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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.

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"Das ist in der That merkwürdig. Ich erinnere
mich nicht, eine so weiche, so -- ich möchte sagen --
mystische Altstimme gehört zu haben."

"Sollte die Schönheit der Sängerin nicht die
Reinheit des Urtheils in etwas trüben?"

"Nein, ich versichere Sie, daß ich ganz objectiv
urtheile; obgleich ich gern zugebe, daß eine so dämo¬
nische Schönheit mehr in das Reich der Träume, als
in die reale Welt zu gehören scheint."

Der Doctor hatte sich in Oswald's Lehnstuhl ge¬
setzt und blies den Rauch der Cigarre, die er sich
eben angezündet, in blauen Wolken durch das offene
Fenster.

"Es ist eine Schönheit," sagte er, die einen
Maler zur Verzweiflung bringen könnte, weil sie sich
gerade in ihrer duftigsten Blüthe durch Linien und
Farben gar nicht mehr ausdrücken, sondern sich nur
in Musik übersetzen läßt. Ich wollte Beethoven hätte
sie gesehen, oder Robert Schumann; und dann sollten
Sie die geisterhafte, dämonische Composition hören, zu
welcher diese Erscheinung die Beiden begeistert hätte."

"Aber, wer von uns Beiden ist denn nun der
Schwärmer?" fragte Oswald lächelnd; "Sie oder ich?"

"Sie," sagte der Doctor, denn der höchste Grad
der Extase ist tiefes Schweigen. Wer noch Worte

„Das iſt in der That merkwürdig. Ich erinnere
mich nicht, eine ſo weiche, ſo — ich möchte ſagen —
myſtiſche Altſtimme gehört zu haben.“

„Sollte die Schönheit der Sängerin nicht die
Reinheit des Urtheils in etwas trüben?“

„Nein, ich verſichere Sie, daß ich ganz objectiv
urtheile; obgleich ich gern zugebe, daß eine ſo dämo¬
niſche Schönheit mehr in das Reich der Träume, als
in die reale Welt zu gehören ſcheint.“

Der Doctor hatte ſich in Oswald's Lehnſtuhl ge¬
ſetzt und blies den Rauch der Cigarre, die er ſich
eben angezündet, in blauen Wolken durch das offene
Fenſter.

„Es iſt eine Schönheit,“ ſagte er, die einen
Maler zur Verzweiflung bringen könnte, weil ſie ſich
gerade in ihrer duftigſten Blüthe durch Linien und
Farben gar nicht mehr ausdrücken, ſondern ſich nur
in Muſik überſetzen läßt. Ich wollte Beethoven hätte
ſie geſehen, oder Robert Schumann; und dann ſollten
Sie die geiſterhafte, dämoniſche Compoſition hören, zu
welcher dieſe Erſcheinung die Beiden begeiſtert hätte.“

„Aber, wer von uns Beiden iſt denn nun der
Schwärmer?“ fragte Oswald lächelnd; „Sie oder ich?“

„Sie,“ ſagte der Doctor, denn der höchſte Grad
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[164/0174] „Das iſt in der That merkwürdig. Ich erinnere mich nicht, eine ſo weiche, ſo — ich möchte ſagen — myſtiſche Altſtimme gehört zu haben.“ „Sollte die Schönheit der Sängerin nicht die Reinheit des Urtheils in etwas trüben?“ „Nein, ich verſichere Sie, daß ich ganz objectiv urtheile; obgleich ich gern zugebe, daß eine ſo dämo¬ niſche Schönheit mehr in das Reich der Träume, als in die reale Welt zu gehören ſcheint.“ Der Doctor hatte ſich in Oswald's Lehnſtuhl ge¬ ſetzt und blies den Rauch der Cigarre, die er ſich eben angezündet, in blauen Wolken durch das offene Fenſter. „Es iſt eine Schönheit,“ ſagte er, die einen Maler zur Verzweiflung bringen könnte, weil ſie ſich gerade in ihrer duftigſten Blüthe durch Linien und Farben gar nicht mehr ausdrücken, ſondern ſich nur in Muſik überſetzen läßt. Ich wollte Beethoven hätte ſie geſehen, oder Robert Schumann; und dann ſollten Sie die geiſterhafte, dämoniſche Compoſition hören, zu welcher dieſe Erſcheinung die Beiden begeiſtert hätte.“ „Aber, wer von uns Beiden iſt denn nun der Schwärmer?“ fragte Oswald lächelnd; „Sie oder ich?“ „Sie,“ ſagte der Doctor, denn der höchſte Grad der Extaſe iſt tiefes Schweigen. Wer noch Worte

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/174>, abgerufen am 27.04.2024.