine Aderlaß, welche man im
großen Jubel vergaß, das heftige Wallen seines
Blutes gemindert, welches wahrscheinlich zu stark
in die kleinsten Blutgefäße drang, sie übermäßig
ausdehnte und füllte, daher auch gänzliche Ver-
gessenheit und ausserordentliche Schwäche der Ge-
dächtnißkraft verursachte. Der einzige Trost, wel-
cher den armen Kindern blieb, war die Ueberzeu-
gung, daß ihr Vater in diesem Zustande glücklich
und zufrieden lebe. Ein neues Spielwerk, wel-

Friedrich. (noch mehr lachend) Nein,
ich bin's nicht.

M. Freund. (zum Sohn) Glaubt er
dies wirklich?

Der Sohn. Gewiß, denn er kennt uns ſel-
ten, nennt uns aber ſtets die Soͤhne des Staf-
fiers. Fruͤh morgens, wenn er erwacht, oder
wenn er, welches aber ſelten geſchieht, anhaltend
nießt, ſo erkennt er uns gemeiniglich, erinnert ſich
auch oft mit vieler Genauigkeit vergangner Din-
ge; aber ehe eine halbe Stunde vergeht, iſt er
wieder der Alte, und fuͤhlt ſich in ſeinem Wahn-
ſinne gluͤcklich.

Indeß der alte Vater ſich einen kleinen Teich
baute, und in ſeinen Haͤnden Waſſer herbei trug,
ſprach mein Freund noch lange mit ſeinen Soͤh-
nen. Sie glaubten, daß die allzu große Freude
uͤber die ſchnelle und ſo gluͤckliche Errettung der
Grundſtoff ſeines Wahnſinnes war. Vielleicht,
meinten ſie, haͤtte eine Aderlaß, welche man im
großen Jubel vergaß, das heftige Wallen ſeines
Blutes gemindert, welches wahrſcheinlich zu ſtark
in die kleinſten Blutgefaͤße drang, ſie uͤbermaͤßig
ausdehnte und fuͤllte, daher auch gaͤnzliche Ver-
geſſenheit und auſſerordentliche Schwaͤche der Ge-
daͤchtnißkraft verurſachte. Der einzige Troſt, wel-
cher den armen Kindern blieb, war die Ueberzeu-
gung, daß ihr Vater in dieſem Zuſtande gluͤcklich
und zufrieden lebe. Ein neues Spielwerk, wel-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0167" n="153"/>
        <p><hi rendition="#g">Friedrich. (noch mehr lachend)</hi> Nein,<lb/>
ich bin's                     nicht.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">M. Freund. (zum Sohn)</hi> Glaubt er<lb/>
dies wirklich?</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Der Sohn</hi>. Gewiß, denn er kennt uns &#x017F;el-<lb/>
ten, nennt                     uns aber &#x017F;tets die So&#x0364;hne des Staf-<lb/>
fiers. Fru&#x0364;h morgens, wenn er erwacht,                     oder<lb/>
wenn er, welches aber &#x017F;elten ge&#x017F;chieht, anhaltend<lb/>
nießt, &#x017F;o erkennt                     er uns gemeiniglich, erinnert &#x017F;ich<lb/>
auch oft mit vieler Genauigkeit                     vergangner Din-<lb/>
ge; aber ehe eine halbe Stunde vergeht, i&#x017F;t er<lb/>
wieder                     der Alte, und fu&#x0364;hlt &#x017F;ich in &#x017F;einem Wahn-<lb/>
&#x017F;inne glu&#x0364;cklich.</p><lb/>
        <p>Indeß der alte Vater &#x017F;ich einen kleinen Teich<lb/>
baute, und in &#x017F;einen Ha&#x0364;nden                     Wa&#x017F;&#x017F;er herbei trug,<lb/>
&#x017F;prach mein Freund noch lange mit &#x017F;einen So&#x0364;h-<lb/>
nen.                     Sie glaubten, daß die allzu große Freude<lb/>
u&#x0364;ber die &#x017F;chnelle und &#x017F;o                     glu&#x0364;ckliche Errettung der<lb/>
Grund&#x017F;toff &#x017F;eines Wahn&#x017F;innes war.                     Vielleicht,<lb/>
meinten &#x017F;ie, ha&#x0364;tte eine Aderlaß, welche man im<lb/>
großen Jubel                     vergaß, das heftige Wallen &#x017F;eines<lb/>
Blutes gemindert, welches wahr&#x017F;cheinlich                     zu &#x017F;tark<lb/>
in die klein&#x017F;ten Blutgefa&#x0364;ße drang, &#x017F;ie u&#x0364;berma&#x0364;ßig<lb/>
ausdehnte                     und fu&#x0364;llte, daher auch ga&#x0364;nzliche Ver-<lb/>
ge&#x017F;&#x017F;enheit und au&#x017F;&#x017F;erordentliche                     Schwa&#x0364;che der Ge-<lb/>
da&#x0364;chtnißkraft verur&#x017F;achte. Der einzige Tro&#x017F;t,                     wel-<lb/>
cher den armen Kindern blieb, war die Ueberzeu-<lb/>
gung, daß ihr Vater                     in die&#x017F;em Zu&#x017F;tande glu&#x0364;cklich<lb/>
und zufrieden lebe. Ein neues Spielwerk,                         wel-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[153/0167] Friedrich. (noch mehr lachend) Nein, ich bin's nicht. M. Freund. (zum Sohn) Glaubt er dies wirklich? Der Sohn. Gewiß, denn er kennt uns ſel- ten, nennt uns aber ſtets die Soͤhne des Staf- fiers. Fruͤh morgens, wenn er erwacht, oder wenn er, welches aber ſelten geſchieht, anhaltend nießt, ſo erkennt er uns gemeiniglich, erinnert ſich auch oft mit vieler Genauigkeit vergangner Din- ge; aber ehe eine halbe Stunde vergeht, iſt er wieder der Alte, und fuͤhlt ſich in ſeinem Wahn- ſinne gluͤcklich. Indeß der alte Vater ſich einen kleinen Teich baute, und in ſeinen Haͤnden Waſſer herbei trug, ſprach mein Freund noch lange mit ſeinen Soͤh- nen. Sie glaubten, daß die allzu große Freude uͤber die ſchnelle und ſo gluͤckliche Errettung der Grundſtoff ſeines Wahnſinnes war. Vielleicht, meinten ſie, haͤtte eine Aderlaß, welche man im großen Jubel vergaß, das heftige Wallen ſeines Blutes gemindert, welches wahrſcheinlich zu ſtark in die kleinſten Blutgefaͤße drang, ſie uͤbermaͤßig ausdehnte und fuͤllte, daher auch gaͤnzliche Ver- geſſenheit und auſſerordentliche Schwaͤche der Ge- daͤchtnißkraft verurſachte. Der einzige Troſt, wel- cher den armen Kindern blieb, war die Ueberzeu- gung, daß ihr Vater in dieſem Zuſtande gluͤcklich und zufrieden lebe. Ein neues Spielwerk, wel-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/167
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/167>, abgerufen am 19.04.2024.