Helenen's, dürfe sich schon eher eine solche Indiscre¬ tion erlauben, ihm, dem Fremden verbiete die Schick¬ lichkeit jede Anspielung auf so delicate Verhältnisse.
"Aber," rief Bruno; "ich denke, Du bist ihr Freund; ich denke, Du hast sie lieb! Wie kannst Du Dich denn durch solche Bedenken, ob dies oder das auch nach den Regeln des Complimentirbuches erlaubt sei oder nicht, abhalten lassen, wenn es sich um das Wohl oder Wehe ihres ganzen Lebens handelt. Denke, wenn man ihr durch Ueberraschung das Ja abpreßt; ich würde verrückt, ich ertrüge es nicht --"
"Und dennoch, Bruno, ich muß über diesen Punkt schweigen; ich kann darüber nicht reden -- ich nicht."
"Weshalb Du nicht?"
"Weil -- ich sagte Dir ja schon, weil ich ein Fremder bin; weil sie mir sagen könnte, sagen würde: mein Herr, was geht dies Alles Sie an? Den Brief will ich ihr geben; es ist ihr Eigenthum; sie kann verlangen, daß der Finder es ihr sobald wie möglich wieder zustellt -- und bedenke doch, Bruno, dies ein¬ zige Factum spricht ja ganze Bände. Sie wird dann wissen, wessen sie sich von jener Seite zu versehen hat, und der Angriff trifft sie auf ihrer Hut."
"So willst Du ihr den Brief geben?"
"Das will ich und zwar sofort. Ich denke, Helene
Helenen's, dürfe ſich ſchon eher eine ſolche Indiscre¬ tion erlauben, ihm, dem Fremden verbiete die Schick¬ lichkeit jede Anſpielung auf ſo delicate Verhältniſſe.
„Aber,“ rief Bruno; „ich denke, Du biſt ihr Freund; ich denke, Du haſt ſie lieb! Wie kannſt Du Dich denn durch ſolche Bedenken, ob dies oder das auch nach den Regeln des Complimentirbuches erlaubt ſei oder nicht, abhalten laſſen, wenn es ſich um das Wohl oder Wehe ihres ganzen Lebens handelt. Denke, wenn man ihr durch Ueberraſchung das Ja abpreßt; ich würde verrückt, ich ertrüge es nicht —“
„Und dennoch, Bruno, ich muß über dieſen Punkt ſchweigen; ich kann darüber nicht reden — ich nicht.“
„Weshalb Du nicht?“
„Weil — ich ſagte Dir ja ſchon, weil ich ein Fremder bin; weil ſie mir ſagen könnte, ſagen würde: mein Herr, was geht dies Alles Sie an? Den Brief will ich ihr geben; es iſt ihr Eigenthum; ſie kann verlangen, daß der Finder es ihr ſobald wie möglich wieder zuſtellt — und bedenke doch, Bruno, dies ein¬ zige Factum ſpricht ja ganze Bände. Sie wird dann wiſſen, weſſen ſie ſich von jener Seite zu verſehen hat, und der Angriff trifft ſie auf ihrer Hut.“
„So willſt Du ihr den Brief geben?“
„Das will ich und zwar ſofort. Ich denke, Helene
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Helenen's, dürfe ſich ſchon eher eine ſolche Indiscre¬
tion erlauben, ihm, dem Fremden verbiete die Schick¬
lichkeit jede Anſpielung auf ſo delicate Verhältniſſe.
„Aber,“ rief Bruno; „ich denke, Du biſt ihr
Freund; ich denke, Du haſt ſie lieb! Wie kannſt Du
Dich denn durch ſolche Bedenken, ob dies oder das
auch nach den Regeln des Complimentirbuches erlaubt
ſei oder nicht, abhalten laſſen, wenn es ſich um das
Wohl oder Wehe ihres ganzen Lebens handelt. Denke,
wenn man ihr durch Ueberraſchung das Ja abpreßt;
ich würde verrückt, ich ertrüge es nicht —“
„Und dennoch, Bruno, ich muß über dieſen Punkt
ſchweigen; ich kann darüber nicht reden — ich nicht.“
„Weshalb Du nicht?“
„Weil — ich ſagte Dir ja ſchon, weil ich ein
Fremder bin; weil ſie mir ſagen könnte, ſagen würde:
mein Herr, was geht dies Alles Sie an? Den Brief
will ich ihr geben; es iſt ihr Eigenthum; ſie kann
verlangen, daß der Finder es ihr ſobald wie möglich
wieder zuſtellt — und bedenke doch, Bruno, dies ein¬
zige Factum ſpricht ja ganze Bände. Sie wird dann
wiſſen, weſſen ſie ſich von jener Seite zu verſehen
hat, und der Angriff trifft ſie auf ihrer Hut.“
„So willſt Du ihr den Brief geben?“
„Das will ich und zwar ſofort. Ich denke, Helene
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/199>, abgerufen am 16.02.2025.
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