Gegen Abend kamen sie wieder, triefend von Regen und dem Moorwasser, in welchem sie stundenlang um¬ hergewatet hatten. Die Männer waren so müde, daß sie im Gehen schliefen, aber Harald's Kraft war noch nicht gebrochen. Er hieß mich ein paar Flaschen Wein holen, und während er sie hinuntergoß, sagte er zu mir: "Höre, Alte! ich glaube nicht, daß sie sich ertränkt hat. Es wäre zu gräßlich; ich müßte ver¬ rückt werden über dem Gedanken. So grausam hat sie sich nicht an mir rächen können; dazu war sie viel zu gut und hatte mich viel zu lieb. Hat sie nie ge¬ sagt, sie wolle mich verlassen? hat sie nie von einem Manne gesprochen, der alle Zeit bereit sei, sie bei sich aufzunehmen?"
Ich dachte, daß ich Harald einen Funken Hoff¬ nung lassen müsse, und sagte: ja, Marie, hätte öfter und besonders in der letzten Zeit so geredet.
"Siehst Du?" sagte er und stieß das Glas, aus dem er getrunken hatte, auf den Tisch, daß es zer¬ brach; "jetzt kommt die Meute endlich auf die Spur. Nun wollen wir eine richtige Hetzjagd machen."
Er riß an der Klingel, daß ihm der Griff in der Hand blieb. "Anspannen lassen!" schrie er dem alten Jochen, der eintrat, entgegen, "sofort!"
Ich bat ihn, ein paar Stunden wenigstens zu
Gegen Abend kamen ſie wieder, triefend von Regen und dem Moorwaſſer, in welchem ſie ſtundenlang um¬ hergewatet hatten. Die Männer waren ſo müde, daß ſie im Gehen ſchliefen, aber Harald's Kraft war noch nicht gebrochen. Er hieß mich ein paar Flaſchen Wein holen, und während er ſie hinuntergoß, ſagte er zu mir: „Höre, Alte! ich glaube nicht, daß ſie ſich ertränkt hat. Es wäre zu gräßlich; ich müßte ver¬ rückt werden über dem Gedanken. So grauſam hat ſie ſich nicht an mir rächen können; dazu war ſie viel zu gut und hatte mich viel zu lieb. Hat ſie nie ge¬ ſagt, ſie wolle mich verlaſſen? hat ſie nie von einem Manne geſprochen, der alle Zeit bereit ſei, ſie bei ſich aufzunehmen?“
Ich dachte, daß ich Harald einen Funken Hoff¬ nung laſſen müſſe, und ſagte: ja, Marie, hätte öfter und beſonders in der letzten Zeit ſo geredet.
„Siehſt Du?“ ſagte er und ſtieß das Glas, aus dem er getrunken hatte, auf den Tiſch, daß es zer¬ brach; „jetzt kommt die Meute endlich auf die Spur. Nun wollen wir eine richtige Hetzjagd machen.“
Er riß an der Klingel, daß ihm der Griff in der Hand blieb. „Anſpannen laſſen!“ ſchrie er dem alten Jochen, der eintrat, entgegen, „ſofort!“
Ich bat ihn, ein paar Stunden wenigſtens zu
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Gegen Abend kamen ſie wieder, triefend von Regen
und dem Moorwaſſer, in welchem ſie ſtundenlang um¬
hergewatet hatten. Die Männer waren ſo müde, daß
ſie im Gehen ſchliefen, aber Harald's Kraft war noch
nicht gebrochen. Er hieß mich ein paar Flaſchen
Wein holen, und während er ſie hinuntergoß, ſagte
er zu mir: „Höre, Alte! ich glaube nicht, daß ſie ſich
ertränkt hat. Es wäre zu gräßlich; ich müßte ver¬
rückt werden über dem Gedanken. So grauſam hat
ſie ſich nicht an mir rächen können; dazu war ſie viel
zu gut und hatte mich viel zu lieb. Hat ſie nie ge¬
ſagt, ſie wolle mich verlaſſen? hat ſie nie von einem
Manne geſprochen, der alle Zeit bereit ſei, ſie bei
ſich aufzunehmen?“
Ich dachte, daß ich Harald einen Funken Hoff¬
nung laſſen müſſe, und ſagte: ja, Marie, hätte öfter
und beſonders in der letzten Zeit ſo geredet.
„Siehſt Du?“ ſagte er und ſtieß das Glas, aus
dem er getrunken hatte, auf den Tiſch, daß es zer¬
brach; „jetzt kommt die Meute endlich auf die Spur.
Nun wollen wir eine richtige Hetzjagd machen.“
Er riß an der Klingel, daß ihm der Griff in der
Hand blieb. „Anſpannen laſſen!“ ſchrie er dem alten
Jochen, der eintrat, entgegen, „ſofort!“
Ich bat ihn, ein paar Stunden wenigſtens zu
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/271>, abgerufen am 16.02.2025.
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