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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861.

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Und sie hatte noch Mitleid und Trost für ihn, sie,
die selbst des Mitleids und des Trostes -- nein, thä¬
tiger Hülfe -- so sehr bedurfte! Die Schwachen,
die Hülflosen zu schützen ist das Recht und die Pflicht
des Mannes -- es hätte wol wenig kühne Abenteuer
gegeben, in welche sich Oswald in diesem Augenblicke
nicht ohne Zögern für die schöne Verfolgte gestürzt
hätte. Er dachte nicht daran, daß des Ritters erste
Pflicht die Treue gegen die Dame seines Herzens ist,
und daß für eine Andere eine Lanze brechen, während
er in Gefahr schwebt, jene zu verlieren, weder von
Weisheit noch von Edelmuth zeugt.

Da gellte von dem Strande, auf dem die Uebrigen
jetzt angekommen waren, ein Schrei empor -- und
wie Helene, die sich von Schwindel ganz frei wußte,
noch einen Schritt näher an den Rand trat und sich
über den Abhang beugte, ein zweiter, noch geller,
noch schriller, noch angstvoller.

"Um Himmelswillen," rief Helene; "was kann
denn da geschehen sein? Mir däucht, es war Bruno's
Stimme. Lassen Sie uns so schnell wie möglich hin¬
abeilen!"

Der Weg zum Strande, der sich im Zickzack an
dem Kreidefelsen hinwand, war trotz seiner Steilheit
im Nu von den jungen Leuten zurückgelegt. Als sie

Und ſie hatte noch Mitleid und Troſt für ihn, ſie,
die ſelbſt des Mitleids und des Troſtes — nein, thä¬
tiger Hülfe — ſo ſehr bedurfte! Die Schwachen,
die Hülfloſen zu ſchützen iſt das Recht und die Pflicht
des Mannes — es hätte wol wenig kühne Abenteuer
gegeben, in welche ſich Oswald in dieſem Augenblicke
nicht ohne Zögern für die ſchöne Verfolgte geſtürzt
hätte. Er dachte nicht daran, daß des Ritters erſte
Pflicht die Treue gegen die Dame ſeines Herzens iſt,
und daß für eine Andere eine Lanze brechen, während
er in Gefahr ſchwebt, jene zu verlieren, weder von
Weisheit noch von Edelmuth zeugt.

Da gellte von dem Strande, auf dem die Uebrigen
jetzt angekommen waren, ein Schrei empor — und
wie Helene, die ſich von Schwindel ganz frei wußte,
noch einen Schritt näher an den Rand trat und ſich
über den Abhang beugte, ein zweiter, noch geller,
noch ſchriller, noch angſtvoller.

„Um Himmelswillen,“ rief Helene; „was kann
denn da geſchehen ſein? Mir däucht, es war Bruno's
Stimme. Laſſen Sie uns ſo ſchnell wie möglich hin¬
abeilen!“

Der Weg zum Strande, der ſich im Zickzack an
dem Kreidefelſen hinwand, war trotz ſeiner Steilheit
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[29/0039] Und ſie hatte noch Mitleid und Troſt für ihn, ſie, die ſelbſt des Mitleids und des Troſtes — nein, thä¬ tiger Hülfe — ſo ſehr bedurfte! Die Schwachen, die Hülfloſen zu ſchützen iſt das Recht und die Pflicht des Mannes — es hätte wol wenig kühne Abenteuer gegeben, in welche ſich Oswald in dieſem Augenblicke nicht ohne Zögern für die ſchöne Verfolgte geſtürzt hätte. Er dachte nicht daran, daß des Ritters erſte Pflicht die Treue gegen die Dame ſeines Herzens iſt, und daß für eine Andere eine Lanze brechen, während er in Gefahr ſchwebt, jene zu verlieren, weder von Weisheit noch von Edelmuth zeugt. Da gellte von dem Strande, auf dem die Uebrigen jetzt angekommen waren, ein Schrei empor — und wie Helene, die ſich von Schwindel ganz frei wußte, noch einen Schritt näher an den Rand trat und ſich über den Abhang beugte, ein zweiter, noch geller, noch ſchriller, noch angſtvoller. „Um Himmelswillen,“ rief Helene; „was kann denn da geſchehen ſein? Mir däucht, es war Bruno's Stimme. Laſſen Sie uns ſo ſchnell wie möglich hin¬ abeilen!“ Der Weg zum Strande, der ſich im Zickzack an dem Kreidefelſen hinwand, war trotz ſeiner Steilheit im Nu von den jungen Leuten zurückgelegt. Als ſie

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/39>, abgerufen am 29.11.2024.