"Bekämpfe Deine Liebe zu Oswald! Ich kann Dir nicht rathen, den Pfeil mit einem Ruck aus der Wunde zu ziehen, denn ich fürchte, Dein Leben würde mit Deinem Blute entströmen; aber sträube Dich auch nicht gegen die Wirkungen der Zeit, die fast so allmächtig ist, wie das ewige Schicksal. Du wirst nach einigen Wochen, einigen Monaten, gleichviel! aber Du wirst in Kurzem ruhiger über dies Alles denken; willst Du mir, Deinem Bruder, ver¬ sprechen, diese ruhigeren und weiseren Gedanken nicht wie eine Versündigung an Deiner Liebe von Dir zu weisen?"
"Ja."
"Denn, Melitta, er ist Dir doch verloren, auch wenn er diese seine neueste Leidenschaft überwinden sollte. Er wird sich auf seiner tollen Jagd nach dem Ideal, das er nie auf Erden außer sich finden kann, weil es nur in seinem Gehirn lebt, in eine andere und wieder in eine andere Liebe stürzen; immer wähnen: dies ist, wonach Du bis jetzt ver¬ geblich gesucht, und immer wieder das Trügerische dieser Illusion erkennen, bis er zuletzt in der Ver¬ zweiflung über sein Schlemihlthum irgend einen Schritt thut, der ihn aller weiteren Sorgen um die
„Bekämpfe Deine Liebe zu Oswald! Ich kann Dir nicht rathen, den Pfeil mit einem Ruck aus der Wunde zu ziehen, denn ich fürchte, Dein Leben würde mit Deinem Blute entſtrömen; aber ſträube Dich auch nicht gegen die Wirkungen der Zeit, die faſt ſo allmächtig iſt, wie das ewige Schickſal. Du wirſt nach einigen Wochen, einigen Monaten, gleichviel! aber Du wirſt in Kurzem ruhiger über dies Alles denken; willſt Du mir, Deinem Bruder, ver¬ ſprechen, dieſe ruhigeren und weiſeren Gedanken nicht wie eine Verſündigung an Deiner Liebe von Dir zu weiſen?“
„Ja.“
„Denn, Melitta, er iſt Dir doch verloren, auch wenn er dieſe ſeine neueſte Leidenſchaft überwinden ſollte. Er wird ſich auf ſeiner tollen Jagd nach dem Ideal, das er nie auf Erden außer ſich finden kann, weil es nur in ſeinem Gehirn lebt, in eine andere und wieder in eine andere Liebe ſtürzen; immer wähnen: dies iſt, wonach Du bis jetzt ver¬ geblich geſucht, und immer wieder das Trügeriſche dieſer Illuſion erkennen, bis er zuletzt in der Ver¬ zweiflung über ſein Schlemihlthum irgend einen Schritt thut, der ihn aller weiteren Sorgen um die
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„Bekämpfe Deine Liebe zu Oswald! Ich kann
Dir nicht rathen, den Pfeil mit einem Ruck aus der
Wunde zu ziehen, denn ich fürchte, Dein Leben würde
mit Deinem Blute entſtrömen; aber ſträube Dich
auch nicht gegen die Wirkungen der Zeit, die faſt ſo
allmächtig iſt, wie das ewige Schickſal. Du wirſt
nach einigen Wochen, einigen Monaten, gleichviel!
aber Du wirſt in Kurzem ruhiger über dies Alles
denken; willſt Du mir, Deinem Bruder, ver¬
ſprechen, dieſe ruhigeren und weiſeren Gedanken
nicht wie eine Verſündigung an Deiner Liebe von
Dir zu weiſen?“
„Ja.“
„Denn, Melitta, er iſt Dir doch verloren, auch
wenn er dieſe ſeine neueſte Leidenſchaft überwinden
ſollte. Er wird ſich auf ſeiner tollen Jagd nach
dem Ideal, das er nie auf Erden außer ſich finden
kann, weil es nur in ſeinem Gehirn lebt, in eine
andere und wieder in eine andere Liebe ſtürzen;
immer wähnen: dies iſt, wonach Du bis jetzt ver¬
geblich geſucht, und immer wieder das Trügeriſche
dieſer Illuſion erkennen, bis er zuletzt in der Ver¬
zweiflung über ſein Schlemihlthum irgend einen
Schritt thut, der ihn aller weiteren Sorgen um die
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/300>, abgerufen am 22.12.2024.
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