Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

ein Ton von Zärtlichkeit in die Freundschaft mischte,
die ich einzig von ihm wünschte und erwartete; und
kaum hatte ich diese Bemerkung gemacht, als ich mich
schon berechtigt glaubte, ihn, so schonend wie möglich
freilich, auf die allzugroße Häufigkeit seiner Besuche
aufmerksam zu machen. Es war dies vielleicht ent¬
setzlich undankbar von mir; aber uns Frauen wird es
auch entsetzlich schwer, gegen den dankbar zu sein, den
wir nicht lieben.

"Den nächsten Tag schon war Oldenburg abgereist;
Niemand wußte wohin. Dann wollte ihn ein halbes
Jahr später Einer in London gesehen haben; ein An¬
derer sah ihn ein Jahr darauf in Paris. Er war bald
hier, bald dort, ruhelos umhergetrieben von seinem
wilden Herzen und seinem unersättlichen Wissensdurst.

So waren vier Jahre verflossen, die in meinen
Verhältnissen sehr wenig geändert hatten. Oldenburg's
gedachte ich selten und immer wie eines Verstorbenen.
Da -- es ist nun drei Jahre her -- ließ ich mich
von meinem Vetter und meiner Cousine bereden, sie
auf der Reise nach Italien zu begleiten. Als wir
eines Abends im Mondenschein das Coliseum besuchten,
stand plötzlich Oldenburg vor uns. "Endlich!" sagte
er leise, indem er mir die Hand drückte. Er wollte
uns ganz zufällig getroffen haben; hernach gestand er

ein Ton von Zärtlichkeit in die Freundſchaft miſchte,
die ich einzig von ihm wünſchte und erwartete; und
kaum hatte ich dieſe Bemerkung gemacht, als ich mich
ſchon berechtigt glaubte, ihn, ſo ſchonend wie möglich
freilich, auf die allzugroße Häufigkeit ſeiner Beſuche
aufmerkſam zu machen. Es war dies vielleicht ent¬
ſetzlich undankbar von mir; aber uns Frauen wird es
auch entſetzlich ſchwer, gegen den dankbar zu ſein, den
wir nicht lieben.

„Den nächſten Tag ſchon war Oldenburg abgereiſt;
Niemand wußte wohin. Dann wollte ihn ein halbes
Jahr ſpäter Einer in London geſehen haben; ein An¬
derer ſah ihn ein Jahr darauf in Paris. Er war bald
hier, bald dort, ruhelos umhergetrieben von ſeinem
wilden Herzen und ſeinem unerſättlichen Wiſſensdurſt.

So waren vier Jahre verfloſſen, die in meinen
Verhältniſſen ſehr wenig geändert hatten. Oldenburg's
gedachte ich ſelten und immer wie eines Verſtorbenen.
Da — es iſt nun drei Jahre her — ließ ich mich
von meinem Vetter und meiner Couſine bereden, ſie
auf der Reiſe nach Italien zu begleiten. Als wir
eines Abends im Mondenſchein das Coliſeum beſuchten,
ſtand plötzlich Oldenburg vor uns. „Endlich!“ ſagte
er leiſe, indem er mir die Hand drückte. Er wollte
uns ganz zufällig getroffen haben; hernach geſtand er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0081" n="71"/>
ein Ton von Zärtlichkeit in die Freund&#x017F;chaft mi&#x017F;chte,<lb/>
die ich einzig von ihm wün&#x017F;chte und erwartete; und<lb/>
kaum hatte ich die&#x017F;e Bemerkung gemacht, als ich mich<lb/>
&#x017F;chon berechtigt glaubte, ihn, &#x017F;o &#x017F;chonend wie möglich<lb/>
freilich, auf die allzugroße Häufigkeit &#x017F;einer Be&#x017F;uche<lb/>
aufmerk&#x017F;am zu machen. Es war dies vielleicht ent¬<lb/>
&#x017F;etzlich undankbar von mir; aber uns Frauen wird es<lb/>
auch ent&#x017F;etzlich &#x017F;chwer, gegen den dankbar zu &#x017F;ein, den<lb/>
wir nicht lieben.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Den näch&#x017F;ten Tag &#x017F;chon war Oldenburg abgerei&#x017F;t;<lb/>
Niemand wußte wohin. Dann wollte ihn ein halbes<lb/>
Jahr &#x017F;päter Einer in London ge&#x017F;ehen haben; ein An¬<lb/>
derer &#x017F;ah ihn ein Jahr darauf in Paris. Er war bald<lb/>
hier, bald dort, ruhelos umhergetrieben von &#x017F;einem<lb/>
wilden Herzen und &#x017F;einem uner&#x017F;ättlichen Wi&#x017F;&#x017F;ensdur&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>So waren vier Jahre verflo&#x017F;&#x017F;en, die in meinen<lb/>
Verhältni&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ehr wenig geändert hatten. Oldenburg's<lb/>
gedachte ich &#x017F;elten und immer wie eines Ver&#x017F;torbenen.<lb/>
Da &#x2014; es i&#x017F;t nun drei Jahre her &#x2014; ließ ich mich<lb/>
von meinem Vetter und meiner Cou&#x017F;ine bereden, &#x017F;ie<lb/>
auf der Rei&#x017F;e nach Italien zu begleiten. Als wir<lb/>
eines Abends im Monden&#x017F;chein das Coli&#x017F;eum be&#x017F;uchten,<lb/>
&#x017F;tand plötzlich Oldenburg vor uns. &#x201E;Endlich!&#x201C; &#x017F;agte<lb/>
er lei&#x017F;e, indem er mir die Hand drückte. Er wollte<lb/>
uns ganz zufällig getroffen haben; hernach ge&#x017F;tand er<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[71/0081] ein Ton von Zärtlichkeit in die Freundſchaft miſchte, die ich einzig von ihm wünſchte und erwartete; und kaum hatte ich dieſe Bemerkung gemacht, als ich mich ſchon berechtigt glaubte, ihn, ſo ſchonend wie möglich freilich, auf die allzugroße Häufigkeit ſeiner Beſuche aufmerkſam zu machen. Es war dies vielleicht ent¬ ſetzlich undankbar von mir; aber uns Frauen wird es auch entſetzlich ſchwer, gegen den dankbar zu ſein, den wir nicht lieben. „Den nächſten Tag ſchon war Oldenburg abgereiſt; Niemand wußte wohin. Dann wollte ihn ein halbes Jahr ſpäter Einer in London geſehen haben; ein An¬ derer ſah ihn ein Jahr darauf in Paris. Er war bald hier, bald dort, ruhelos umhergetrieben von ſeinem wilden Herzen und ſeinem unerſättlichen Wiſſensdurſt. So waren vier Jahre verfloſſen, die in meinen Verhältniſſen ſehr wenig geändert hatten. Oldenburg's gedachte ich ſelten und immer wie eines Verſtorbenen. Da — es iſt nun drei Jahre her — ließ ich mich von meinem Vetter und meiner Couſine bereden, ſie auf der Reiſe nach Italien zu begleiten. Als wir eines Abends im Mondenſchein das Coliſeum beſuchten, ſtand plötzlich Oldenburg vor uns. „Endlich!“ ſagte er leiſe, indem er mir die Hand drückte. Er wollte uns ganz zufällig getroffen haben; hernach geſtand er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/81
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/81>, abgerufen am 24.11.2024.