Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

auch älter -- es ist das Alter von Zigeunermädchen
schwer zu bestimmen. Sie war schlank, und geschmei¬
dig, wie ein Reh, und ihre dunklen Augen leuchteten
in einem so magisch sinnlich-übersinnlichen Feuer, daß
mich ein Schauder des Entzückens packte, als ich tief
und tiefer hineinschaute, während sie unter allerlei
wunderlichen Manipulationen mir aus der flachen
Hand mein Schicksal verkündete. Mein Schicksal war
in ihren Augen viel deutlicher zu lesen, als in meiner
Hand. Ich war entzückt, berauscht, außer mir; die
Welt war für mich versunken. -- Sie erinnern sich,
daß ich damals Zwanzig Jahre und Romantiker vom
reinsten Wasser war -- und daß ein Zigeuner sein,
sich von Mardern nähren und sich in den Augen eines
Zigeunermädchens sonnen, der Weisheit letzter Schluß
und das höchste Ziel menschlichen Strebens sei, war
für mich über allen Zweifel erhaben. Ich blieb bei
den Zigeunern -- ich weiß nicht, wie viel Tage. Meine
Freunde im Schlosse glaubten, die Wölfe hätten mich
zerrissen. -- Da eines Abends -- die Sonne war
schon hinter die Bergwand gesunken, die unsern La¬
gerplatz nach Norden schirmte -- die Bande war noch
nicht von ihrem Streifzuge zurück -- ich saß mit der
Zingarella am Fuß einer alten Eiche und war selig in
meiner jungen Liebe -- da --

auch älter — es iſt das Alter von Zigeunermädchen
ſchwer zu beſtimmen. Sie war ſchlank, und geſchmei¬
dig, wie ein Reh, und ihre dunklen Augen leuchteten
in einem ſo magiſch ſinnlich-überſinnlichen Feuer, daß
mich ein Schauder des Entzückens packte, als ich tief
und tiefer hineinſchaute, während ſie unter allerlei
wunderlichen Manipulationen mir aus der flachen
Hand mein Schickſal verkündete. Mein Schickſal war
in ihren Augen viel deutlicher zu leſen, als in meiner
Hand. Ich war entzückt, berauſcht, außer mir; die
Welt war für mich verſunken. — Sie erinnern ſich,
daß ich damals Zwanzig Jahre und Romantiker vom
reinſten Waſſer war — und daß ein Zigeuner ſein,
ſich von Mardern nähren und ſich in den Augen eines
Zigeunermädchens ſonnen, der Weisheit letzter Schluß
und das höchſte Ziel menſchlichen Strebens ſei, war
für mich über allen Zweifel erhaben. Ich blieb bei
den Zigeunern — ich weiß nicht, wie viel Tage. Meine
Freunde im Schloſſe glaubten, die Wölfe hätten mich
zerriſſen. — Da eines Abends — die Sonne war
ſchon hinter die Bergwand geſunken, die unſern La¬
gerplatz nach Norden ſchirmte — die Bande war noch
nicht von ihrem Streifzuge zurück — ich ſaß mit der
Zingarella am Fuß einer alten Eiche und war ſelig in
meiner jungen Liebe — da —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0047" n="37"/>
auch älter &#x2014; es i&#x017F;t das Alter von Zigeunermädchen<lb/>
&#x017F;chwer zu be&#x017F;timmen. Sie war &#x017F;chlank, und ge&#x017F;chmei¬<lb/>
dig, wie ein Reh, und ihre dunklen Augen leuchteten<lb/>
in einem &#x017F;o magi&#x017F;ch &#x017F;innlich-über&#x017F;innlichen Feuer, daß<lb/>
mich ein Schauder des Entzückens packte, als ich tief<lb/>
und tiefer hinein&#x017F;chaute, während &#x017F;ie unter allerlei<lb/>
wunderlichen Manipulationen mir aus der flachen<lb/>
Hand mein Schick&#x017F;al verkündete. Mein Schick&#x017F;al war<lb/>
in ihren Augen viel deutlicher zu le&#x017F;en, als in meiner<lb/>
Hand. Ich war entzückt, berau&#x017F;cht, außer mir; die<lb/>
Welt war für mich ver&#x017F;unken. &#x2014; Sie erinnern &#x017F;ich,<lb/>
daß ich damals Zwanzig Jahre und Romantiker vom<lb/>
rein&#x017F;ten Wa&#x017F;&#x017F;er war &#x2014; und daß ein Zigeuner &#x017F;ein,<lb/>
&#x017F;ich von Mardern nähren und &#x017F;ich in den Augen eines<lb/>
Zigeunermädchens &#x017F;onnen, der Weisheit letzter Schluß<lb/>
und das höch&#x017F;te Ziel men&#x017F;chlichen Strebens &#x017F;ei, war<lb/>
für mich über allen Zweifel erhaben. Ich blieb bei<lb/>
den Zigeunern &#x2014; ich weiß nicht, wie viel Tage. Meine<lb/>
Freunde im Schlo&#x017F;&#x017F;e glaubten, die Wölfe hätten mich<lb/>
zerri&#x017F;&#x017F;en. &#x2014; Da eines Abends &#x2014; die Sonne war<lb/>
&#x017F;chon hinter die Bergwand ge&#x017F;unken, die un&#x017F;ern La¬<lb/>
gerplatz nach Norden &#x017F;chirmte &#x2014; die Bande war noch<lb/>
nicht von ihrem Streifzuge zurück &#x2014; ich &#x017F;aß mit der<lb/>
Zingarella am Fuß einer alten Eiche und war &#x017F;elig in<lb/>
meiner jungen Liebe &#x2014; da &#x2014;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0047] auch älter — es iſt das Alter von Zigeunermädchen ſchwer zu beſtimmen. Sie war ſchlank, und geſchmei¬ dig, wie ein Reh, und ihre dunklen Augen leuchteten in einem ſo magiſch ſinnlich-überſinnlichen Feuer, daß mich ein Schauder des Entzückens packte, als ich tief und tiefer hineinſchaute, während ſie unter allerlei wunderlichen Manipulationen mir aus der flachen Hand mein Schickſal verkündete. Mein Schickſal war in ihren Augen viel deutlicher zu leſen, als in meiner Hand. Ich war entzückt, berauſcht, außer mir; die Welt war für mich verſunken. — Sie erinnern ſich, daß ich damals Zwanzig Jahre und Romantiker vom reinſten Waſſer war — und daß ein Zigeuner ſein, ſich von Mardern nähren und ſich in den Augen eines Zigeunermädchens ſonnen, der Weisheit letzter Schluß und das höchſte Ziel menſchlichen Strebens ſei, war für mich über allen Zweifel erhaben. Ich blieb bei den Zigeunern — ich weiß nicht, wie viel Tage. Meine Freunde im Schloſſe glaubten, die Wölfe hätten mich zerriſſen. — Da eines Abends — die Sonne war ſchon hinter die Bergwand geſunken, die unſern La¬ gerplatz nach Norden ſchirmte — die Bande war noch nicht von ihrem Streifzuge zurück — ich ſaß mit der Zingarella am Fuß einer alten Eiche und war ſelig in meiner jungen Liebe — da —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/47
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/47>, abgerufen am 28.04.2024.