Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

sagte er mit schneidendem Hohne. "Ich heiße Os¬
wald Stein; Herr von Cloten ist, so viel ich weiß,
drinnen im Saale;" und er suchte seine Hand aus
der des Mädchens loszumachen.

"Habe ich das verdient? sagte diese mit von Thrä¬
nen fast erstickter Stimme, und sie ließ die Arme
wie in Verzweiflung sinken.

"Die Nacht ist kühl," sagte Oswald, der sich er¬
hoben hatte; "der Thau beginnt zu fallen; Sie werden
sich in dem leichten Anzug erkälten. Darf ich die
Ehre haben. Sie in den Saal zurückzubegleiten?"

"O mein Gott, mein Gott!" murmelte Emilie,
"das ertrage ich nicht! Oswald, stoße mich nicht so
von Dir! wie hab' ich mich nach diesem Augenblicke
gesehnt! wie habe ich mir tausend- und tausendmal
wiederholt, was ich Dir Alles sagen wollte! wie habe
ich gehofft, daß Du mich wieder in die Arme nehmen
würdest, -- o, mein Himmel, was rede ich? Oswald,
habe Mitleid mit mir! Du kannst meinen Uebermuth
von heute Abend nicht so grausam strafen wollen.
Ich wollte Dich ein wenig necken; ich dachte jeden
Augenblick, Du würdest zu mir treten, und dann wollte
ich Dir Alles sagen. Aber Du kamst und kamst nicht;
und ich mußte die Komödie weiter spielen, so schwer
es mir wurde."

ſagte er mit ſchneidendem Hohne. „Ich heiße Os¬
wald Stein; Herr von Cloten iſt, ſo viel ich weiß,
drinnen im Saale;“ und er ſuchte ſeine Hand aus
der des Mädchens loszumachen.

„Habe ich das verdient? ſagte dieſe mit von Thrä¬
nen faſt erſtickter Stimme, und ſie ließ die Arme
wie in Verzweiflung ſinken.

„Die Nacht iſt kühl,“ ſagte Oswald, der ſich er¬
hoben hatte; „der Thau beginnt zu fallen; Sie werden
ſich in dem leichten Anzug erkälten. Darf ich die
Ehre haben. Sie in den Saal zurückzubegleiten?“

„O mein Gott, mein Gott!“ murmelte Emilie,
„das ertrage ich nicht! Oswald, ſtoße mich nicht ſo
von Dir! wie hab' ich mich nach dieſem Augenblicke
geſehnt! wie habe ich mir tauſend- und tauſendmal
wiederholt, was ich Dir Alles ſagen wollte! wie habe
ich gehofft, daß Du mich wieder in die Arme nehmen
würdeſt, — o, mein Himmel, was rede ich? Oswald,
habe Mitleid mit mir! Du kannſt meinen Uebermuth
von heute Abend nicht ſo grauſam ſtrafen wollen.
Ich wollte Dich ein wenig necken; ich dachte jeden
Augenblick, Du würdeſt zu mir treten, und dann wollte
ich Dir Alles ſagen. Aber Du kamſt und kamſt nicht;
und ich mußte die Komödie weiter ſpielen, ſo ſchwer
es mir wurde.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0078" n="68"/>
&#x017F;agte er mit &#x017F;chneidendem Hohne. &#x201E;Ich heiße Os¬<lb/>
wald Stein; Herr von Cloten i&#x017F;t, &#x017F;o viel ich weiß,<lb/>
drinnen im Saale;&#x201C; und er &#x017F;uchte &#x017F;eine Hand aus<lb/>
der des Mädchens loszumachen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Habe ich das verdient? &#x017F;agte die&#x017F;e mit von Thrä¬<lb/>
nen fa&#x017F;t er&#x017F;tickter Stimme, und &#x017F;ie ließ die Arme<lb/>
wie in Verzweiflung &#x017F;inken.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Die Nacht i&#x017F;t kühl,&#x201C; &#x017F;agte Oswald, der &#x017F;ich er¬<lb/>
hoben hatte; &#x201E;der Thau beginnt zu fallen; Sie werden<lb/>
&#x017F;ich in dem leichten Anzug erkälten. Darf ich die<lb/>
Ehre haben. Sie in den Saal zurückzubegleiten?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;O mein Gott, mein Gott!&#x201C; murmelte Emilie,<lb/>
&#x201E;das ertrage ich nicht! Oswald, &#x017F;toße mich nicht &#x017F;o<lb/>
von Dir! wie hab' ich mich nach die&#x017F;em Augenblicke<lb/>
ge&#x017F;ehnt! wie habe ich mir tau&#x017F;end- und tau&#x017F;endmal<lb/>
wiederholt, was ich Dir Alles &#x017F;agen wollte! wie habe<lb/>
ich gehofft, daß Du mich wieder in die Arme nehmen<lb/>
würde&#x017F;t, &#x2014; o, mein Himmel, was rede ich? Oswald,<lb/>
habe Mitleid mit mir! Du kann&#x017F;t meinen Uebermuth<lb/>
von heute Abend nicht &#x017F;o grau&#x017F;am &#x017F;trafen wollen.<lb/>
Ich wollte Dich ein wenig necken; ich dachte jeden<lb/>
Augenblick, Du würde&#x017F;t zu mir treten, und dann wollte<lb/>
ich Dir Alles &#x017F;agen. Aber Du kam&#x017F;t und kam&#x017F;t nicht;<lb/>
und ich mußte die Komödie weiter &#x017F;pielen, &#x017F;o &#x017F;chwer<lb/>
es mir wurde.&#x201C;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[68/0078] ſagte er mit ſchneidendem Hohne. „Ich heiße Os¬ wald Stein; Herr von Cloten iſt, ſo viel ich weiß, drinnen im Saale;“ und er ſuchte ſeine Hand aus der des Mädchens loszumachen. „Habe ich das verdient? ſagte dieſe mit von Thrä¬ nen faſt erſtickter Stimme, und ſie ließ die Arme wie in Verzweiflung ſinken. „Die Nacht iſt kühl,“ ſagte Oswald, der ſich er¬ hoben hatte; „der Thau beginnt zu fallen; Sie werden ſich in dem leichten Anzug erkälten. Darf ich die Ehre haben. Sie in den Saal zurückzubegleiten?“ „O mein Gott, mein Gott!“ murmelte Emilie, „das ertrage ich nicht! Oswald, ſtoße mich nicht ſo von Dir! wie hab' ich mich nach dieſem Augenblicke geſehnt! wie habe ich mir tauſend- und tauſendmal wiederholt, was ich Dir Alles ſagen wollte! wie habe ich gehofft, daß Du mich wieder in die Arme nehmen würdeſt, — o, mein Himmel, was rede ich? Oswald, habe Mitleid mit mir! Du kannſt meinen Uebermuth von heute Abend nicht ſo grauſam ſtrafen wollen. Ich wollte Dich ein wenig necken; ich dachte jeden Augenblick, Du würdeſt zu mir treten, und dann wollte ich Dir Alles ſagen. Aber Du kamſt und kamſt nicht; und ich mußte die Komödie weiter ſpielen, ſo ſchwer es mir wurde.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/78
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/78>, abgerufen am 02.05.2024.